Diese Bemerkung war das Boshafteste in dem Briefe, denn die Herren Barmann, Stössel, Wippert und Girlinger hatten ihren künstlerischen und dichterischen Jugendplänen längst den Abschied ge¬ geben. Barmann war Gymnasiallehrer geworden, Stössel hatte reich geheiratet und gab vor, musik¬ geschichtliche Studien zu treiben, Wippert war auf dem Umwege über orientalische Philologie langsam zur Medizin gelangt und hatte eine Klinik für Frauenkrankheiten, Girlinger steuerte auf die Lauf¬ bahn eines königlichen Staatsanwalts zu. Wenn sie sich trotzdem zu einem neuen Aufguß des Ce¬ nacles vereinigten, so geschah es in einer gewissen melancholischen Stimmung und in der Hoffnung, unter sich wenigstens eine Art Abglanz jenes ein¬ bildungsvollen Übermutes zu erzeugen, an den sie sich nicht ohne ein leises Hochgefühl erinnerten. Es war ihnen im Grunde doch leid, daß jene über¬ schwänglichen Einbildungen einer künstlerischen Zu¬ kunft nicht zur Wahrheit geworden waren. Sie gestanden sich das zwar nicht ein, konstruierten sich vielmehr ein Gefühl von ernster Zufriedenheit dar¬ über, daß sie sich in bürgerlich gefestete Zustände und in einen praktischen Wirkungskreis hinüber¬ gerettet hätten, aber es gewährte ihnen doch Genug¬
Stilpe.
Dieſe Bemerkung war das Boshafteſte in dem Briefe, denn die Herren Barmann, Stöſſel, Wippert und Girlinger hatten ihren künſtleriſchen und dichteriſchen Jugendplänen längſt den Abſchied ge¬ geben. Barmann war Gymnaſiallehrer geworden, Stöſſel hatte reich geheiratet und gab vor, muſik¬ geſchichtliche Studien zu treiben, Wippert war auf dem Umwege über orientaliſche Philologie langſam zur Medizin gelangt und hatte eine Klinik für Frauenkrankheiten, Girlinger ſteuerte auf die Lauf¬ bahn eines königlichen Staatsanwalts zu. Wenn ſie ſich trotzdem zu einem neuen Aufguß des Cé¬ nacles vereinigten, ſo geſchah es in einer gewiſſen melancholiſchen Stimmung und in der Hoffnung, unter ſich wenigſtens eine Art Abglanz jenes ein¬ bildungsvollen Übermutes zu erzeugen, an den ſie ſich nicht ohne ein leiſes Hochgefühl erinnerten. Es war ihnen im Grunde doch leid, daß jene über¬ ſchwänglichen Einbildungen einer künſtleriſchen Zu¬ kunft nicht zur Wahrheit geworden waren. Sie geſtanden ſich das zwar nicht ein, konſtruierten ſich vielmehr ein Gefühl von ernſter Zufriedenheit dar¬ über, daß ſie ſich in bürgerlich gefeſtete Zuſtände und in einen praktiſchen Wirkungskreis hinüber¬ gerettet hätten, aber es gewährte ihnen doch Genug¬
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Stilpe.
Dieſe Bemerkung war das Boshafteſte in dem
Briefe, denn die Herren Barmann, Stöſſel, Wippert
und Girlinger hatten ihren künſtleriſchen und
dichteriſchen Jugendplänen längſt den Abſchied ge¬
geben. Barmann war Gymnaſiallehrer geworden,
Stöſſel hatte reich geheiratet und gab vor, muſik¬
geſchichtliche Studien zu treiben, Wippert war auf
dem Umwege über orientaliſche Philologie langſam
zur Medizin gelangt und hatte eine Klinik für
Frauenkrankheiten, Girlinger ſteuerte auf die Lauf¬
bahn eines königlichen Staatsanwalts zu. Wenn
ſie ſich trotzdem zu einem neuen Aufguß des Cé¬
nacles vereinigten, ſo geſchah es in einer gewiſſen
melancholiſchen Stimmung und in der Hoffnung,
unter ſich wenigſtens eine Art Abglanz jenes ein¬
bildungsvollen Übermutes zu erzeugen, an den ſie
ſich nicht ohne ein leiſes Hochgefühl erinnerten.
Es war ihnen im Grunde doch leid, daß jene über¬
ſchwänglichen Einbildungen einer künſtleriſchen Zu¬
kunft nicht zur Wahrheit geworden waren. Sie
geſtanden ſich das zwar nicht ein, konſtruierten ſich
vielmehr ein Gefühl von ernſter Zufriedenheit dar¬
über, daß ſie ſich in bürgerlich gefeſtete Zuſtände
und in einen praktiſchen Wirkungskreis hinüber¬
gerettet hätten, aber es gewährte ihnen doch Genug¬
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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/394>, abgerufen am 22.11.2024.
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