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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
Gieb mir Deine Hände, Kind,
Deine kleinen weichen Hände,
Die wie Blütenblätter sind,
Kühl und feucht.
Gieb mir Deine Hände leis,
Deine kühlen, feuchten Hände,
Denn die meinen sind so heiß
Wie mein Herz.
Gieb mir Deine Hände, gieb
Still sie mir in meine Hände,
Kleines Mädchen, hab mich lieb,
Hab mich lieb!

Er las das mit einem seltsamen Flüstertone,
flehend.

Stilpe schüttelte den Kopf:

-- Aber wer soll denn das singen! Das ist ja
Lyrik! Himmlische Mächte: Was soll ich mit Lyrik
anfangen? Das geht ja nicht! Das ist ja viel zu
zart! Ein Tingeltangel ist doch kein Lesekränzchen!

Der Peripathetiker steckte die Kreuzzeitung ruhig
in die Hosentasche und sagte blos:

-- Ich dachte, es paßte. Ich fände das Gedicht
sehr passend, wenn es ein junger müder Mann an
ein kleines Mädchen hinsänge, und er nähme ihre

Stilpe.
Gieb mir Deine Hände, Kind,
Deine kleinen weichen Hände,
Die wie Blütenblätter ſind,
Kühl und feucht.
Gieb mir Deine Hände leis,
Deine kühlen, feuchten Hände,
Denn die meinen ſind ſo heiß
Wie mein Herz.
Gieb mir Deine Hände, gieb
Still ſie mir in meine Hände,
Kleines Mädchen, hab mich lieb,
Hab mich lieb!

Er las das mit einem ſeltſamen Flüſtertone,
flehend.

Stilpe ſchüttelte den Kopf:

— Aber wer ſoll denn das ſingen! Das iſt ja
Lyrik! Himmliſche Mächte: Was ſoll ich mit Lyrik
anfangen? Das geht ja nicht! Das iſt ja viel zu
zart! Ein Tingeltangel iſt doch kein Leſekränzchen!

Der Peripathetiker ſteckte die Kreuzzeitung ruhig
in die Hoſentaſche und ſagte blos:

— Ich dachte, es paßte. Ich fände das Gedicht
ſehr paſſend, wenn es ein junger müder Mann an
ein kleines Mädchen hinſänge, und er nähme ihre

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[372/0386] Stilpe. Gieb mir Deine Hände, Kind, Deine kleinen weichen Hände, Die wie Blütenblätter ſind, Kühl und feucht. Gieb mir Deine Hände leis, Deine kühlen, feuchten Hände, Denn die meinen ſind ſo heiß Wie mein Herz. Gieb mir Deine Hände, gieb Still ſie mir in meine Hände, Kleines Mädchen, hab mich lieb, Hab mich lieb! Er las das mit einem ſeltſamen Flüſtertone, flehend. Stilpe ſchüttelte den Kopf: — Aber wer ſoll denn das ſingen! Das iſt ja Lyrik! Himmliſche Mächte: Was ſoll ich mit Lyrik anfangen? Das geht ja nicht! Das iſt ja viel zu zart! Ein Tingeltangel iſt doch kein Leſekränzchen! Der Peripathetiker ſteckte die Kreuzzeitung ruhig in die Hoſentaſche und ſagte blos: — Ich dachte, es paßte. Ich fände das Gedicht ſehr paſſend, wenn es ein junger müder Mann an ein kleines Mädchen hinſänge, und er nähme ihre

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/386>, abgerufen am 25.11.2024.