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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
Mittelpunkt alles Empfindens geht, auf das Ge¬
schlecht. Nur eine Geschlechtskunst ist echt, ist
Instinkt, ist Genuß, ist Leben, ist Volkskunst. Eine
ejakulative Kunst, orgastisch, brünstig. Ein Hinein¬
knieen in die Uraccorde der Animalität, aber in allen
Finessen raffiniert, differenziert bis in die äußersten
Nervenenden. (Er schien seinen Schnurrbart ver¬
schlucken zu wollen, so verzückt bearbeitete er ihn mit
seiner Zunge.) Dabei aber verwegen bunt, jagend,
peitschenknallend, fieberisch! Tanzmelodien und
Hengstwiehern. Corsettkrachen und die Melancholie
des Leierkastens. Blechmusik und das Rauschen
von seidenen Unterröcken. Pubertätswimmern und
das Schollern von Eisplatten in breiten, wäl¬
zenden Strömen. Einen Titel dafür weiß ich
nicht. Das Unsagbare kann man wohl stammeln,
aber nicht benennen.

-- Hehe, so sagen Sie doch: Der Stammler,
werter Herr, oder: Stimmwechsel. Das sind aus¬
gezeichnete Titel. Hehe, oder: Der Hengst des
Volkes. Das ist noch entzöckender! Oder: Der
rote Faden! Oder: Das Nadelör der Welt. Hehe!
Ausgezeichnete Titel!

Der Pole schien sich ein bischen zu ärgern.

Der Zungenschnalzer lächelte verbindlich:

Stilpe.
Mittelpunkt alles Empfindens geht, auf das Ge¬
ſchlecht. Nur eine Geſchlechtskunſt iſt echt, iſt
Inſtinkt, iſt Genuß, iſt Leben, iſt Volkskunſt. Eine
ejakulative Kunſt, orgaſtiſch, brünſtig. Ein Hinein¬
knieen in die Uraccorde der Animalität, aber in allen
Fineſſen raffiniert, differenziert bis in die äußerſten
Nervenenden. (Er ſchien ſeinen Schnurrbart ver¬
ſchlucken zu wollen, ſo verzückt bearbeitete er ihn mit
ſeiner Zunge.) Dabei aber verwegen bunt, jagend,
peitſchenknallend, fieberiſch! Tanzmelodien und
Hengſtwiehern. Corſettkrachen und die Melancholie
des Leierkaſtens. Blechmuſik und das Rauſchen
von ſeidenen Unterröcken. Pubertätswimmern und
das Schollern von Eisplatten in breiten, wäl¬
zenden Strömen. Einen Titel dafür weiß ich
nicht. Das Unſagbare kann man wohl ſtammeln,
aber nicht benennen.

— Hehe, ſo ſagen Sie doch: Der Stammler,
werter Herr, oder: Stimmwechſel. Das ſind aus¬
gezeichnete Titel. Hehe, oder: Der Hengſt des
Volkes. Das iſt noch entzöckender! Oder: Der
rote Faden! Oder: Das Nadelör der Welt. Hehe!
Ausgezeichnete Titel!

Der Pole ſchien ſich ein bischen zu ärgern.

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[344/0358] Stilpe. Mittelpunkt alles Empfindens geht, auf das Ge¬ ſchlecht. Nur eine Geſchlechtskunſt iſt echt, iſt Inſtinkt, iſt Genuß, iſt Leben, iſt Volkskunſt. Eine ejakulative Kunſt, orgaſtiſch, brünſtig. Ein Hinein¬ knieen in die Uraccorde der Animalität, aber in allen Fineſſen raffiniert, differenziert bis in die äußerſten Nervenenden. (Er ſchien ſeinen Schnurrbart ver¬ ſchlucken zu wollen, ſo verzückt bearbeitete er ihn mit ſeiner Zunge.) Dabei aber verwegen bunt, jagend, peitſchenknallend, fieberiſch! Tanzmelodien und Hengſtwiehern. Corſettkrachen und die Melancholie des Leierkaſtens. Blechmuſik und das Rauſchen von ſeidenen Unterröcken. Pubertätswimmern und das Schollern von Eisplatten in breiten, wäl¬ zenden Strömen. Einen Titel dafür weiß ich nicht. Das Unſagbare kann man wohl ſtammeln, aber nicht benennen. — Hehe, ſo ſagen Sie doch: Der Stammler, werter Herr, oder: Stimmwechſel. Das ſind aus¬ gezeichnete Titel. Hehe, oder: Der Hengſt des Volkes. Das iſt noch entzöckender! Oder: Der rote Faden! Oder: Das Nadelör der Welt. Hehe! Ausgezeichnete Titel! Der Pole ſchien ſich ein bischen zu ärgern. Der Zungenſchnalzer lächelte verbindlich:

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/358>, abgerufen am 25.11.2024.