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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.
gänger wurde erst noch eine Art litterarischer
Volkstribun der Sozialdemokratie, und es schien,
als würde er dabei stehen bleiben. Er schrieb da¬
mals mit einer merkwürdigen nüchternen Härte
und hieb besonders auf den "Bourgeois-Anarchis¬
mus" der jungen Litteratur los. Aber plötzlich ein
wilder Quersprung, und er enthüllte die Kunst¬
feindlichkeit der Sozialdemokratie mit einer solchen
Unerbittlichkeit und bekannte so flammend seinen
Irrtum, daß man wirklich glauben mußte, er sei
vom Geiste aller freien Künste apollinisch besessen.
Seitdem datiert sein Ruf als litterarischer Kritiker.
Er verließ die Politik und wurde der Schrecken
der Belletristen. Er fing an, fein zu werden, Du
verstehst mich: Fein im Berliner Sinne, also
witzig und scharf. Natürlich muß er infolgedessen
mehr verreißen, als loben. Kritik ist Scheidekunst
sagt er; also: Scheidewasser her! Aber gerade
deshalb liebt ihn sein Leserkreis.

-- Und das findest Du also imposant!

-- Nein, das gerade nicht, aber diese ganze
Schamlosigkeit, mit soviel Witz und frechem Mute
vertreten, zwingt mir sehr viel mehr Respekt ab,
als die langweilige Leisetreterei der furchtbar ernst¬
haften Leute, die konsequent und reputierlich sind,

Stilpe.
gänger wurde erſt noch eine Art litterariſcher
Volkstribun der Sozialdemokratie, und es ſchien,
als würde er dabei ſtehen bleiben. Er ſchrieb da¬
mals mit einer merkwürdigen nüchternen Härte
und hieb beſonders auf den „Bourgeois-Anarchis¬
mus“ der jungen Litteratur los. Aber plötzlich ein
wilder Querſprung, und er enthüllte die Kunſt¬
feindlichkeit der Sozialdemokratie mit einer ſolchen
Unerbittlichkeit und bekannte ſo flammend ſeinen
Irrtum, daß man wirklich glauben mußte, er ſei
vom Geiſte aller freien Künſte apolliniſch beſeſſen.
Seitdem datiert ſein Ruf als litterariſcher Kritiker.
Er verließ die Politik und wurde der Schrecken
der Belletriſten. Er fing an, fein zu werden, Du
verſtehſt mich: Fein im Berliner Sinne, alſo
witzig und ſcharf. Natürlich muß er infolgedeſſen
mehr verreißen, als loben. Kritik iſt Scheidekunſt
ſagt er; alſo: Scheidewaſſer her! Aber gerade
deshalb liebt ihn ſein Leſerkreis.

— Und das findeſt Du alſo impoſant!

— Nein, das gerade nicht, aber dieſe ganze
Schamloſigkeit, mit ſoviel Witz und frechem Mute
vertreten, zwingt mir ſehr viel mehr Reſpekt ab,
als die langweilige Leiſetreterei der furchtbar ernſt¬
haften Leute, die konſequent und reputierlich ſind,

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[306/0320] Stilpe. gänger wurde erſt noch eine Art litterariſcher Volkstribun der Sozialdemokratie, und es ſchien, als würde er dabei ſtehen bleiben. Er ſchrieb da¬ mals mit einer merkwürdigen nüchternen Härte und hieb beſonders auf den „Bourgeois-Anarchis¬ mus“ der jungen Litteratur los. Aber plötzlich ein wilder Querſprung, und er enthüllte die Kunſt¬ feindlichkeit der Sozialdemokratie mit einer ſolchen Unerbittlichkeit und bekannte ſo flammend ſeinen Irrtum, daß man wirklich glauben mußte, er ſei vom Geiſte aller freien Künſte apolliniſch beſeſſen. Seitdem datiert ſein Ruf als litterariſcher Kritiker. Er verließ die Politik und wurde der Schrecken der Belletriſten. Er fing an, fein zu werden, Du verſtehſt mich: Fein im Berliner Sinne, alſo witzig und ſcharf. Natürlich muß er infolgedeſſen mehr verreißen, als loben. Kritik iſt Scheidekunſt ſagt er; alſo: Scheidewaſſer her! Aber gerade deshalb liebt ihn ſein Leſerkreis. — Und das findeſt Du alſo impoſant! — Nein, das gerade nicht, aber dieſe ganze Schamloſigkeit, mit ſoviel Witz und frechem Mute vertreten, zwingt mir ſehr viel mehr Reſpekt ab, als die langweilige Leiſetreterei der furchtbar ernſt¬ haften Leute, die konſequent und reputierlich ſind,

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/320>, abgerufen am 22.11.2024.