-- Ich ahne, was Sie meinen, und es ist wahr, das deckt sich wohl mit dem, was ich suche.
-- Rund sein ist alles, Herr Lehmann! Wissen Sie, wie diese indischen Götter: Rund um den Leib herum tausend Arme, und immer zwischen zwei Armen eine Göttin. Aber Gott bleiben! Ein runder Gott bleiben mit tausend Armen und fünf¬ hundert Göttinnen dazwischen! Oder, weniger exotisch gesprochen: Goethehaft!
Herr Lehmann lächelte höchst bitter:
-- Sie wollen mich wohl verspotten. Goethe und -- ich! Ich mit meiner klassischen Philologie. Ich studiere nämlich klassische Philologie. Aber Sie müssen da nicht gleich denken, daß ich Gym¬ nasiallehrer werden möchte. Nein, ich möchte mich der akademischen Carriere fürs Griechische widmen. Es ist da noch viel zu holen, sag ich Ihnen! Mein Fach ist im Niedergange. Es fehlt an Kapazitäten. Ein neues Alexandrinertum ist ein¬ gerissen!
-- So reißen Sie es um, Herr Lehmann! Schmeißen Sie die Perrücken zum Tempel hinaus! Der Moder stinkt! Hygiene thut not! Fort mit den Schwartenschwenkern! Das reine Hellas ziehe ein! Und was ist der Hellene des Altertums?
Stilpe.
— Ich ahne, was Sie meinen, und es iſt wahr, das deckt ſich wohl mit dem, was ich ſuche.
— Rund ſein iſt alles, Herr Lehmann! Wiſſen Sie, wie dieſe indiſchen Götter: Rund um den Leib herum tauſend Arme, und immer zwiſchen zwei Armen eine Göttin. Aber Gott bleiben! Ein runder Gott bleiben mit tauſend Armen und fünf¬ hundert Göttinnen dazwiſchen! Oder, weniger exotiſch geſprochen: Goethehaft!
Herr Lehmann lächelte höchſt bitter:
— Sie wollen mich wohl verſpotten. Goethe und — ich! Ich mit meiner klaſſiſchen Philologie. Ich ſtudiere nämlich klaſſiſche Philologie. Aber Sie müſſen da nicht gleich denken, daß ich Gym¬ naſiallehrer werden möchte. Nein, ich möchte mich der akademiſchen Carrière fürs Griechiſche widmen. Es iſt da noch viel zu holen, ſag ich Ihnen! Mein Fach iſt im Niedergange. Es fehlt an Kapazitäten. Ein neues Alexandrinertum iſt ein¬ geriſſen!
— So reißen Sie es um, Herr Lehmann! Schmeißen Sie die Perrücken zum Tempel hinaus! Der Moder ſtinkt! Hygiene thut not! Fort mit den Schwartenſchwenkern! Das reine Hellas ziehe ein! Und was iſt der Hellene des Altertums?
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0250"n="236"/><fwplace="top"type="header">Stilpe.<lb/></fw><p>— Ich ahne, was Sie meinen, und es iſt<lb/>
wahr, das deckt ſich wohl mit dem, was ich ſuche.</p><lb/><p>— Rund ſein iſt alles, Herr Lehmann!<lb/>
Wiſſen Sie, wie dieſe indiſchen Götter: Rund um<lb/>
den Leib herum tauſend Arme, und immer zwiſchen<lb/>
zwei Armen eine Göttin. Aber Gott bleiben! Ein<lb/>
runder Gott bleiben mit tauſend Armen und fünf¬<lb/>
hundert Göttinnen dazwiſchen! Oder, weniger<lb/>
exotiſch geſprochen: Goethehaft!</p><lb/><p>Herr Lehmann lächelte höchſt bitter:</p><lb/><p>— Sie wollen mich wohl verſpotten. Goethe<lb/>
und — ich! Ich mit meiner klaſſiſchen Philologie.<lb/>
Ich ſtudiere nämlich klaſſiſche Philologie. Aber<lb/>
Sie müſſen da nicht gleich denken, daß ich Gym¬<lb/>
naſiallehrer werden möchte. Nein, ich möchte mich<lb/>
der akademiſchen Carri<hirendition="#aq">è</hi>re fürs Griechiſche widmen.<lb/>
Es iſt da noch viel zu holen, ſag ich Ihnen!<lb/>
Mein Fach iſt im Niedergange. Es fehlt an<lb/>
Kapazitäten. Ein neues Alexandrinertum iſt ein¬<lb/>
geriſſen!</p><lb/><p>— So reißen Sie es um, Herr Lehmann!<lb/>
Schmeißen Sie die Perrücken zum Tempel hinaus!<lb/>
Der Moder ſtinkt! Hygiene thut not! Fort mit<lb/>
den Schwartenſchwenkern! Das reine Hellas ziehe<lb/>
ein! Und was iſt der Hellene des Altertums?<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[236/0250]
Stilpe.
— Ich ahne, was Sie meinen, und es iſt
wahr, das deckt ſich wohl mit dem, was ich ſuche.
— Rund ſein iſt alles, Herr Lehmann!
Wiſſen Sie, wie dieſe indiſchen Götter: Rund um
den Leib herum tauſend Arme, und immer zwiſchen
zwei Armen eine Göttin. Aber Gott bleiben! Ein
runder Gott bleiben mit tauſend Armen und fünf¬
hundert Göttinnen dazwiſchen! Oder, weniger
exotiſch geſprochen: Goethehaft!
Herr Lehmann lächelte höchſt bitter:
— Sie wollen mich wohl verſpotten. Goethe
und — ich! Ich mit meiner klaſſiſchen Philologie.
Ich ſtudiere nämlich klaſſiſche Philologie. Aber
Sie müſſen da nicht gleich denken, daß ich Gym¬
naſiallehrer werden möchte. Nein, ich möchte mich
der akademiſchen Carrière fürs Griechiſche widmen.
Es iſt da noch viel zu holen, ſag ich Ihnen!
Mein Fach iſt im Niedergange. Es fehlt an
Kapazitäten. Ein neues Alexandrinertum iſt ein¬
geriſſen!
— So reißen Sie es um, Herr Lehmann!
Schmeißen Sie die Perrücken zum Tempel hinaus!
Der Moder ſtinkt! Hygiene thut not! Fort mit
den Schwartenſchwenkern! Das reine Hellas ziehe
ein! Und was iſt der Hellene des Altertums?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/250>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.