Und wenn ihr Sünde sagt, so sündigt Gott. Nein, nein und nein, ihr kennt ihn nicht, den Gott, Von dem ihr sprecht; er ist kein lieber Gott: Ein böser Gott! -- Ach Gott, er ist ja nicht!
[Abbildung]
Jeden Sonntag kam Girlinger zu Stilpe und ließ sich von ihm das Tagebuch zeigen. Er war, bei aller eigenen Unreife, doch viel reifer, als jener, denn er hatte vielmehr Verstand und war wirklich fleißig hinter der Literatur her, die er Stilpen zutrug. Vor Allem kam ihm zustatten, daß er alle die zu frühe Gedankenkost kühl in sich aufnahm, während sie Stilpe heiß verschlang. Auch ließ er sich, trotz seiner Jugend, nicht so leicht blenden, und wenn er auch merkwürdig viel Sinn für das Brillante in Stil und Gedanken hatte, so nahm er das doch schon mit einer Art von Kennerschnalzen hin, während Stilpe sofort wie überschüttet und überglänzt war und Alles am liebsten gleich subjektiv für sich zur That ge¬ macht hätte.
Der Fleiß fehlte ihm, wie in der Schule, so auch hier. Keines der Bücher, die ihn wild be¬
Stilpe.
Und wenn ihr Sünde ſagt, ſo ſündigt Gott. Nein, nein und nein, ihr kennt ihn nicht, den Gott, Von dem ihr ſprecht; er iſt kein lieber Gott: Ein böſer Gott! — Ach Gott, er iſt ja nicht!
[Abbildung]
Jeden Sonntag kam Girlinger zu Stilpe und ließ ſich von ihm das Tagebuch zeigen. Er war, bei aller eigenen Unreife, doch viel reifer, als jener, denn er hatte vielmehr Verſtand und war wirklich fleißig hinter der Literatur her, die er Stilpen zutrug. Vor Allem kam ihm zuſtatten, daß er alle die zu frühe Gedankenkoſt kühl in ſich aufnahm, während ſie Stilpe heiß verſchlang. Auch ließ er ſich, trotz ſeiner Jugend, nicht ſo leicht blenden, und wenn er auch merkwürdig viel Sinn für das Brillante in Stil und Gedanken hatte, ſo nahm er das doch ſchon mit einer Art von Kennerſchnalzen hin, während Stilpe ſofort wie überſchüttet und überglänzt war und Alles am liebſten gleich ſubjektiv für ſich zur That ge¬ macht hätte.
Der Fleiß fehlte ihm, wie in der Schule, ſo auch hier. Keines der Bücher, die ihn wild be¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><pbfacs="#f0114"n="100"/><fwplace="top"type="header">Stilpe.<lb/></fw><l>Und wenn ihr Sünde ſagt, ſo ſündigt Gott.</l><lb/><l>Nein, nein und nein, ihr kennt ihn nicht, den Gott,</l><lb/><l>Von dem ihr ſprecht; er iſt kein lieber Gott:</l><lb/><l>Ein böſer Gott! — Ach Gott, er iſt ja nicht!</l><lb/></lg><lb/><figure/><p>Jeden Sonntag kam Girlinger zu Stilpe und<lb/>
ließ ſich von ihm das Tagebuch zeigen. Er war,<lb/>
bei aller eigenen Unreife, doch viel reifer, als<lb/>
jener, denn er hatte vielmehr Verſtand und war<lb/>
wirklich fleißig hinter der Literatur her, die er<lb/>
Stilpen zutrug. Vor Allem kam ihm zuſtatten,<lb/>
daß er alle die zu frühe Gedankenkoſt kühl in ſich<lb/>
aufnahm, während ſie Stilpe heiß verſchlang.<lb/>
Auch ließ er ſich, trotz ſeiner Jugend, nicht ſo<lb/>
leicht blenden, und wenn er auch merkwürdig viel<lb/>
Sinn für das Brillante in Stil und Gedanken<lb/>
hatte, ſo nahm er das doch ſchon mit einer Art<lb/>
von Kennerſchnalzen hin, während Stilpe ſofort<lb/>
wie überſchüttet und überglänzt war und Alles<lb/>
am liebſten gleich ſubjektiv für ſich zur That ge¬<lb/>
macht hätte.</p><lb/><p>Der Fleiß fehlte ihm, wie in der Schule, ſo<lb/>
auch hier. Keines der Bücher, die ihn wild be¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[100/0114]
Stilpe.
Und wenn ihr Sünde ſagt, ſo ſündigt Gott.
Nein, nein und nein, ihr kennt ihn nicht, den Gott,
Von dem ihr ſprecht; er iſt kein lieber Gott:
Ein böſer Gott! — Ach Gott, er iſt ja nicht!
[Abbildung]
Jeden Sonntag kam Girlinger zu Stilpe und
ließ ſich von ihm das Tagebuch zeigen. Er war,
bei aller eigenen Unreife, doch viel reifer, als
jener, denn er hatte vielmehr Verſtand und war
wirklich fleißig hinter der Literatur her, die er
Stilpen zutrug. Vor Allem kam ihm zuſtatten,
daß er alle die zu frühe Gedankenkoſt kühl in ſich
aufnahm, während ſie Stilpe heiß verſchlang.
Auch ließ er ſich, trotz ſeiner Jugend, nicht ſo
leicht blenden, und wenn er auch merkwürdig viel
Sinn für das Brillante in Stil und Gedanken
hatte, ſo nahm er das doch ſchon mit einer Art
von Kennerſchnalzen hin, während Stilpe ſofort
wie überſchüttet und überglänzt war und Alles
am liebſten gleich ſubjektiv für ſich zur That ge¬
macht hätte.
Der Fleiß fehlte ihm, wie in der Schule, ſo
auch hier. Keines der Bücher, die ihn wild be¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/114>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.