Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_066.001 Den Blumen neckend ums Gesicht; p3b_066.102 [Ende Spaltensatz]
Die Riesentanne hebt sich rauschend p3b_066.103 Aus nachbarlichem Buchengrün, p3b_066.104 Der Vorwelt dunkle Worte tauschend, p3b_066.105 Ein Greis, und doch noch lebenskühn. p3b_066.106 Und um der Wurzeln schwarze Knorren p3b_066.107 Springt hell aus frischer Felsenbrust p3b_066.108 Der Bach; mag mancher Ast auch dorren, p3b_066.109 Er bringt ihm neue Frühlingslust. p3b_066.110 So tränkt mit jugendlichen Bronnen p3b_066.111 Die ewig klare Lebensflut p3b_066.112 Den reinen Trieb verglühter Sonnen, p3b_066.113 Den nicht gewelket Sturm noch Glut. p3b_066.114 § 24. Schriftliche und mündliche Übungen im Metrum und p3b_066.115 im Reim. p3b_066.116 p3b_066.125 p3b_066.001 Den Blumen neckend ums Gesicht; p3b_066.102 [Ende Spaltensatz]
Die Riesentanne hebt sich rauschend p3b_066.103 Aus nachbarlichem Buchengrün, p3b_066.104 Der Vorwelt dunkle Worte tauschend, p3b_066.105 Ein Greis, und doch noch lebenskühn. p3b_066.106 Und um der Wurzeln schwarze Knorren p3b_066.107 Springt hell aus frischer Felsenbrust p3b_066.108 Der Bach; mag mancher Ast auch dorren, p3b_066.109 Er bringt ihm neue Frühlingslust. p3b_066.110 So tränkt mit jugendlichen Bronnen p3b_066.111 Die ewig klare Lebensflut p3b_066.112 Den reinen Trieb verglühter Sonnen, p3b_066.113 Den nicht gewelket Sturm noch Glut. p3b_066.114 § 24. Schriftliche und mündliche Übungen im Metrum und p3b_066.115 im Reim. p3b_066.116 p3b_066.125 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0092" n="66"/><lb n="p3b_066.001"/><cb type="start"/> den Blumen ums Gesicht; │ die Riesentanne <lb n="p3b_066.002"/> erhebt sich rauschend │ aus dem <lb n="p3b_066.003"/> umgebenden Buchengrün, │ und erzählt <lb n="p3b_066.004"/> von der Vorwelt in dunklen <lb n="p3b_066.005"/> Worten, │ als Greis, der doch immer <lb n="p3b_066.006"/> noch lebenskühn ist; │ und an ihrer <lb n="p3b_066.007"/> knorrigen Wurzel │ entspringt der <lb n="p3b_066.008"/> Bach, │ der immer neue Frühlingslust <lb n="p3b_066.009"/> bringt, │ wenn auch mancher Ast verdorrte. <lb n="p3b_066.010"/> │ So tränkt mit jugendlichen <lb n="p3b_066.011"/> Quellen │ die ewige Lebensflut │ den <lb n="p3b_066.012"/> reinen Trieb verglühter Sonnen, │ den <lb n="p3b_066.013"/> weder Sturm noch Glut zu welken vermochte. <lb n="p3b_066.014"/> │</p> <cb/> <lb n="p3b_066.101"/> <lg> <l>Den Blumen neckend ums Gesicht;</l> <lb n="p3b_066.102"/> <l>Die Riesentanne hebt sich rauschend</l> <lb n="p3b_066.103"/> <l>Aus nachbarlichem Buchengrün,</l> <lb n="p3b_066.104"/> <l>Der Vorwelt dunkle Worte tauschend,</l> <lb n="p3b_066.105"/> <l>Ein Greis, und doch noch lebenskühn.</l> <lb n="p3b_066.106"/> <l>Und um der Wurzeln schwarze Knorren</l> <lb n="p3b_066.107"/> <l>Springt hell aus frischer Felsenbrust</l> <lb n="p3b_066.108"/> <l>Der Bach; mag mancher Ast auch dorren,</l> <lb n="p3b_066.109"/> <l>Er bringt ihm neue Frühlingslust.</l> <lb n="p3b_066.110"/> <l>So tränkt mit jugendlichen Bronnen</l> <lb n="p3b_066.111"/> <l>Die ewig klare Lebensflut</l> <lb n="p3b_066.112"/> <l>Den reinen Trieb verglühter Sonnen,</l> <lb n="p3b_066.113"/> <l>Den nicht gewelket Sturm noch Glut.</l> </lg> <cb type="end"/> </div> <div n="3"> <lb n="p3b_066.114"/> <head> <hi rendition="#c">§ 24. Schriftliche und mündliche Übungen im Metrum und <lb n="p3b_066.115"/> im Reim.</hi> </head> <p><lb n="p3b_066.116"/> 1. Wenn wir auch nicht der Ansicht sind, daß in unserer poesiearmen <lb n="p3b_066.117"/> Zeit Dichterschulen wie in Griechenland zur Zeit der Sappho <lb n="p3b_066.118"/> und des Alkäos &c. erstehen werden, so meinen wir doch, daß in unsern <lb n="p3b_066.119"/> geselligen Vereinigungen viel für Pflege der Poesie geschehen könnte, <lb n="p3b_066.120"/> und daß daher eine Anregung hierzu willkommen sein dürfte. Gebildete <lb n="p3b_066.121"/> Männer und Frauen, Dichter und Dichterfreunde &c., könnten sich unter <lb n="p3b_066.122"/> versgewandter Leitung vereinigen, um dichterische Übungen zu veranlassen, <lb n="p3b_066.123"/> Jnteresse für unsere dichterische Kunst zu wecken und das <lb n="p3b_066.124"/> Vestafeuer deutscher Poesie vor dem Erlöschen zu bewahren.</p> <p><lb n="p3b_066.125"/> 2. Zur Zeit des Meistersanges waren es schlichte Handwerker, <lb n="p3b_066.126"/> welche sich (mit freilich nur geringem Verständnisse) der lyrischen Poesie <lb n="p3b_066.127"/> annahmen und ohne Poetik, ohne Kenntnis der poetischen Gesetze die <lb n="p3b_066.128"/> Meisterschulen in Nürnberg, Mainz, Straßburg, Augsburg, Frankfurt, <lb n="p3b_066.129"/> Regensburg, Memmingen &c. gründeten. Metrum, Reim, Melodie &c. <lb n="p3b_066.130"/> wurden bei ihren Nachahmungen der Minnesinger genau beachtet und <lb n="p3b_066.131"/> bildeten die sogenannte Tabulatur. Schüler konnte jeder sein; Schulfreund <lb n="p3b_066.132"/> hieß, wer die Tabulatur kannte; Singer, wer einige Melodien <lb n="p3b_066.133"/> zu singen vermochte; Dichter, wer Lieder nach Melodien anderer zu <lb n="p3b_066.134"/> bilden verstand; Meister, wer neue Töne erfand. Es bestanden also <lb n="p3b_066.135"/> 5 Grade. Auf einer Art Bühne (Gerüste, Gemerke) versammelten sich <lb n="p3b_066.136"/> die Vorstände (Merker). Der Singer stellte sich auf den Singstuhl <lb n="p3b_066.137"/> (eine Art Kanzel). Der erste Akt war das Freisingen. Vier Merker, <lb n="p3b_066.138"/> von denen einer die Ordnung bestimmte, waren Richter. Der eine <lb n="p3b_066.139"/> verglich den Jnhalt, ob er auch streng biblisch sei. Der zweite untersuchte, <lb n="p3b_066.140"/> ob den Regeln des Lieds (Bars) genau entsprochen wurde. Der <lb n="p3b_066.141"/> dritte prüfte den Reim, der letzte die Melodie. Der 1. Preis (silbernes </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0092]
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den Blumen ums Gesicht; │ die Riesentanne p3b_066.002
erhebt sich rauschend │ aus dem p3b_066.003
umgebenden Buchengrün, │ und erzählt p3b_066.004
von der Vorwelt in dunklen p3b_066.005
Worten, │ als Greis, der doch immer p3b_066.006
noch lebenskühn ist; │ und an ihrer p3b_066.007
knorrigen Wurzel │ entspringt der p3b_066.008
Bach, │ der immer neue Frühlingslust p3b_066.009
bringt, │ wenn auch mancher Ast verdorrte. p3b_066.010
│ So tränkt mit jugendlichen p3b_066.011
Quellen │ die ewige Lebensflut │ den p3b_066.012
reinen Trieb verglühter Sonnen, │ den p3b_066.013
weder Sturm noch Glut zu welken vermochte. p3b_066.014
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Den Blumen neckend ums Gesicht; p3b_066.102
Die Riesentanne hebt sich rauschend p3b_066.103
Aus nachbarlichem Buchengrün, p3b_066.104
Der Vorwelt dunkle Worte tauschend, p3b_066.105
Ein Greis, und doch noch lebenskühn. p3b_066.106
Und um der Wurzeln schwarze Knorren p3b_066.107
Springt hell aus frischer Felsenbrust p3b_066.108
Der Bach; mag mancher Ast auch dorren, p3b_066.109
Er bringt ihm neue Frühlingslust. p3b_066.110
So tränkt mit jugendlichen Bronnen p3b_066.111
Die ewig klare Lebensflut p3b_066.112
Den reinen Trieb verglühter Sonnen, p3b_066.113
Den nicht gewelket Sturm noch Glut.
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§ 24. Schriftliche und mündliche Übungen im Metrum und p3b_066.115
im Reim. p3b_066.116
1. Wenn wir auch nicht der Ansicht sind, daß in unserer poesiearmen p3b_066.117
Zeit Dichterschulen wie in Griechenland zur Zeit der Sappho p3b_066.118
und des Alkäos &c. erstehen werden, so meinen wir doch, daß in unsern p3b_066.119
geselligen Vereinigungen viel für Pflege der Poesie geschehen könnte, p3b_066.120
und daß daher eine Anregung hierzu willkommen sein dürfte. Gebildete p3b_066.121
Männer und Frauen, Dichter und Dichterfreunde &c., könnten sich unter p3b_066.122
versgewandter Leitung vereinigen, um dichterische Übungen zu veranlassen, p3b_066.123
Jnteresse für unsere dichterische Kunst zu wecken und das p3b_066.124
Vestafeuer deutscher Poesie vor dem Erlöschen zu bewahren.
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2. Zur Zeit des Meistersanges waren es schlichte Handwerker, p3b_066.126
welche sich (mit freilich nur geringem Verständnisse) der lyrischen Poesie p3b_066.127
annahmen und ohne Poetik, ohne Kenntnis der poetischen Gesetze die p3b_066.128
Meisterschulen in Nürnberg, Mainz, Straßburg, Augsburg, Frankfurt, p3b_066.129
Regensburg, Memmingen &c. gründeten. Metrum, Reim, Melodie &c. p3b_066.130
wurden bei ihren Nachahmungen der Minnesinger genau beachtet und p3b_066.131
bildeten die sogenannte Tabulatur. Schüler konnte jeder sein; Schulfreund p3b_066.132
hieß, wer die Tabulatur kannte; Singer, wer einige Melodien p3b_066.133
zu singen vermochte; Dichter, wer Lieder nach Melodien anderer zu p3b_066.134
bilden verstand; Meister, wer neue Töne erfand. Es bestanden also p3b_066.135
5 Grade. Auf einer Art Bühne (Gerüste, Gemerke) versammelten sich p3b_066.136
die Vorstände (Merker). Der Singer stellte sich auf den Singstuhl p3b_066.137
(eine Art Kanzel). Der erste Akt war das Freisingen. Vier Merker, p3b_066.138
von denen einer die Ordnung bestimmte, waren Richter. Der eine p3b_066.139
verglich den Jnhalt, ob er auch streng biblisch sei. Der zweite untersuchte, p3b_066.140
ob den Regeln des Lieds (Bars) genau entsprochen wurde. Der p3b_066.141
dritte prüfte den Reim, der letzte die Melodie. Der 1. Preis (silbernes
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