Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_050.001 p3b_050.015 p3b_050.020 p3b_050.025 p3b_050.037 p3b_050.042 p3b_050.001 p3b_050.015 p3b_050.020 p3b_050.025 p3b_050.037 p3b_050.042 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0076" n="50"/><lb n="p3b_050.001"/> der sich namentlich in seinen Makamen-Nachbildungen als ein personifiziertes <lb n="p3b_050.002"/> Reimlexikon erwies, hat es der Verf. d. B. nachgewiesen, daß <lb n="p3b_050.003"/> derselbe als junger Mann auf allen Biertischen, an Kirchenwänden, <lb n="p3b_050.004"/> in Notizbüchern &c. seine Reimübungen anstellte, so daß es erklärlich <lb n="p3b_050.005"/> ist, wie derselbe eine so einzige und vollkommene Herrschaft über den <lb n="p3b_050.006"/> Reim ausübte und eine so staunenswerte Reimvirtuosität erlangte, wie <lb n="p3b_050.007"/> vor und nach ihm kein Dichter der Welt. Wenn daher Anfänger im <lb n="p3b_050.008"/> Versebilden über Reimarmut unserer Sprache, über Mangel an Reimklängen <lb n="p3b_050.009"/> klagen, so möge ihnen Rückerts Vorbild Ermutigung einflößen. <lb n="p3b_050.010"/> Jedenfalls ist diese Art, durch Beachtung und eigene Übung Fertigkeit <lb n="p3b_050.011"/> im Reim zu erlangen, der Benützung eines Reimlexikons weit vorzuziehen, <lb n="p3b_050.012"/> wie ein solches von Peregrinus Syntax (Leipzig, Brockhaus 1826) <lb n="p3b_050.013"/> in 2 Bänden existiert und recht viel überflüssiges, für Poesie unbrauchbares <lb n="p3b_050.014"/> Material enthält.</p> <p><lb n="p3b_050.015"/> 2. Homer schrieb die blühendste Sprache, ohne Grammatik in <lb n="p3b_050.016"/> unserem Sinne gelernt zu haben, ─ und doch lernen wir Grammatik; <lb n="p3b_050.017"/> Mozart war Klaviertechniker, ohne Bertini's, Kramer's und Herz' <lb n="p3b_050.018"/> „Fingerübungen“ gespielt zu haben, ─ und doch üben wir diese <lb n="p3b_050.019"/> „Fingerübungen“, bevor wir ein größeres Musikstück einstudieren.</p> <p><lb n="p3b_050.020"/> So möge auch der Anfänger im Versbau nicht glauben, daß ihm <lb n="p3b_050.021"/> die Muse den Lorbeer anders, denn als Lohn für schwere Mühen <lb n="p3b_050.022"/> reichen werde. Er möge also, bevor er sich an eine größere Dichtung <lb n="p3b_050.023"/> wagt, lang fortgesetzte Übungen im Suchen aller möglichen Reime <lb n="p3b_050.024"/> vornehmen.</p> <p><lb n="p3b_050.025"/> 3. Zunächst möge er prosaische Erzählungen, Novelletten und ähnlichen <lb n="p3b_050.026"/> Lesestoff unter Beibehaltung der Prosaform mit Reimen versehen. <lb n="p3b_050.027"/> Dadurch liefert er, ohne es zu beabsichtigen, die in unserer <lb n="p3b_050.028"/> Litteratur durch Rückerts Umbildungen eingeführte Makamenform, <lb n="p3b_050.029"/> welche bekanntlich nichts weiter ist, als eine Erzählung von regellosestem <lb n="p3b_050.030"/> Rhythmus in gereimter Prosa, wobei allerdings hie und da <lb n="p3b_050.031"/> lyrische Gedichte eingeflochten sind. Da übrigens der auf dieser Stufe <lb n="p3b_050.032"/> angelangte Lernende bereits die Fähigkeit erlangt hat, schulgerechte <lb n="p3b_050.033"/> Reimpaare zu bilden, so ist es keine zu große Zumutung, ähnliche <lb n="p3b_050.034"/> Gedichte in primitiver Form einzufügen, um die Makame vollständig <lb n="p3b_050.035"/> zu machen. Der die Leistungsfähigkeit beweisende Erfolg wird zweifellos <lb n="p3b_050.036"/> anfeuernd wirken.</p> <p><lb n="p3b_050.037"/> 4. Bei Bildung von Reimen in der Prosarede (Makame) sind <lb n="p3b_050.038"/> alle Arten des Vollreims (vgl. weiter unten Ziffer 9) nicht nur gestattet, <lb n="p3b_050.039"/> sondern sie werden dem Lernenden sogar zugemutet. Es übt <lb n="p3b_050.040"/> außerordentlich, wenn man Doppelreime, gleitende, schwebende Reime &c. <lb n="p3b_050.041"/> anwendet. Wahl und Anzahl der Gleichklänge ist also freigegeben.</p> <p><lb n="p3b_050.042"/> 5. Um alle möglichen Arten des Vollreims anwenden zu können, <lb n="p3b_050.043"/> mag der Text in beliebiger Weise erweitert, fortgesponnen, umgeordnet, <lb n="p3b_050.044"/> geändert und ergänzt werden.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [50/0076]
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der sich namentlich in seinen Makamen-Nachbildungen als ein personifiziertes p3b_050.002
Reimlexikon erwies, hat es der Verf. d. B. nachgewiesen, daß p3b_050.003
derselbe als junger Mann auf allen Biertischen, an Kirchenwänden, p3b_050.004
in Notizbüchern &c. seine Reimübungen anstellte, so daß es erklärlich p3b_050.005
ist, wie derselbe eine so einzige und vollkommene Herrschaft über den p3b_050.006
Reim ausübte und eine so staunenswerte Reimvirtuosität erlangte, wie p3b_050.007
vor und nach ihm kein Dichter der Welt. Wenn daher Anfänger im p3b_050.008
Versebilden über Reimarmut unserer Sprache, über Mangel an Reimklängen p3b_050.009
klagen, so möge ihnen Rückerts Vorbild Ermutigung einflößen. p3b_050.010
Jedenfalls ist diese Art, durch Beachtung und eigene Übung Fertigkeit p3b_050.011
im Reim zu erlangen, der Benützung eines Reimlexikons weit vorzuziehen, p3b_050.012
wie ein solches von Peregrinus Syntax (Leipzig, Brockhaus 1826) p3b_050.013
in 2 Bänden existiert und recht viel überflüssiges, für Poesie unbrauchbares p3b_050.014
Material enthält.
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2. Homer schrieb die blühendste Sprache, ohne Grammatik in p3b_050.016
unserem Sinne gelernt zu haben, ─ und doch lernen wir Grammatik; p3b_050.017
Mozart war Klaviertechniker, ohne Bertini's, Kramer's und Herz' p3b_050.018
„Fingerübungen“ gespielt zu haben, ─ und doch üben wir diese p3b_050.019
„Fingerübungen“, bevor wir ein größeres Musikstück einstudieren.
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So möge auch der Anfänger im Versbau nicht glauben, daß ihm p3b_050.021
die Muse den Lorbeer anders, denn als Lohn für schwere Mühen p3b_050.022
reichen werde. Er möge also, bevor er sich an eine größere Dichtung p3b_050.023
wagt, lang fortgesetzte Übungen im Suchen aller möglichen Reime p3b_050.024
vornehmen.
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3. Zunächst möge er prosaische Erzählungen, Novelletten und ähnlichen p3b_050.026
Lesestoff unter Beibehaltung der Prosaform mit Reimen versehen. p3b_050.027
Dadurch liefert er, ohne es zu beabsichtigen, die in unserer p3b_050.028
Litteratur durch Rückerts Umbildungen eingeführte Makamenform, p3b_050.029
welche bekanntlich nichts weiter ist, als eine Erzählung von regellosestem p3b_050.030
Rhythmus in gereimter Prosa, wobei allerdings hie und da p3b_050.031
lyrische Gedichte eingeflochten sind. Da übrigens der auf dieser Stufe p3b_050.032
angelangte Lernende bereits die Fähigkeit erlangt hat, schulgerechte p3b_050.033
Reimpaare zu bilden, so ist es keine zu große Zumutung, ähnliche p3b_050.034
Gedichte in primitiver Form einzufügen, um die Makame vollständig p3b_050.035
zu machen. Der die Leistungsfähigkeit beweisende Erfolg wird zweifellos p3b_050.036
anfeuernd wirken.
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4. Bei Bildung von Reimen in der Prosarede (Makame) sind p3b_050.038
alle Arten des Vollreims (vgl. weiter unten Ziffer 9) nicht nur gestattet, p3b_050.039
sondern sie werden dem Lernenden sogar zugemutet. Es übt p3b_050.040
außerordentlich, wenn man Doppelreime, gleitende, schwebende Reime &c. p3b_050.041
anwendet. Wahl und Anzahl der Gleichklänge ist also freigegeben.
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5. Um alle möglichen Arten des Vollreims anwenden zu können, p3b_050.043
mag der Text in beliebiger Weise erweitert, fortgesponnen, umgeordnet, p3b_050.044
geändert und ergänzt werden.
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