Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_006.001 Er schmückte mit dem Lorbeerkranz p3b_006.102 [Ende Spaltensatz]
Nur einen Krieger, schön und jung. p3b_006.103 "O Gott, das ist ja Franz, mein Sohn!" p3b_006.104 Dies rief entzückt die Frau so laut, p3b_006.105 Daß alle Beter drob erschreckt p3b_006.106 Nach ihr die Blicke wandten. - p3b_006.107 Sie meinten, daß der armen Frau p3b_006.108 Ein Unfall zugestoßen sei. p3b_006.109 Doch diese fühlte - (wunderbar! -) p3b_006.110 Die reinste Freude in der Brust. p3b_006.111 Voll Himmelstrost verließ sie dann p3b_006.112 Die Kirche mit der Beter Schar. p3b_006.113 Und draußen sah viel Kinder sie p3b_006.114 Zusammenlaufen, gaffen, schrei'n. p3b_006.115 Viel schmucke Reiter trabten an, p3b_006.116 Trompeten blasend nahten sie. p3b_006.117 Vor Freude wäre fast die Frau p3b_006.118 Gestorben, denn den Reitern all' p3b_006.119 Ritt stolz voran als Oberst - wer? p3b_006.120 Jhr teurer Sohn, der sehnsuchtsvoll p3b_006.121 Aufsuchte seiner Mutter Haus. p3b_006.122 p3b_006.124 § 3. Bildung jambischer Quinare (Blankverse). p3b_006.125 p3b_006.131 Was je | der Blu | me Du | gewänh | rest, gonn' | p3b_006.139 p3b_006.141Auch mei | nen Blu | men, mei | nen E | pheme | ren p3b_006.140 Zur Rei | fe Zeit, | in lang' | und kur | zem Da | sein. (Herder.) p3b_006.001 Er schmückte mit dem Lorbeerkranz p3b_006.102 [Ende Spaltensatz]
Nur einen Krieger, schön und jung. p3b_006.103 „O Gott, das ist ja Franz, mein Sohn!“ p3b_006.104 Dies rief entzückt die Frau so laut, p3b_006.105 Daß alle Beter drob erschreckt p3b_006.106 Nach ihr die Blicke wandten. ─ p3b_006.107 Sie meinten, daß der armen Frau p3b_006.108 Ein Unfall zugestoßen sei. p3b_006.109 Doch diese fühlte ─ (wunderbar! ─) p3b_006.110 Die reinste Freude in der Brust. p3b_006.111 Voll Himmelstrost verließ sie dann p3b_006.112 Die Kirche mit der Beter Schar. p3b_006.113 Und draußen sah viel Kinder sie p3b_006.114 Zusammenlaufen, gaffen, schrei'n. p3b_006.115 Viel schmucke Reiter trabten an, p3b_006.116 Trompeten blasend nahten sie. p3b_006.117 Vor Freude wäre fast die Frau p3b_006.118 Gestorben, denn den Reitern all' p3b_006.119 Ritt stolz voran als Oberst ─ wer? p3b_006.120 Jhr teurer Sohn, der sehnsuchtsvoll p3b_006.121 Aufsuchte seiner Mutter Haus. p3b_006.122 p3b_006.124 § 3. Bildung jambischer Quinare (Blankverse). p3b_006.125 p3b_006.131 Wăs je │ dĕr Blū │ mĕ Dū │ gĕwǟh │ rĕst, gȫnn' │ p3b_006.139 p3b_006.141Auch mei │ nen Blu │ men, mei │ nen E │ pheme │ ren p3b_006.140 Zur Rei │ fe Zeit, │ in lang' │ und kur │ zem Da │ sein. 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Der Miltonsche jambische Quinar hat stets männlichen Schluß, <lb n="p3b_006.132"/> der Shakespearesche gestattet bald weibliche, bald männliche Endung. <lb n="p3b_006.133"/> Um nicht in Zweifel über die Versgliederung zu geraten und das <lb n="p3b_006.134"/> Ende der Blankverse zu markieren, haben bessere Dichter (seit Lessing) <lb n="p3b_006.135"/> den Shakespeareschen Quinar angewandt, also den letzten Takt <hi rendition="#g">zuweilen</hi> <lb n="p3b_006.136"/> hyperkatalektisch (überzählig) gebildet, z. B. Vers 2 und 3 der folgenden <lb n="p3b_006.137"/> Probe:</p> <lb n="p3b_006.138"/> <lg> <l>Wăs je │ dĕr Blū │ mĕ Dū │ gĕwǟh │ rĕst, gȫnn' │</l> <lb n="p3b_006.139"/> <l>Auch mei │ nen Blu │ men, mei │ nen E │ pheme │ ren</l> <lb n="p3b_006.140"/> <l>Zur Rei │ fe Zeit, │ in lang' │ und kur │ zem Da │ sein.</l> </lg> <lb n="p3b_006.141"/> <p> <hi rendition="#right">(Herder.)</hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [6/0032]
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der einem schönen, jungen Soldaten p3b_006.002
einen Kranz │ auf den Kopf setzte. │ p3b_006.003
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Karl!“ │ rief die Frau laut, │ so daß p3b_006.005
die andern Beter alle erschrocken │ umschauten p3b_006.006
│ und meinten, der Frau │ sei p3b_006.007
etwas zugestoßen. │ Die Frau aber p3b_006.008
fühlte eine wunderbare │ Freude in der p3b_006.009
Brust │ und ging himmlischen Trostes p3b_006.010
voll │ aus der Kirche. │ Da sah sie p3b_006.011
draußen die Jungen │ zusammen laufen, p3b_006.012
│ schmucke Reiter trabten │ unter p3b_006.013
Trompetenblasen daher, │ und ─ bald p3b_006.014
wäre die Frau vor Freuden │ gestorben, p3b_006.015
denn all den Reitern │ voran stolzierte p3b_006.016
als Oberst │ ihr Franz Karl │ und suchte p3b_006.017
seiner Mutter Haus auf. │
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Er schmückte mit dem Lorbeerkranz p3b_006.102
Nur einen Krieger, schön und jung. p3b_006.103
„O Gott, das ist ja Franz, mein Sohn!“ p3b_006.104
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Nach ihr die Blicke wandten. ─ p3b_006.107
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Viel schmucke Reiter trabten an, p3b_006.116
Trompeten blasend nahten sie. p3b_006.117
Vor Freude wäre fast die Frau p3b_006.118
Gestorben, denn den Reitern all' p3b_006.119
Ritt stolz voran als Oberst ─ wer? p3b_006.120
Jhr teurer Sohn, der sehnsuchtsvoll p3b_006.121
Aufsuchte seiner Mutter Haus.
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(NB. Weiteres Material zu Übungen im jambischen Viertakter bieten p3b_006.123
Märchen und kleine, freundliche Erzählungen.)
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§ 3. Bildung jambischer Quinare (Blankverse). p3b_006.125
1. Satzende und Ende des Blankverses (⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ –) brauchen p3b_006.126
nicht unbedingt zusammen zu fallen, vielmehr darf der Satz zuweilen p3b_006.127
in die neue Verszeile hinüberragen. Zu oft soll dies freilich nicht p3b_006.128
geschehen, weil dies zwar jambischen Rhythmus, nicht aber jambische p3b_006.129
Quinare ergeben würde. Das Enjambement (Überschreiten) sollte in p3b_006.130
der Lyrik nie, im epischen Gedicht nur selten vorkommen.
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2. Der Miltonsche jambische Quinar hat stets männlichen Schluß, p3b_006.132
der Shakespearesche gestattet bald weibliche, bald männliche Endung. p3b_006.133
Um nicht in Zweifel über die Versgliederung zu geraten und das p3b_006.134
Ende der Blankverse zu markieren, haben bessere Dichter (seit Lessing) p3b_006.135
den Shakespeareschen Quinar angewandt, also den letzten Takt zuweilen p3b_006.136
hyperkatalektisch (überzählig) gebildet, z. B. Vers 2 und 3 der folgenden p3b_006.137
Probe:
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Wăs je │ dĕr Blū │ mĕ Dū │ gĕwǟh │ rĕst, gȫnn' │ p3b_006.139
Auch mei │ nen Blu │ men, mei │ nen E │ pheme │ ren p3b_006.140
Zur Rei │ fe Zeit, │ in lang' │ und kur │ zem Da │ sein.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/32>, abgerufen am 16.07.2024. |