Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_205.001 p3b_205.007 p3b_205.013 p3b_205.017 p3b_205.019 p3b_205.023 p3b_205.027 p3b_205.030 p3b_205.031 p3b_205.032 p3b_205.033 p3b_205.034 p3b_205.035 p3b_205.036 p3b_205.037 p3b_205.042 p3b_205.001 p3b_205.007 p3b_205.013 p3b_205.017 p3b_205.019 p3b_205.023 p3b_205.027 p3b_205.030 p3b_205.031 p3b_205.032 p3b_205.033 p3b_205.034 p3b_205.035 p3b_205.036 p3b_205.037 p3b_205.042 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0231" n="205"/><lb n="p3b_205.001"/> und gehen doch sogar einzelne Dichter (z. B. in Bezug auf Theogonie) ihre <lb n="p3b_205.002"/> ganz besonderen Wege! Wer in diesen Jrrgängen nicht bewandert ist, wird beispielsweise <lb n="p3b_205.003"/> die Ovidischen Metamorphosen nicht verstehen, geschweige übersetzen können. <lb n="p3b_205.004"/> Ähnlich ist es mit der Odyssee und der Jlias, mit der Frithjofssage, mit der Kalewala, <lb n="p3b_205.005"/> mit dem Mah<hi rendition="#aq">â</hi>bh<hi rendition="#aq">â</hi>rata &c. Somit fordern wir vom Übersetzer die entsprechende <lb n="p3b_205.006"/> (hieratische, poetische, dogmatische, künstlerische) Behandlung der Mythologie.</p> <p><lb n="p3b_205.007"/> 11. Der Übersetzer muß auch mit dem Gegenstande des Originalgedichts <lb n="p3b_205.008"/> auf vertrautem Fuße stehen. Wer würde z. B. die Georgica Vergils übersetzen <lb n="p3b_205.009"/> können, wenn er von Landbau, Bienenzucht &c. keine Ahnung hat? Umfassende <lb n="p3b_205.010"/> Sach- und Fachkenntnis ist unerläßliche Bedingung des Übersetzers. <lb n="p3b_205.011"/> (Luther mußte sich z. B. um gewisse Stellen übersetzen zu können, in denen <lb n="p3b_205.012"/> Edelsteine vorkommen, letztere entlehnen.)</p> <p><lb n="p3b_205.013"/> 12. Aber dies alles genügt noch nicht: der Übersetzer muß auch die <lb n="p3b_205.014"/> Fähigkeit besitzen, sich in den Geist und den Gedankengang seines Autors, und <lb n="p3b_205.015"/> in dessen Stellung inmitten seiner Zeit oder seines Volkes und der handelnden <lb n="p3b_205.016"/> Jndividuen desselben hineinzudenken.</p> <p><lb n="p3b_205.017"/> 13. Weiter ist vom Übersetzer Kunstsinn, feiner Geschmack und Verständnis <lb n="p3b_205.018"/> der Schönheiten des Originals zu verlangen.</p> <p><lb n="p3b_205.019"/> 14. Auch sollte er die Vorzüge seiner Vorgänger sich gewissenhaft aneignen. <lb n="p3b_205.020"/> „Wenn jeder Übersetzer wieder mit Null anfängt, wird es ihm schwer <lb n="p3b_205.021"/> werden, seine Vorgänger zu überholen, und jeder Arbeiter in Wissenschaft und <lb n="p3b_205.022"/> Kunst läßt sich leichter spoliieren als ignorieren!“</p> <p><lb n="p3b_205.023"/> 15. Jndes ist es nicht hinreichend, das von den Vorgängern Geleistete <lb n="p3b_205.024"/> eklektisch (einfach äußerlich) sich anzueignen. Dies würde zum Handwerk, nicht <lb n="p3b_205.025"/> aber zur Kunst führen; wir verlangen auch inneres Aneignen der vorhandenen, <lb n="p3b_205.026"/> erprobten Vorteile, inneres Verdauen der Methode &c.</p> <p><lb n="p3b_205.027"/> 16. Jn gar vielen Stücken muß sich der heutige Übersetzer gegensätzlich <lb n="p3b_205.028"/> zu den meisten seiner früheren Kollegen verhalten und von ihren Gepflogenheiten <lb n="p3b_205.029"/> und Freiheiten geradezu abweichen. Dies ist besonders der Fall:</p> <p> <lb n="p3b_205.030"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">a</hi>. in Beachtung des deutschen Accents (Prosodie),</hi> </p> <p> <lb n="p3b_205.031"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">b</hi>. in der Apostrophierung,</hi> </p> <p> <lb n="p3b_205.032"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">c</hi>. in der Wortstellung (Hyberbaton),</hi> </p> <p> <lb n="p3b_205.033"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">d</hi>. in Anwendung der Ellipse,</hi> </p> <p> <lb n="p3b_205.034"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">e</hi>. in der Ausschmückung,</hi> </p> <p> <lb n="p3b_205.035"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">f</hi>. in der Nachahmung der Manier.</hi> </p> <p><lb n="p3b_205.036"/> 17. <hi rendition="#aq">a</hi>. <hi rendition="#g">Accent.</hi></p> <p><lb n="p3b_205.037"/> Mit Recht wurde der Accent ein Heiligtum in unserer accentuierenden <lb n="p3b_205.038"/> deutschen Sprache genannt. Sind es doch nur wenige Wörter im Deutschen, <lb n="p3b_205.039"/> die wie im Griechischen den Accent wechseln können! Unser deutscher Accent <lb n="p3b_205.040"/> ist feststehend und hätte daher von den meisten philologischen Übersetzern etwas <lb n="p3b_205.041"/> mehr geschont werden sollen.</p> <p><lb n="p3b_205.042"/> Niemals darf der Übersetzer Wörter wie mǖ́hsām, ū́mkēhrt, schwḗrschōlliges, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [205/0231]
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und gehen doch sogar einzelne Dichter (z. B. in Bezug auf Theogonie) ihre p3b_205.002
ganz besonderen Wege! Wer in diesen Jrrgängen nicht bewandert ist, wird beispielsweise p3b_205.003
die Ovidischen Metamorphosen nicht verstehen, geschweige übersetzen können. p3b_205.004
Ähnlich ist es mit der Odyssee und der Jlias, mit der Frithjofssage, mit der Kalewala, p3b_205.005
mit dem Mahâbhârata &c. Somit fordern wir vom Übersetzer die entsprechende p3b_205.006
(hieratische, poetische, dogmatische, künstlerische) Behandlung der Mythologie.
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11. Der Übersetzer muß auch mit dem Gegenstande des Originalgedichts p3b_205.008
auf vertrautem Fuße stehen. Wer würde z. B. die Georgica Vergils übersetzen p3b_205.009
können, wenn er von Landbau, Bienenzucht &c. keine Ahnung hat? Umfassende p3b_205.010
Sach- und Fachkenntnis ist unerläßliche Bedingung des Übersetzers. p3b_205.011
(Luther mußte sich z. B. um gewisse Stellen übersetzen zu können, in denen p3b_205.012
Edelsteine vorkommen, letztere entlehnen.)
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12. Aber dies alles genügt noch nicht: der Übersetzer muß auch die p3b_205.014
Fähigkeit besitzen, sich in den Geist und den Gedankengang seines Autors, und p3b_205.015
in dessen Stellung inmitten seiner Zeit oder seines Volkes und der handelnden p3b_205.016
Jndividuen desselben hineinzudenken.
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13. Weiter ist vom Übersetzer Kunstsinn, feiner Geschmack und Verständnis p3b_205.018
der Schönheiten des Originals zu verlangen.
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14. Auch sollte er die Vorzüge seiner Vorgänger sich gewissenhaft aneignen. p3b_205.020
„Wenn jeder Übersetzer wieder mit Null anfängt, wird es ihm schwer p3b_205.021
werden, seine Vorgänger zu überholen, und jeder Arbeiter in Wissenschaft und p3b_205.022
Kunst läßt sich leichter spoliieren als ignorieren!“
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15. Jndes ist es nicht hinreichend, das von den Vorgängern Geleistete p3b_205.024
eklektisch (einfach äußerlich) sich anzueignen. Dies würde zum Handwerk, nicht p3b_205.025
aber zur Kunst führen; wir verlangen auch inneres Aneignen der vorhandenen, p3b_205.026
erprobten Vorteile, inneres Verdauen der Methode &c.
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16. Jn gar vielen Stücken muß sich der heutige Übersetzer gegensätzlich p3b_205.028
zu den meisten seiner früheren Kollegen verhalten und von ihren Gepflogenheiten p3b_205.029
und Freiheiten geradezu abweichen. Dies ist besonders der Fall:
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a. in Beachtung des deutschen Accents (Prosodie),
p3b_205.031
b. in der Apostrophierung,
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c. in der Wortstellung (Hyberbaton),
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d. in Anwendung der Ellipse,
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e. in der Ausschmückung,
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f. in der Nachahmung der Manier.
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17. a. Accent.
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Mit Recht wurde der Accent ein Heiligtum in unserer accentuierenden p3b_205.038
deutschen Sprache genannt. Sind es doch nur wenige Wörter im Deutschen, p3b_205.039
die wie im Griechischen den Accent wechseln können! Unser deutscher Accent p3b_205.040
ist feststehend und hätte daher von den meisten philologischen Übersetzern etwas p3b_205.041
mehr geschont werden sollen.
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Niemals darf der Übersetzer Wörter wie mǖ́hsām, ū́mkēhrt, schwḗrschōlliges,
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