Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_203.001 p3b_203.017 p3b_203.027 B. Anforderungen an den Übersetzer und Anleitung. p3b_203.028 p3b_203.030 p3b_203.034 p3b_203.035 p3b_203.036 p3b_203.037 p3b_203.038 p3b_203.001 p3b_203.017 p3b_203.027 B. Anforderungen an den Übersetzer und Anleitung. p3b_203.028 p3b_203.030 p3b_203.034 p3b_203.035 p3b_203.036 p3b_203.037 p3b_203.038 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0229" n="203"/><lb n="p3b_203.001"/> Dichter-Vorgang bereits namhafte Übersetzer von der traditionellen Übersetzersprache <lb n="p3b_203.002"/> sich abgewandt und einer ungekünstelten, ungezwungenen, unverrenkten, natürlichen <lb n="p3b_203.003"/> Sprache sich zugekehrt, welche schönen Fluß, Wohlklang, Anmut, Glätte mit <lb n="p3b_203.004"/> Wärme des Rhythmus verbindet, ohne dem Geiste und der Empfindung des <lb n="p3b_203.005"/> Urbilds untreu zu werden. Jch erinnere nur an die wirklich salonfähigen, <lb n="p3b_203.006"/> durch ihre Lesbarkeit wohlthuend=anheimelnden Übersetzungen eines Geibel, Rückert, <lb n="p3b_203.007"/> Freiligrath, Th. Kayser und Marbach. Diese dichterischen Übersetzungen geben <lb n="p3b_203.008"/> uns nicht durchweg die Treue des Buchstabens, wohl aber mit Feinsinnigkeit <lb n="p3b_203.009"/> und Ausprägung aller Schönheiten und des großen Stils ihrer Urbilder ─ <lb n="p3b_203.010"/> <hi rendition="#g">die Treue der Sache.</hi> Sie zeichnen sich durch ihr gutes Deutsch aus, durch <lb n="p3b_203.011"/> ihre Formenschönheit, durch Vornehmheit im Stil, durch Wohlklang im Rhythmus; <lb n="p3b_203.012"/> sie erreichen den Ton der Versart, ohne dem Genius der Sprache untreu <lb n="p3b_203.013"/> zu sein, ja, sie entsprechen unseren Anforderungen an gute Übersetzungen, d. h. <lb n="p3b_203.014"/> <hi rendition="#g">sie sind elegant und populär, lesen sich wie deutsche Originalgedichte <lb n="p3b_203.015"/> und befriedigen ebenso den metrischen Kunstrichter wie <lb n="p3b_203.016"/> den gelehrten Philologen und den gebildeten Laien.</hi></p> <p><lb n="p3b_203.017"/> 14. Nach diesen Leistungen ist es angezeigt, zwar die Treue zu empfehlen, <lb n="p3b_203.018"/> aber neben ihr die <hi rendition="#g">Lesbarkeit</hi> im Sinne eines Goethe, Schiller, Uhland, <lb n="p3b_203.019"/> Platen als das Höhere: <hi rendition="#g">als die erste Forderung</hi> aufzustellen. Der Übersetzer <lb n="p3b_203.020"/> möge alles Undeutsche, Holprichte, Anstößige, Eckige in seinen Übersetzungen <lb n="p3b_203.021"/> durch den Verzicht auf eine allzu originelle Behandlung (Mißhandlung) der <lb n="p3b_203.022"/> deutschen Sprache im Sinne Vossens (namentlich in dessen Ovid) vermeiden <lb n="p3b_203.023"/> und unter Beachtung der philologischen Anforderungen die lebendige Schönheit <lb n="p3b_203.024"/> durch künstlerische Handhabung unserer Sprache erstreben, damit nicht die Kunst <lb n="p3b_203.025"/> da den Dienst versage, wo das Original Wärme und dichterischen Schwung <lb n="p3b_203.026"/> beansprucht.</p> </div> <div n="3"> <lb n="p3b_203.027"/> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">B</hi>. <hi rendition="#g">Anforderungen an den Übersetzer und Anleitung</hi>.</hi> </head> <p><lb n="p3b_203.028"/> 1. Wer ein tüchtiger Übersetzer werden will, muß sich selbstredend fleißig <lb n="p3b_203.029"/> im Übersetzen <hi rendition="#g">üben.</hi></p> <p><lb n="p3b_203.030"/> 2. Zunächst versuche er sich an unseren (weiter unten zu gebenden) <lb n="p3b_203.031"/> Aufgaben, die er sich je nach seiner Fähigkeit auswählen kann. Er möge je <lb n="p3b_203.032"/> einen Satz bis zum Endpunkt gründlich durchlesen, dabei das Einzelne genau <lb n="p3b_203.033"/> erwägen, damit er:</p> <p> <lb n="p3b_203.034"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">a</hi>. in den Sinn und Geist des Originals eindringe,</hi> </p> <p> <lb n="p3b_203.035"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">b</hi>. die Affekte der Worte des Originals in ihrer Wiedergabe erfasse,</hi> </p> <p> <lb n="p3b_203.036"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">c</hi>. deutlich und klar in seinem Ausdruck werde,</hi> </p> <p> <lb n="p3b_203.037"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">d</hi>. den Wohllaut der Reinheit empfinde.</hi> </p> <p><lb n="p3b_203.038"/> 3. Bei schwierigen Stellen empfiehlt es sich, im Kopfe oder auch auf <lb n="p3b_203.039"/> dem Papier das Original Wort um Wort, Satz um Satz, Vers um Vers <lb n="p3b_203.040"/> zuerst in Prosa sorgfältig zu übertragen, vielleicht sogar zweimal: erst in wörtlicher, <lb n="p3b_203.041"/> dann in flüssiger Form. Aus dieser flüssigen Übertragung muß der <lb n="p3b_203.042"/> Übersetzer wo möglich mit den gleichen Ausdrücken ein Übersetzungs-Gedicht </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [203/0229]
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Dichter-Vorgang bereits namhafte Übersetzer von der traditionellen Übersetzersprache p3b_203.002
sich abgewandt und einer ungekünstelten, ungezwungenen, unverrenkten, natürlichen p3b_203.003
Sprache sich zugekehrt, welche schönen Fluß, Wohlklang, Anmut, Glätte mit p3b_203.004
Wärme des Rhythmus verbindet, ohne dem Geiste und der Empfindung des p3b_203.005
Urbilds untreu zu werden. Jch erinnere nur an die wirklich salonfähigen, p3b_203.006
durch ihre Lesbarkeit wohlthuend=anheimelnden Übersetzungen eines Geibel, Rückert, p3b_203.007
Freiligrath, Th. Kayser und Marbach. Diese dichterischen Übersetzungen geben p3b_203.008
uns nicht durchweg die Treue des Buchstabens, wohl aber mit Feinsinnigkeit p3b_203.009
und Ausprägung aller Schönheiten und des großen Stils ihrer Urbilder ─ p3b_203.010
die Treue der Sache. Sie zeichnen sich durch ihr gutes Deutsch aus, durch p3b_203.011
ihre Formenschönheit, durch Vornehmheit im Stil, durch Wohlklang im Rhythmus; p3b_203.012
sie erreichen den Ton der Versart, ohne dem Genius der Sprache untreu p3b_203.013
zu sein, ja, sie entsprechen unseren Anforderungen an gute Übersetzungen, d. h. p3b_203.014
sie sind elegant und populär, lesen sich wie deutsche Originalgedichte p3b_203.015
und befriedigen ebenso den metrischen Kunstrichter wie p3b_203.016
den gelehrten Philologen und den gebildeten Laien.
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14. Nach diesen Leistungen ist es angezeigt, zwar die Treue zu empfehlen, p3b_203.018
aber neben ihr die Lesbarkeit im Sinne eines Goethe, Schiller, Uhland, p3b_203.019
Platen als das Höhere: als die erste Forderung aufzustellen. Der Übersetzer p3b_203.020
möge alles Undeutsche, Holprichte, Anstößige, Eckige in seinen Übersetzungen p3b_203.021
durch den Verzicht auf eine allzu originelle Behandlung (Mißhandlung) der p3b_203.022
deutschen Sprache im Sinne Vossens (namentlich in dessen Ovid) vermeiden p3b_203.023
und unter Beachtung der philologischen Anforderungen die lebendige Schönheit p3b_203.024
durch künstlerische Handhabung unserer Sprache erstreben, damit nicht die Kunst p3b_203.025
da den Dienst versage, wo das Original Wärme und dichterischen Schwung p3b_203.026
beansprucht.
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B. Anforderungen an den Übersetzer und Anleitung. p3b_203.028
1. Wer ein tüchtiger Übersetzer werden will, muß sich selbstredend fleißig p3b_203.029
im Übersetzen üben.
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2. Zunächst versuche er sich an unseren (weiter unten zu gebenden) p3b_203.031
Aufgaben, die er sich je nach seiner Fähigkeit auswählen kann. Er möge je p3b_203.032
einen Satz bis zum Endpunkt gründlich durchlesen, dabei das Einzelne genau p3b_203.033
erwägen, damit er:
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a. in den Sinn und Geist des Originals eindringe,
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b. die Affekte der Worte des Originals in ihrer Wiedergabe erfasse,
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c. deutlich und klar in seinem Ausdruck werde,
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d. den Wohllaut der Reinheit empfinde.
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3. Bei schwierigen Stellen empfiehlt es sich, im Kopfe oder auch auf p3b_203.039
dem Papier das Original Wort um Wort, Satz um Satz, Vers um Vers p3b_203.040
zuerst in Prosa sorgfältig zu übertragen, vielleicht sogar zweimal: erst in wörtlicher, p3b_203.041
dann in flüssiger Form. Aus dieser flüssigen Übertragung muß der p3b_203.042
Übersetzer wo möglich mit den gleichen Ausdrücken ein Übersetzungs-Gedicht
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