Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_193.001 p3b_193.038 II. Römische Dichter. p3b_193.039 p3b_193.001 p3b_193.038 II. Römische Dichter. p3b_193.039 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0219" n="193"/> <p><lb n="p3b_193.001"/> Moderne Bearbeitungen der griechischen Tragiker. Mehrere Übersetzer <lb n="p3b_193.002"/> der griechischen Tragiker haben (nach Schillers Vorgang, der die Jphigenie <lb n="p3b_193.003"/> in Aulis und Scenen aus den Phönizierinnen des Euripides übertragen hat) <lb n="p3b_193.004"/> eine Reproduktion der antiken Tragödie in modernen Versformen versucht: im <lb n="p3b_193.005"/> Dialog durch Einführung des Blankverses, in den lyrischen Partien durch die <lb n="p3b_193.006"/> Wahl einfacherer, uns geläufiger Rhythmen teils <hi rendition="#g">mit,</hi> teils <hi rendition="#g">ohne</hi> Anwendung <lb n="p3b_193.007"/> des Reims. Es läßt sich nicht leugnen, daß der langatmige, jambische Trimeter <lb n="p3b_193.008"/> für unser Ohr, das sich an den leichten Fluß des englischen Verses <lb n="p3b_193.009"/> gewöhnt hat, zumal in längerer Rede, etwas Schweres und Steifes, ja Unnatürliches <lb n="p3b_193.010"/> hat, während durch die Vertauschung desselben mit dem kurzen jambischen <lb n="p3b_193.011"/> Verse der Ton leichter und natürlicher wird. Ebenso bringen die in <lb n="p3b_193.012"/> freierem Rhythmus nachgebildeten Chorgesänge einen ganz anderen Eindruck <lb n="p3b_193.013"/> hervor, als die in das antike Versmaß gezwängten, den Worten des Originals <lb n="p3b_193.014"/> mehr oder weniger sich nachschleppenden Verdolmetschungen, bei welchen wir <lb n="p3b_193.015"/> nicht imstande sind, auch nur annähernd das zu fühlen, was die Griechen <lb n="p3b_193.016"/> beim Anhören ihrer Chorgesänge empfunden haben mögen: schon deshalb nicht, <lb n="p3b_193.017"/> weil uns Modernen die antike musikalische Begleitung fehlt. Um einen <hi rendition="#g">musikalischen</hi> <lb n="p3b_193.018"/> Eindruck zu erzielen, muß man, wie Schiller gezeigt hat, den <lb n="p3b_193.019"/> <hi rendition="#g">Reim</hi> zu Hilfe nehmen. Jn dieser Weise sind die griechischen Tragiker ganz <lb n="p3b_193.020"/> oder teilweise von Wilh. Jordan, C. Th. Gravenhorst, Oswald Marbach, Adolf <lb n="p3b_193.021"/> Wilbrandt, Theod. Kayser u. a. übertragen worden. W. <hi rendition="#g">Jordan</hi> (Sophokles) <lb n="p3b_193.022"/> und <hi rendition="#g">Ad. Wilbrandt</hi> (Stücke aus Sophokles und Euripides) verzichten auf <lb n="p3b_193.023"/> den Reim; letzterer hat überhaupt die Chorgesänge vielfach ganz frei umgestaltet. <lb n="p3b_193.024"/> <hi rendition="#g">Oswald Marbach,</hi> der Übersetzer des Sophokles (1867), hat in neuester <lb n="p3b_193.025"/> Zeit auch Äschylos' Tragödien meisterhaft übersetzt (1883). Nicht Worte, Verse <lb n="p3b_193.026"/> und Vorstellungen, sondern Gedanken, Empfindungen und Charaktere suchte der <lb n="p3b_193.027"/> gelehrte Dichter-Übersetzer treu wiederzugeben und neu zu beleben. <hi rendition="#g">Theodor <lb n="p3b_193.028"/> Kayser</hi> hat die beiden Ödipus und die Antigone des Sophokles, sowie die <lb n="p3b_193.029"/> taurische Jphigenie des Euripides ebenso mustergültig übersetzt (1878 ff.). Diese <lb n="p3b_193.030"/> Übertragungen stehen auf der Höhe der Übersetzungskunst: sie lesen sich wie <lb n="p3b_193.031"/> deutsche Original-Dichtungen und bleiben dabei doch dem griechischen Originale <lb n="p3b_193.032"/> treu. Geradezu bewundernswert ist die Kunst, mit welcher es Kayser in den <lb n="p3b_193.033"/> dichterische Kraft beanspruchenden lyrischen Partien wie keinem seiner Vorgänger <lb n="p3b_193.034"/> gelang, durch gefällige Verschränkung der Reime, durch angemessenen Wechsel <lb n="p3b_193.035"/> von längeren und kürzeren Versen, durch eine dem Jnhalt entsprechende Mannigfaltigkeit <lb n="p3b_193.036"/> der rhythmischen Bewegung alle Einförmigkeit zu vermeiden und einen <lb n="p3b_193.037"/> dem Original möglichst verwandten Eindruck hervorzurufen.</p> </div> <div n="3"> <lb n="p3b_193.038"/> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">II</hi>. Römische Dichter.</hi> </head> <p><lb n="p3b_193.039"/> Schon lange vor Voß und nachdem man die griechischen Maße übertragen <lb n="p3b_193.040"/> und sich an griechischen Dichtern versucht hatte, wagte man sich auch an römische. <lb n="p3b_193.041"/> Zu erwähnen ist zuerst und besonders der geniale <hi rendition="#g">Ramler.</hi> Dieser, von <lb n="p3b_193.042"/> Lessing auch in Handhabung der Feile anerkannte Meister, hat zuerst die antiken </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [193/0219]
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Moderne Bearbeitungen der griechischen Tragiker. Mehrere Übersetzer p3b_193.002
der griechischen Tragiker haben (nach Schillers Vorgang, der die Jphigenie p3b_193.003
in Aulis und Scenen aus den Phönizierinnen des Euripides übertragen hat) p3b_193.004
eine Reproduktion der antiken Tragödie in modernen Versformen versucht: im p3b_193.005
Dialog durch Einführung des Blankverses, in den lyrischen Partien durch die p3b_193.006
Wahl einfacherer, uns geläufiger Rhythmen teils mit, teils ohne Anwendung p3b_193.007
des Reims. Es läßt sich nicht leugnen, daß der langatmige, jambische Trimeter p3b_193.008
für unser Ohr, das sich an den leichten Fluß des englischen Verses p3b_193.009
gewöhnt hat, zumal in längerer Rede, etwas Schweres und Steifes, ja Unnatürliches p3b_193.010
hat, während durch die Vertauschung desselben mit dem kurzen jambischen p3b_193.011
Verse der Ton leichter und natürlicher wird. Ebenso bringen die in p3b_193.012
freierem Rhythmus nachgebildeten Chorgesänge einen ganz anderen Eindruck p3b_193.013
hervor, als die in das antike Versmaß gezwängten, den Worten des Originals p3b_193.014
mehr oder weniger sich nachschleppenden Verdolmetschungen, bei welchen wir p3b_193.015
nicht imstande sind, auch nur annähernd das zu fühlen, was die Griechen p3b_193.016
beim Anhören ihrer Chorgesänge empfunden haben mögen: schon deshalb nicht, p3b_193.017
weil uns Modernen die antike musikalische Begleitung fehlt. Um einen musikalischen p3b_193.018
Eindruck zu erzielen, muß man, wie Schiller gezeigt hat, den p3b_193.019
Reim zu Hilfe nehmen. Jn dieser Weise sind die griechischen Tragiker ganz p3b_193.020
oder teilweise von Wilh. Jordan, C. Th. Gravenhorst, Oswald Marbach, Adolf p3b_193.021
Wilbrandt, Theod. Kayser u. a. übertragen worden. W. Jordan (Sophokles) p3b_193.022
und Ad. Wilbrandt (Stücke aus Sophokles und Euripides) verzichten auf p3b_193.023
den Reim; letzterer hat überhaupt die Chorgesänge vielfach ganz frei umgestaltet. p3b_193.024
Oswald Marbach, der Übersetzer des Sophokles (1867), hat in neuester p3b_193.025
Zeit auch Äschylos' Tragödien meisterhaft übersetzt (1883). Nicht Worte, Verse p3b_193.026
und Vorstellungen, sondern Gedanken, Empfindungen und Charaktere suchte der p3b_193.027
gelehrte Dichter-Übersetzer treu wiederzugeben und neu zu beleben. Theodor p3b_193.028
Kayser hat die beiden Ödipus und die Antigone des Sophokles, sowie die p3b_193.029
taurische Jphigenie des Euripides ebenso mustergültig übersetzt (1878 ff.). Diese p3b_193.030
Übertragungen stehen auf der Höhe der Übersetzungskunst: sie lesen sich wie p3b_193.031
deutsche Original-Dichtungen und bleiben dabei doch dem griechischen Originale p3b_193.032
treu. Geradezu bewundernswert ist die Kunst, mit welcher es Kayser in den p3b_193.033
dichterische Kraft beanspruchenden lyrischen Partien wie keinem seiner Vorgänger p3b_193.034
gelang, durch gefällige Verschränkung der Reime, durch angemessenen Wechsel p3b_193.035
von längeren und kürzeren Versen, durch eine dem Jnhalt entsprechende Mannigfaltigkeit p3b_193.036
der rhythmischen Bewegung alle Einförmigkeit zu vermeiden und einen p3b_193.037
dem Original möglichst verwandten Eindruck hervorzurufen.
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II. Römische Dichter. p3b_193.039
Schon lange vor Voß und nachdem man die griechischen Maße übertragen p3b_193.040
und sich an griechischen Dichtern versucht hatte, wagte man sich auch an römische. p3b_193.041
Zu erwähnen ist zuerst und besonders der geniale Ramler. Dieser, von p3b_193.042
Lessing auch in Handhabung der Feile anerkannte Meister, hat zuerst die antiken
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