Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_186.001 p3b_186.004 p3b_186.010 p3b_186.019 p3b_186.023 p3b_186.029 p3b_186.036 p3b_186.042 p3b_186.001 p3b_186.004 p3b_186.010 p3b_186.019 p3b_186.023 p3b_186.029 p3b_186.036 p3b_186.042 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0212" n="186"/> <p><lb n="p3b_186.001"/> Seit <hi rendition="#g">Klopstock</hi> begann man ernstlich die Dichtwerke fremder Nationen zu <lb n="p3b_186.002"/> übertragen. Einzelne übersetzten in Alexandrinern, andere (z. B. <hi rendition="#g">Heinse</hi> den <lb n="p3b_186.003"/> Ariost 1782) in Prosa.</p> <p><lb n="p3b_186.004"/><hi rendition="#g">Lessing</hi> scheint in seinen Litteraturbriefen (31. Brief) noch die Übersetzung <lb n="p3b_186.005"/> in Prosa zu befürworten, indem er ausruft: „Da der Deutsche in seiner <lb n="p3b_186.006"/> poetischen Prosa am treuesten sein kann, warum soll er sich das Joch des <lb n="p3b_186.007"/> Silbenmaßes auflegen, wo er es nicht sein kann.“ Jn seinem Laokoon hält <lb n="p3b_186.008"/> er es für unmöglich, die Malerei, welche die Worte des Dichters mit hören <lb n="p3b_186.009"/> lasse, in eine andere Sprache zu übertragen.</p> <p><lb n="p3b_186.010"/><hi rendition="#g">Herder</hi> hat sich in seinen Fragmenten für die metrische Form poetischer <lb n="p3b_186.011"/> Übersetzungen entschieden, indem er dort ausspricht, daß er bei Übersetzung <lb n="p3b_186.012"/> Homers nicht gerne Poesie und Hexameter vermissen möchte. Zum Zusatz: <lb n="p3b_186.013"/> „<hi rendition="#g">aber Hexameter und Pentameter im griechischen Geschmack</hi>“ haben <lb n="p3b_186.014"/> ihn jedenfalls die stillosen, in der Prosodie prinziplosen Versuche <hi rendition="#g">Steinbrüchels</hi> <lb n="p3b_186.015"/> (3. Buch der Jlias, 1763) oder die früheren von <hi rendition="#g">Joh. Sprenger</hi> <lb n="p3b_186.016"/> (1610) veranlaßt, wie ihn ebenso wahrscheinlich <hi rendition="#g">Meinhards</hi> Versuche mit <lb n="p3b_186.017"/> Homer bestimmten, in „Krit. Wälder“ (1. Wäldchen) wiederum die Prosa= <lb n="p3b_186.018"/> Übersetzung zu empfehlen.</p> <p><lb n="p3b_186.019"/> Es folgten Übersetzungen auf Übersetzungen. Eine der ältesten scheint die <lb n="p3b_186.020"/> (1757 zu Basel) in Hexametern erschienene: „Vier auserlesene Meisterwerke <lb n="p3b_186.021"/> so vieler englischer Dichter“ &c. zu sein, über deren schlechten Ausfall sich <lb n="p3b_186.022"/> Lessing in den Litteraturbriefen (39. Br.) ergötzt.</p> <p><lb n="p3b_186.023"/><hi rendition="#g">Zachariä</hi> übersetzte den Milton im <hi rendition="#g">Maße der Messiade, um die <lb n="p3b_186.024"/> im Deutschen bereits eingebürgerte antike Form zu haben.</hi> Dafür <lb n="p3b_186.025"/> versuchte nun wieder Bürger, dem freilich die philologischen Kenntnisse eines <lb n="p3b_186.026"/> Voß abgingen, den Homer in Miltons Blankvers zu übersetzen, wobei er seinen <lb n="p3b_186.027"/> (spezifisch Bürgerschen) Jambus mit allen Fehlern jener Zeit anwandte. (Sein <lb n="p3b_186.028"/> Vorgehen verteidigte er im Oktoberheft des deutschen Merkur 1776.)</p> <p><lb n="p3b_186.029"/> Männer der verschiedensten Geistesrichtung und Bildung <hi rendition="#g">vereinigten <lb n="p3b_186.030"/> sich nunmehr</hi> in dem Bestreben, das <hi rendition="#g">homerische Epos</hi> unserer Sprache zu <lb n="p3b_186.031"/> vermählen. Zwei Jahre nach <hi rendition="#g">Bürgers</hi> Versuch (1778) erschien <hi rendition="#g">Bodmers</hi> <lb n="p3b_186.032"/> Übersetzung der Jlias im Hexameter, die allenthalben den lateinischen Ursprung <lb n="p3b_186.033"/> verrät. (Der Verfasser unterdrückt die Verbindungspartikeln, gestattet sich syntaktische <lb n="p3b_186.034"/> Abschlüsse, wo im Original die Rede fortfließt und hält sich nicht an <lb n="p3b_186.035"/> den Periodenbau Homers.)</p> <p><lb n="p3b_186.036"/> Jugendlich frischer, wenn gleich noch ungenügend ist die Homerübersetzung <lb n="p3b_186.037"/> der Gebrüder Stolberg, die mit Wiedergabe des Sinnes zufrieden ist, ohne <lb n="p3b_186.038"/> sich pedantisch um das Einzelne zu kümmern. Sie ist wegen ihres Anschlusses <lb n="p3b_186.039"/> an die „Griechheit“ (griechischen Sinn, Geist, Form) <hi rendition="#g">als Anfang deutscher <lb n="p3b_186.040"/> Übersetzungskunst im eigentlichen Sinn</hi> anzusehen; sie veranlaßte das <lb n="p3b_186.041"/> Unterbleiben der oben erwähnten, von Bürger geplanten Übersetzung.</p> </div> <div n="3"> <p><lb n="p3b_186.042"/> Voß als Begründer der deutschen Übersetzungskunst. Eine Epoche <lb n="p3b_186.043"/> in der Übersetzungskunst bildete J. H. <hi rendition="#g">Voß</hi> mit seiner Homerübersetzung. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0212]
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Seit Klopstock begann man ernstlich die Dichtwerke fremder Nationen zu p3b_186.002
übertragen. Einzelne übersetzten in Alexandrinern, andere (z. B. Heinse den p3b_186.003
Ariost 1782) in Prosa.
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Lessing scheint in seinen Litteraturbriefen (31. Brief) noch die Übersetzung p3b_186.005
in Prosa zu befürworten, indem er ausruft: „Da der Deutsche in seiner p3b_186.006
poetischen Prosa am treuesten sein kann, warum soll er sich das Joch des p3b_186.007
Silbenmaßes auflegen, wo er es nicht sein kann.“ Jn seinem Laokoon hält p3b_186.008
er es für unmöglich, die Malerei, welche die Worte des Dichters mit hören p3b_186.009
lasse, in eine andere Sprache zu übertragen.
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Herder hat sich in seinen Fragmenten für die metrische Form poetischer p3b_186.011
Übersetzungen entschieden, indem er dort ausspricht, daß er bei Übersetzung p3b_186.012
Homers nicht gerne Poesie und Hexameter vermissen möchte. Zum Zusatz: p3b_186.013
„aber Hexameter und Pentameter im griechischen Geschmack“ haben p3b_186.014
ihn jedenfalls die stillosen, in der Prosodie prinziplosen Versuche Steinbrüchels p3b_186.015
(3. Buch der Jlias, 1763) oder die früheren von Joh. Sprenger p3b_186.016
(1610) veranlaßt, wie ihn ebenso wahrscheinlich Meinhards Versuche mit p3b_186.017
Homer bestimmten, in „Krit. Wälder“ (1. Wäldchen) wiederum die Prosa= p3b_186.018
Übersetzung zu empfehlen.
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Es folgten Übersetzungen auf Übersetzungen. Eine der ältesten scheint die p3b_186.020
(1757 zu Basel) in Hexametern erschienene: „Vier auserlesene Meisterwerke p3b_186.021
so vieler englischer Dichter“ &c. zu sein, über deren schlechten Ausfall sich p3b_186.022
Lessing in den Litteraturbriefen (39. Br.) ergötzt.
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Zachariä übersetzte den Milton im Maße der Messiade, um die p3b_186.024
im Deutschen bereits eingebürgerte antike Form zu haben. Dafür p3b_186.025
versuchte nun wieder Bürger, dem freilich die philologischen Kenntnisse eines p3b_186.026
Voß abgingen, den Homer in Miltons Blankvers zu übersetzen, wobei er seinen p3b_186.027
(spezifisch Bürgerschen) Jambus mit allen Fehlern jener Zeit anwandte. (Sein p3b_186.028
Vorgehen verteidigte er im Oktoberheft des deutschen Merkur 1776.)
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Männer der verschiedensten Geistesrichtung und Bildung vereinigten p3b_186.030
sich nunmehr in dem Bestreben, das homerische Epos unserer Sprache zu p3b_186.031
vermählen. Zwei Jahre nach Bürgers Versuch (1778) erschien Bodmers p3b_186.032
Übersetzung der Jlias im Hexameter, die allenthalben den lateinischen Ursprung p3b_186.033
verrät. (Der Verfasser unterdrückt die Verbindungspartikeln, gestattet sich syntaktische p3b_186.034
Abschlüsse, wo im Original die Rede fortfließt und hält sich nicht an p3b_186.035
den Periodenbau Homers.)
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Jugendlich frischer, wenn gleich noch ungenügend ist die Homerübersetzung p3b_186.037
der Gebrüder Stolberg, die mit Wiedergabe des Sinnes zufrieden ist, ohne p3b_186.038
sich pedantisch um das Einzelne zu kümmern. Sie ist wegen ihres Anschlusses p3b_186.039
an die „Griechheit“ (griechischen Sinn, Geist, Form) als Anfang deutscher p3b_186.040
Übersetzungskunst im eigentlichen Sinn anzusehen; sie veranlaßte das p3b_186.041
Unterbleiben der oben erwähnten, von Bürger geplanten Übersetzung.
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in der Übersetzungskunst bildete J. H. Voß mit seiner Homerübersetzung.
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