Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_130.001 Jch weiß ein Grab jenseits des bewegten Meers: p3b_130.002 p3b_130.005Dort wuchert Unkraut rings und der Dornenbusch, p3b_130.003 Und wenn die Welt entschlief am Abend, Ob dich der Mond, weltfernes, verlass'nes Grab, p3b_130.006 Wohl nächtens küßt, wenn Wind durch die Gräser streicht? p3b_130.007 - Mich faßt unendlich Weh: Von ferne p3b_130.009 p3b_130.011 § 50. Bildung asklepiadeischer Strophen. p3b_130.012 1. Form: - - Breve Breve - | - Breve Breve - Breve - p3b_130.018 p3b_130.025 p3b_130.029 p3b_130.035 p3b_130.001 Jch weiß ein Grab jenseits des bewegten Meers: p3b_130.002 p3b_130.005Dort wuchert Unkraut rings und der Dornenbusch, p3b_130.003 Und wenn die Welt entschlief am Abend, Ob dich der Mond, weltfernes, verlass'nes Grab, p3b_130.006 Wohl nächtens küßt, wenn Wind durch die Gräser streicht? p3b_130.007 ─ Mich faßt unendlich Weh: Von ferne p3b_130.009 p3b_130.011 § 50. Bildung asklepiadeischer Strophen. p3b_130.012 1. Form: – ⏒ – ⏑ ⏑ – │ – ⏑ ⏑ – ⏑ – p3b_130.018 p3b_130.025 p3b_130.029 p3b_130.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0156" n="130"/> <lb n="p3b_130.001"/> <lg> <l>Jch weiß ein Grab jenseits des bewegten Meers:</l> <lb n="p3b_130.002"/> <l>Dort wuchert Unkraut rings und der Dornenbusch,</l> <lb n="p3b_130.003"/> <l> Und wenn die Welt entschlief am Abend,</l> </lg> <lb n="p3b_130.005"/> <lg> <l>Ob dich der Mond, weltfernes, verlass'nes Grab,</l> <lb n="p3b_130.006"/> <l>Wohl nächtens küßt, wenn Wind durch die Gräser streicht?</l> <lb n="p3b_130.007"/> <l> ─ Mich faßt unendlich Weh: Von ferne</l> </lg> <p><lb n="p3b_130.009"/> (Das freundliche Gedicht würde noch größeren Eindruck machen, wenn die <lb n="p3b_130.010"/> beiden letzten Zeilen [d. h. ihr Jnhalt] die 5. und 6. Zeile ergeben würden.)</p> </div> <div n="2"> <lb n="p3b_130.011"/> <head> <hi rendition="#c">§ 50. Bildung asklepiadeischer Strophen.</hi> </head> <p><lb n="p3b_130.012"/> 1. Man unterscheidet zwei Formen asklepiadeischer Strophen. <lb n="p3b_130.013"/> Die erste enthält drei asklepiadeische Verse und einen abschließenden <lb n="p3b_130.014"/> glykonischen Vers, während die zweite an Stelle des dritten asklepiadeischen <lb n="p3b_130.015"/> Verses einen pherekratischen Vers eingefügt hat und dadurch <lb n="p3b_130.016"/> dreigliedrig wird: ein trikolisches Tetrastichon.</p> <lb n="p3b_130.017"/> <p> <hi rendition="#c">1. Form: – ⏒ – ⏑ ⏑ – │ – ⏑ ⏑ – ⏑ – <lb n="p3b_130.018"/> – ⏒ – ⏑ ⏑ – │ – ⏑ ⏑ – ⏑ – <lb n="p3b_130.019"/> – ⏒ – ⏑ ⏑ – │ – ⏑ ⏑ – ⏑ – <lb n="p3b_130.020"/> – ⏒ – ⏑ ⏑ – ⏑ – <lb n="p3b_130.021"/> 2. Form: – ⏒ – ⏑ ⏑ – │ – ⏑ ⏑ – ⏑ – <lb n="p3b_130.022"/> – ⏒ – ⏑ ⏑ – │ – ⏑ ⏑ – ⏑ – <lb n="p3b_130.023"/> – ⏒ – ⏑ ⏑ – ⏒ <lb n="p3b_130.024"/> – ⏒ – ⏑ ⏑ – ⏑</hi> </p> <p><lb n="p3b_130.025"/> 2. Es herrscht der Choriambus (– ⏑ ⏑ –) vor und zwar ist in der <lb n="p3b_130.026"/> letzten Zeile 1 Choriambus, in den andern Zeilen je 2 Choriamben <lb n="p3b_130.027"/> zwischen einen halbierten gestellt. Die beiden ersten und die beiden <lb n="p3b_130.028"/> letzten Silben jedes Verses ergeben wieder einen ganzen Choriambus.</p> <p><lb n="p3b_130.029"/> 3. Der den Hauptteil der Strophe bildende asklepiadeische Vers <lb n="p3b_130.030"/> gleicht dem Pentameter durch den Einschnitt des Verses in der Mitte; <lb n="p3b_130.031"/> ja, er müßte als solcher erkannt werden, wenn sein vorletzter Takt <lb n="p3b_130.032"/> anstatt eines Trochäus ein Daktylus sein würde. Der Unterschied <lb n="p3b_130.033"/> liegt darin, daß beim Pentameter der 1. Takt ein Daktylus sein kann, <lb n="p3b_130.034"/> während der vorletzte ein solcher sein muß. (Vgl. Poetik <hi rendition="#aq">I</hi>, 357.)</p> <p><lb n="p3b_130.035"/> 4. An Schönheit gewinnen die Verse der asklepiadeischen Strophe, <lb n="p3b_130.036"/> wenn sie mit einem trochäischen Spondeus beginnen. Klopstock, Platen <lb n="p3b_130.037"/> u. a. haben ihre Strophen (nach Horazens Vorgang) mehrfach <lb n="p3b_130.038"/> auf diese Weise gebildet (<hi rendition="#aq">I</hi>, 522 dieser Poetik. Vgl. Platens Werke <lb n="p3b_130.039"/> <hi rendition="#aq">II</hi>, 179).</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0156]
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Jch weiß ein Grab jenseits des bewegten Meers: p3b_130.002
Dort wuchert Unkraut rings und der Dornenbusch, p3b_130.003
Und wenn die Welt entschlief am Abend,
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Ob dich der Mond, weltfernes, verlass'nes Grab, p3b_130.006
Wohl nächtens küßt, wenn Wind durch die Gräser streicht? p3b_130.007
─ Mich faßt unendlich Weh: Von ferne
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(Das freundliche Gedicht würde noch größeren Eindruck machen, wenn die p3b_130.010
beiden letzten Zeilen [d. h. ihr Jnhalt] die 5. und 6. Zeile ergeben würden.)
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1. Man unterscheidet zwei Formen asklepiadeischer Strophen. p3b_130.013
Die erste enthält drei asklepiadeische Verse und einen abschließenden p3b_130.014
glykonischen Vers, während die zweite an Stelle des dritten asklepiadeischen p3b_130.015
Verses einen pherekratischen Vers eingefügt hat und dadurch p3b_130.016
dreigliedrig wird: ein trikolisches Tetrastichon.
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1. Form: – ⏒ – ⏑ ⏑ – │ – ⏑ ⏑ – ⏑ – p3b_130.018
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2. Es herrscht der Choriambus (– ⏑ ⏑ –) vor und zwar ist in der p3b_130.026
letzten Zeile 1 Choriambus, in den andern Zeilen je 2 Choriamben p3b_130.027
zwischen einen halbierten gestellt. Die beiden ersten und die beiden p3b_130.028
letzten Silben jedes Verses ergeben wieder einen ganzen Choriambus.
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3. Der den Hauptteil der Strophe bildende asklepiadeische Vers p3b_130.030
gleicht dem Pentameter durch den Einschnitt des Verses in der Mitte; p3b_130.031
ja, er müßte als solcher erkannt werden, wenn sein vorletzter Takt p3b_130.032
anstatt eines Trochäus ein Daktylus sein würde. Der Unterschied p3b_130.033
liegt darin, daß beim Pentameter der 1. Takt ein Daktylus sein kann, p3b_130.034
während der vorletzte ein solcher sein muß. (Vgl. Poetik I, 357.)
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4. An Schönheit gewinnen die Verse der asklepiadeischen Strophe, p3b_130.036
wenn sie mit einem trochäischen Spondeus beginnen. Klopstock, Platen p3b_130.037
u. a. haben ihre Strophen (nach Horazens Vorgang) mehrfach p3b_130.038
auf diese Weise gebildet (I, 522 dieser Poetik. Vgl. Platens Werke p3b_130.039
II, 179).
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