Viertes Hauptstück. p3b_104.002 Fremde moderne Strophen und Dichtungsformen. p3b_104.003 (Südliche Formen.) ------
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§ 38. Bildung von Sonetten.
p3b_104.005 1. Das Sonett ist eine Art Epigramm von 14 Verszeilen, welches p3b_104.006 in den ersten 8 Versen breiteren Raum für die Exposition zum p3b_104.007 epischen Vordersatz gewährt, während die 6 folgenden Zeilen den lyrischen p3b_104.008 Nachsatz (die Klausel) bilden. Die englischen Abarten (das Shakespearesche, p3b_104.009 sowie das Spencersche Sonett) sind beachtenswert. Die p3b_104.010 Shakespearesche Form mit 3 kreuzreimigen Vierzeilen und einer zweizeiligen p3b_104.011 Schlußstrophe haben wir bereits I, 534 dieser Poetik erwähnt. p3b_104.012 Die Spencersche Form ist noch schöner und vollendeter (abab, bcbc, p3b_104.013 cdcd, ee). Sie baut sich wie die Spencerstanze (vgl. § 41 dieses p3b_104.014 Bands) auf dem französischen Huitain (Achtzeile) auf; nur hat sie p3b_104.015 lauter gleichlange Verse.
p3b_104.016 2. Da das Sonett aus 8zeiligem Aufgesang und 6zeiligem Abgesang p3b_104.017 besteht, so muß vor allem der für dasselbe bestimmte Stoff p3b_104.018 in zwei Gruppen abgegrenzt werden. Zuvor ist jedoch der Gedanke p3b_104.019 zu prüfen, ob er dieser Form zu vermählen ist.
p3b_104.020 3. Beide Stoffteile müssen sich nämlich zu einander verhalten, p3b_104.021 wie Vordersatz zu Nachsatz, oder Satz zu Gegensatz. Der letzte Teil p3b_104.022 (die beiden Terzinen) giebt gewissermaßen die Moral. (Das Epigrammatische p3b_104.023 des Sonetts kann sich ausnahmsweise auch in der letzten p3b_104.024 Zeile der zweiten Terzine, also in der letzten Verszeile konzentrieren.)
p3b_104.025 4. Aus diesem Grunde darf niemals der Jnhalt aus dem ersten p3b_104.026 Hauptteil in den zweiten überlaufen. Vielmehr muß zwischen den p3b_104.027 beiden Hauptteilen des Sonetts ein Ruhepunkt und eine syntaktische p3b_104.028 Pause angebracht werden.
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§ 38. Bildung von Sonetten.
p3b_104.005 1. Das Sonett ist eine Art Epigramm von 14 Verszeilen, welches p3b_104.006 in den ersten 8 Versen breiteren Raum für die Exposition zum p3b_104.007 epischen Vordersatz gewährt, während die 6 folgenden Zeilen den lyrischen p3b_104.008 Nachsatz (die Klausel) bilden. Die englischen Abarten (das Shakespearesche, p3b_104.009 sowie das Spencersche Sonett) sind beachtenswert. Die p3b_104.010 Shakespearesche Form mit 3 kreuzreimigen Vierzeilen und einer zweizeiligen p3b_104.011 Schlußstrophe haben wir bereits I, 534 dieser Poetik erwähnt. p3b_104.012 Die Spencersche Form ist noch schöner und vollendeter (abab, bcbc, p3b_104.013 cdcd, ee). Sie baut sich wie die Spencerstanze (vgl. § 41 dieses p3b_104.014 Bands) auf dem französischen Huitain (Achtzeile) auf; nur hat sie p3b_104.015 lauter gleichlange Verse.
p3b_104.016 2. Da das Sonett aus 8zeiligem Aufgesang und 6zeiligem Abgesang p3b_104.017 besteht, so muß vor allem der für dasselbe bestimmte Stoff p3b_104.018 in zwei Gruppen abgegrenzt werden. Zuvor ist jedoch der Gedanke p3b_104.019 zu prüfen, ob er dieser Form zu vermählen ist.
p3b_104.020 3. Beide Stoffteile müssen sich nämlich zu einander verhalten, p3b_104.021 wie Vordersatz zu Nachsatz, oder Satz zu Gegensatz. Der letzte Teil p3b_104.022 (die beiden Terzinen) giebt gewissermaßen die Moral. (Das Epigrammatische p3b_104.023 des Sonetts kann sich ausnahmsweise auch in der letzten p3b_104.024 Zeile der zweiten Terzine, also in der letzten Verszeile konzentrieren.)
p3b_104.025 4. Aus diesem Grunde darf niemals der Jnhalt aus dem ersten p3b_104.026 Hauptteil in den zweiten überlaufen. Vielmehr muß zwischen den p3b_104.027 beiden Hauptteilen des Sonetts ein Ruhepunkt und eine syntaktische p3b_104.028 Pause angebracht werden.
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1. Das Sonett ist eine Art Epigramm von 14 Verszeilen, welches p3b_104.006
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Nachsatz (die Klausel) bilden. Die englischen Abarten (das Shakespearesche, p3b_104.009
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Schlußstrophe haben wir bereits I, 534 dieser Poetik erwähnt. p3b_104.012
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2. Da das Sonett aus 8zeiligem Aufgesang und 6zeiligem Abgesang p3b_104.017
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in zwei Gruppen abgegrenzt werden. Zuvor ist jedoch der Gedanke p3b_104.019
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3. Beide Stoffteile müssen sich nämlich zu einander verhalten, p3b_104.021
wie Vordersatz zu Nachsatz, oder Satz zu Gegensatz. Der letzte Teil p3b_104.022
(die beiden Terzinen) giebt gewissermaßen die Moral. (Das Epigrammatische p3b_104.023
des Sonetts kann sich ausnahmsweise auch in der letzten p3b_104.024
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4. Aus diesem Grunde darf niemals der Jnhalt aus dem ersten p3b_104.026
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. E104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/130>, abgerufen am 16.02.2025.
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