Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_102.001 p3b_102.004 p3b_102.006 p3b_102.010 p3b_102.012 p3b_102.014 Sturm. p3b_102.017[Beginn Spaltensatz] Stoff. p3b_102.018 Lösung. Von H. Heine. p3b_102.102Es wütet der Sturm, p3b_102.103 p3b_102.113Und er peitscht die Wellen, p3b_102.104 Und die Wellen wutschäumend und p3b_102.105 bäumend, p3b_102.106 Türmen sich auf, und es wogen lebendig p3b_102.107 Die weißen Wasserberge, p3b_102.108 Und das Schifflein erklimmt sie, p3b_102.109 Hastig mühsam, p3b_102.110 Und plötzlich stürzt es hinab p3b_102.111 Jn schwarze, weitgähnende Flutabgründe p3b_102.112 - O Meer! p3b_102.114 [Ende Spaltensatz]
Mutter der Schönheit, der Schaumentstiegenen! p3b_102.115 p3b_102.116 Großmutter der Liebe! schone meiner! p3b_102.117 Schon flattert, leichenwitternd, p3b_102.118 Die weiße, gespenstische Möve, p3b_102.119 Und wetzt an dem Mastbaum den p3b_102.120 Schnabel, p3b_102.121 Und lechzt voll Fraßbegier nach dem p3b_102.122 Herzen, p3b_102.123 Das vom Ruhm deiner Tochter ertönt, p3b_102.124 Und das dein Enkel, der kleine Schalk, p3b_102.125 Zum Spielzeug erwählt. p3b_102.001 p3b_102.004 p3b_102.006 p3b_102.010 p3b_102.012 p3b_102.014 Sturm. p3b_102.017[Beginn Spaltensatz] Stoff. p3b_102.018 Lösung. Von H. Heine. p3b_102.102Es wütet der Sturm, p3b_102.103 p3b_102.113Und er peitscht die Wellen, p3b_102.104 Und die Wellen wutschäumend und p3b_102.105 bäumend, p3b_102.106 Türmen sich auf, und es wogen lebendig p3b_102.107 Die weißen Wasserberge, p3b_102.108 Und das Schifflein erklimmt sie, p3b_102.109 Hastig mühsam, p3b_102.110 Und plötzlich stürzt es hinab p3b_102.111 Jn schwarze, weitgähnende Flutabgründe p3b_102.112 ─ O Meer! p3b_102.114 [Ende Spaltensatz]
Mutter der Schönheit, der Schaumentstiegenen! p3b_102.115 p3b_102.116 Großmutter der Liebe! schone meiner! p3b_102.117 Schon flattert, leichenwitternd, p3b_102.118 Die weiße, gespenstische Möve, p3b_102.119 Und wetzt an dem Mastbaum den p3b_102.120 Schnabel, p3b_102.121 Und lechzt voll Fraßbegier nach dem p3b_102.122 Herzen, p3b_102.123 Das vom Ruhm deiner Tochter ertönt, p3b_102.124 Und das dein Enkel, der kleine Schalk, p3b_102.125 Zum Spielzeug erwählt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0128" n="102"/> <p><lb n="p3b_102.001"/> 3. Der Parallelismus der korrespondierenden Zeilen verlangt <lb n="p3b_102.002"/> oft das Auseinanderbrechen einer rhythmischen Reihe, oder die Verbindung <lb n="p3b_102.003"/> von zwei derselben.</p> <p><lb n="p3b_102.004"/> 4. Jede Zeile ermöglicht am Schlusse das Atemholen, das jedoch <lb n="p3b_102.005"/> keineswegs Bedingung ist.</p> <p><lb n="p3b_102.006"/> 5. Eine freie Strophe hat gewöhnlich den Umfang eines Gedankens, <lb n="p3b_102.007"/> einer Periode. Das Ende der Periode bedeutet in der Regel <lb n="p3b_102.008"/> auch das Ende der Strophe. Doch giebt es Ausnahmen, welche durch <lb n="p3b_102.009"/> den Jnhalt diktiert werden.</p> <p><lb n="p3b_102.010"/> 6. Die freien Strophen können gereimt und ungereimt sein. Der <lb n="p3b_102.011"/> Reim ist ein wichtiges Formelement.</p> <p><lb n="p3b_102.012"/> 7. Zu ihrer Handhabung gehört große dichterische Gewandtheit, <lb n="p3b_102.013"/> Geist und Empfindung.</p> <p> <lb n="p3b_102.014"/> <hi rendition="#g">Aufgabe. Nachstehender Stoff ist in Accentversen und <lb n="p3b_102.015"/> freien Strophen anzureihen.</hi> </p> <lb n="p3b_102.016"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Sturm.</hi> </hi> </p> <lb n="p3b_102.017"/> <cb type="start"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Stoff.</hi> </hi> </p> <p><lb n="p3b_102.018"/> 1. Der Sturm wütet, │ er peitscht <lb n="p3b_102.019"/> die Wellen, │ daß sie wildschäumend <lb n="p3b_102.020"/> erbrausen, │ und sich auftürmen, │ und <lb n="p3b_102.021"/> es wogen die Wasserberge, │ und das <lb n="p3b_102.022"/> Schifflein erklimmt sie; │ hastig sich <lb n="p3b_102.023"/> mühend ersteigt es den Berg, │ um <lb n="p3b_102.024"/> plötzlich niederzustürzen │ in den gähnenden <lb n="p3b_102.025"/> Flutenabgrund. ‖ 2. O Meer, │ <lb n="p3b_102.026"/> du bist die Mutter der Schönheit, │ <lb n="p3b_102.027"/> o schone meiner, du Großmutter der <lb n="p3b_102.028"/> Liebe. │ Schon umflattert mich │ die <lb n="p3b_102.029"/> leichenwitternde Möve, │ welche am <lb n="p3b_102.030"/> Mastbaum den Schnabel wetzt, │ gefräßig <lb n="p3b_102.031"/> nach dem Herzen lechzend, │ das <lb n="p3b_102.032"/> deine Tochter rühmt │ und das dein <lb n="p3b_102.033"/> schalkhafter Enkel │ als Spielzeug erwählte. <lb n="p3b_102.034"/> ‖</p> <cb/> <lb n="p3b_102.101"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Lösung. Von</hi> H. <hi rendition="#g">Heine.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_102.102"/> <lg> <l>Es wütet der Sturm,</l> <lb n="p3b_102.103"/> <l>Und er peitscht die Wellen,</l> <lb n="p3b_102.104"/> <l>Und die Wellen wutschäumend und</l> <lb n="p3b_102.105"/> <l> <hi rendition="#et">bäumend,</hi> </l> <lb n="p3b_102.106"/> <l>Türmen sich auf, und es wogen lebendig</l> <lb n="p3b_102.107"/> <l>Die weißen Wasserberge,</l> <lb n="p3b_102.108"/> <l>Und das Schifflein erklimmt sie,</l> <lb n="p3b_102.109"/> <l>Hastig mühsam,</l> <lb n="p3b_102.110"/> <l>Und plötzlich stürzt es hinab</l> <lb n="p3b_102.111"/> <l>Jn schwarze, weitgähnende Flutabgründe</l> <lb n="p3b_102.112"/> <l> <hi rendition="#right">─</hi> </l> </lg> <lb n="p3b_102.113"/> <lg> <l>O Meer!</l> <lb n="p3b_102.114"/> <l>Mutter der Schönheit, der Schaumentstiegenen!</l> <lb n="p3b_102.115"/> <lb n="p3b_102.116"/> <l>Großmutter der Liebe! schone meiner!</l> <lb n="p3b_102.117"/> <l>Schon flattert, leichenwitternd,</l> <lb n="p3b_102.118"/> <l>Die weiße, gespenstische Möve,</l> <lb n="p3b_102.119"/> <l>Und wetzt an dem Mastbaum den</l> <lb n="p3b_102.120"/> <l> <hi rendition="#et">Schnabel,</hi> </l> <lb n="p3b_102.121"/> <l>Und lechzt voll Fraßbegier nach dem</l> <lb n="p3b_102.122"/> <l> <hi rendition="#et">Herzen,</hi> </l> <lb n="p3b_102.123"/> <l>Das vom Ruhm deiner Tochter ertönt,</l> <lb n="p3b_102.124"/> <l>Und das dein Enkel, der kleine Schalk,</l> <lb n="p3b_102.125"/> <l>Zum Spielzeug erwählt.</l> </lg> <cb type="end"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0128]
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3. Der Parallelismus der korrespondierenden Zeilen verlangt p3b_102.002
oft das Auseinanderbrechen einer rhythmischen Reihe, oder die Verbindung p3b_102.003
von zwei derselben.
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4. Jede Zeile ermöglicht am Schlusse das Atemholen, das jedoch p3b_102.005
keineswegs Bedingung ist.
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5. Eine freie Strophe hat gewöhnlich den Umfang eines Gedankens, p3b_102.007
einer Periode. Das Ende der Periode bedeutet in der Regel p3b_102.008
auch das Ende der Strophe. Doch giebt es Ausnahmen, welche durch p3b_102.009
den Jnhalt diktiert werden.
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6. Die freien Strophen können gereimt und ungereimt sein. Der p3b_102.011
Reim ist ein wichtiges Formelement.
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7. Zu ihrer Handhabung gehört große dichterische Gewandtheit, p3b_102.013
Geist und Empfindung.
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Aufgabe. Nachstehender Stoff ist in Accentversen und p3b_102.015
freien Strophen anzureihen.
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Sturm.
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Stoff.
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1. Der Sturm wütet, │ er peitscht p3b_102.019
die Wellen, │ daß sie wildschäumend p3b_102.020
erbrausen, │ und sich auftürmen, │ und p3b_102.021
es wogen die Wasserberge, │ und das p3b_102.022
Schifflein erklimmt sie; │ hastig sich p3b_102.023
mühend ersteigt es den Berg, │ um p3b_102.024
plötzlich niederzustürzen │ in den gähnenden p3b_102.025
Flutenabgrund. ‖ 2. O Meer, │ p3b_102.026
du bist die Mutter der Schönheit, │ p3b_102.027
o schone meiner, du Großmutter der p3b_102.028
Liebe. │ Schon umflattert mich │ die p3b_102.029
leichenwitternde Möve, │ welche am p3b_102.030
Mastbaum den Schnabel wetzt, │ gefräßig p3b_102.031
nach dem Herzen lechzend, │ das p3b_102.032
deine Tochter rühmt │ und das dein p3b_102.033
schalkhafter Enkel │ als Spielzeug erwählte. p3b_102.034
‖
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Es wütet der Sturm, p3b_102.103
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Und die Wellen wutschäumend und p3b_102.105
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Die weißen Wasserberge, p3b_102.108
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Zum Spielzeug erwählt.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/128>, abgerufen am 16.02.2025. |