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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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Verdi großes Aufsehen erregt. Er hat dabei das Theater von der Scene in p2b_541.002
die Kirche verpflanzt. Wunderbar, daß ein Mann, der sein Lebelang der Oper p2b_541.003
gedient, plötzlich den Ton des Grabliedes anstimmt. Er, der musikalische Führer p2b_541.004
seiner Nation, hat sich dadurch von einseitiger Verfolgung der Wege seiner Vorgänger p2b_541.005
Bellini und Donizetti befreit, um sich dem deutschen Stil und p2b_541.006
der deutschen Empfindungsweise anzuschließen. Sein Streben war offenbar p2b_541.007
auf Entwickelung polyphoner Sätze gerichtet, wie wir diese bei Heinrich Schütz, p2b_541.008
Bach, Händel, Haydn
und Mendelssohn u. a. finden. Der Schlußchor p2b_541.009
"Libera me domine" zeigt schöne Ansätze zum fugierten Stil in der schwungvollen p2b_541.010
Weise unseres deutschen Kirchenstils.

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Wenn Verdi auch in Stileinheit, Stimmung und Kunstform das deutsche p2b_541.012
Element lange nicht erreicht, wenn sein Werk dem Hauptwerk der Neuzeit, dem p2b_541.013
Requiem von Fr. Kiel, auch nicht gleichkommt, so ist er immerhin für sein p2b_541.014
Volk (Jtalien) auf dem Durchbruch zur ernsten Kunst (in der vollen Wandlung, p2b_541.015
welche sich in der Musikwelt Jtaliens vorzubereiten scheint) ein Bahnbrecher, p2b_541.016
so ist sein Requiem jedenfalls eine Schöpfung, welche den Beginn p2b_541.017
einer Epoche neuen Strebens, neuer Richtung anzeigt.

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Als Requiem in freierem Stil ist Brahms' deutsches Requiem zu nennen; p2b_541.019
den katholischen Standpunkt wahrt Franz Lachners Requiem &c.

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§ 202. Das Oratorium.

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1. Unter Oratorium versteht man eine dramatische Kantate im p2b_541.022
großen Stil und von weiter Ausbreitung, oder besser: ein in Musik p2b_541.023
gesetztes geistliches, dramatisches Gedicht, dessen Stoff dem Alten oder p2b_541.024
Neuen Testament oder dem religiösen Leben entlehnt ist: ein musikalisches p2b_541.025
Drama ohne äußerlich sichtbare Handlung.

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2. Jm Oratorium ist die Musik von größter Bedeutung: sie ist p2b_541.027
episch im Recitativ, lyrisch und dramatisch in den übrigen Formen. p2b_541.028
Die Chöre, welche in ihrer dichterischen Bedeutung nicht selten an den p2b_541.029
griechischen Chor erinnern, können teils lyrisch teils dramatisch wirken. p2b_541.030
Dramatisch sind sie besonders bei den Oratorien Händels.

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3. Das Oratorium als höchste Gattung der religiösen Musik und p2b_541.032
als Blüte der kirchlichen Formen entkeimte den geistlichen Schauspielen. p2b_541.033
Philipp Neri (um 1558) war sein Begründer. Jn Deutschland bildete p2b_541.034
es Heinr. Schütz weiter fort. Sein Vollender war Händel.

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4. Die Aufgabe des Oratoriumdichters wird durch die Rücksichtnahme p2b_541.036
auf den musikalischen Aufbau desselben begrenzt.

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1. Der Name Oratorium bedeutet ursprünglich Kirche, Kapelle oder Betsaal, p2b_541.038
weil im Betsaal Philippo Neri's in Rom die erste Form des Oratoriums (bestehend p2b_541.039
in dialogisierten, biblischen, in Musik gesetzten Geschichten) aufgeführt p2b_541.040
wurde. "Man ging ins Oratorium!" Dies bedeutete, man ging zur Aufführung p2b_541.041
in den Betsaal. - Von der Kantate unterscheidet sich das Oratorium

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Verdi großes Aufsehen erregt. Er hat dabei das Theater von der Scene in p2b_541.002
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/563>, abgerufen am 22.11.2024.