p2b_520.001 Da war es der reformatorische Karl Maria von Weber, der zum Urquell p2b_520.002 aller Kunst, dem Volksliede, niederstieg und - den Jnhalt betonend - der p2b_520.003 Oper eine neue Richtung verlieh. Seine Opern (z. B. Freischütz), in p2b_520.004 denen er uns die herrlichsten Volksmelodien bietet, sind insofern national, p2b_520.005 als er auch die deutsche Sagenwelt hereinzog. So wurde er der Schöpfer der p2b_520.006 romantischen Oper, die außer uns Deutschen kein Volk der Welt p2b_520.007 besitzt. Weber hat aber auch noch dadurch eine eminente Bedeutung, daß er p2b_520.008 durch seine Euryanthe, die sich durch feine Detailmalerei wunderbar von den p2b_520.009 übrigen Opern des Jahrhunderts abhebt, die Anregung zu einer Weiterbildung p2b_520.010 oder, wenn man will, Umgestaltung der Oper im Sinne Wagners gab. (Das p2b_520.011 Libretto ist von Helmine von Chezy.) Als Ausläufer seiner Richtung können p2b_520.012 nach der musikalisch=dramatischen Seite hin genannt werden: Marschner (Hans p2b_520.013 Heiling, Vampyr &c.), Konradin Kreutzer (Nachtlager von Granada), Lindpaintner p2b_520.014 (Genueserin), Reissiger (Turandot, Nero, Dido, Die Felsenmühle); p2b_520.015 nach der sentimentalen Seite kann Spohr (Jessonda, Faust, Berggeist) als p2b_520.016 Nachfolger Webers bezeichnet werden &c.
p2b_520.017 Einen vorübergehenden berauschenden Einfluß übte Meyerbeer, dessen geistiger p2b_520.018 Universalismus die Vereinigung französischen und italienischen Stils bewirkte, p2b_520.019 ohne indes einen Beitrag für deutsch=charakteristische Stileinheit zu liefern, p2b_520.020 wenn auch einzelne Opern (wie der Prophet, Hugenotten, Nordstern, Robert p2b_520.021 der Teufel) dem deutschen Geiste Konzessionen zu machen scheinen.
p2b_520.022 Erst dem großen Richard Wagner, der den deutschen Sagenstoff zur p2b_520.023 Grundlage wählte, gelang es, ein deutsch=nationales Musikdrama zu schaffen. p2b_520.024 Die gewaltige Wirkung der Meyerbeerschen Oper anerkennend, ging er von p2b_520.025 dem Gedanken aus, daß die seitherige Oper ein Jrrtum gewesen sei, da in p2b_520.026 diesem Kunstgenre ein Mittel des Ausdrucks (die Musik) zum Zweck gemacht; der p2b_520.027 Zweck des Ausdrucks (Drama) jedoch zum Mittel erniedrigt worden sei. Er verlangte, p2b_520.028 daß auch die Musik in der Oper dramatisch=charakteristisch werde und p2b_520.029 in allen Teilen dem Dialog und der Handlung folge und nur aus dieser hervorgehe; p2b_520.030 er erstrebte und schuf musikalische Dramen: Musikdramen. Jedenfalls p2b_520.031 ist dieses Ziel gerechtfertigt, wenn auch viele die offene Frage immer wieder p2b_520.032 ventilieren, ob Wagner mit der Mythe in seinen Stoffen einen eben so günstigen p2b_520.033 Griff gethan habe, als mit der Sage, da selbst die griechischen Götter unserer p2b_520.034 heutigen Bildung ästhetischer, verwandter, bekannter erscheinen, als die deutschen p2b_520.035 Gottheiten der Edda u. s. w.
p2b_520.036
§ 189. Das Geheimnis der Wagnerschen Opernreform.
p2b_520.037 1. Das Geheimnis der Wagnerschen Opernreform besteht darin, p2b_520.038 daß Wagner dem deutschen Gedanken durch die dramatisch=charakteristische p2b_520.039 Musik lebenswahren Ausdruck zu verleihen wußte, ohne doch die p2b_520.040 ästhetische, rein fühlende Basis zu verlassen.
p2b_520.041 2. Er hat mit großem Verständnis die romantischen Stoffe der p2b_520.042 deutschen Sage bearbeitet, und so eine wunderbare Vereinigung des
p2b_520.001 Da war es der reformatorische Karl Maria von Weber, der zum Urquell p2b_520.002 aller Kunst, dem Volksliede, niederstieg und ─ den Jnhalt betonend ─ der p2b_520.003 Oper eine neue Richtung verlieh. Seine Opern (z. B. Freischütz), in p2b_520.004 denen er uns die herrlichsten Volksmelodien bietet, sind insofern national, p2b_520.005 als er auch die deutsche Sagenwelt hereinzog. So wurde er der Schöpfer der p2b_520.006 romantischen Oper, die außer uns Deutschen kein Volk der Welt p2b_520.007 besitzt. Weber hat aber auch noch dadurch eine eminente Bedeutung, daß er p2b_520.008 durch seine Euryanthe, die sich durch feine Detailmalerei wunderbar von den p2b_520.009 übrigen Opern des Jahrhunderts abhebt, die Anregung zu einer Weiterbildung p2b_520.010 oder, wenn man will, Umgestaltung der Oper im Sinne Wagners gab. (Das p2b_520.011 Libretto ist von Helmine von Chezy.) Als Ausläufer seiner Richtung können p2b_520.012 nach der musikalisch=dramatischen Seite hin genannt werden: Marschner (Hans p2b_520.013 Heiling, Vampyr &c.), Konradin Kreutzer (Nachtlager von Granada), Lindpaintner p2b_520.014 (Genueserin), Reissiger (Turandot, Nero, Dido, Die Felsenmühle); p2b_520.015 nach der sentimentalen Seite kann Spohr (Jessonda, Faust, Berggeist) als p2b_520.016 Nachfolger Webers bezeichnet werden &c.
p2b_520.017 Einen vorübergehenden berauschenden Einfluß übte Meyerbeer, dessen geistiger p2b_520.018 Universalismus die Vereinigung französischen und italienischen Stils bewirkte, p2b_520.019 ohne indes einen Beitrag für deutsch=charakteristische Stileinheit zu liefern, p2b_520.020 wenn auch einzelne Opern (wie der Prophet, Hugenotten, Nordstern, Robert p2b_520.021 der Teufel) dem deutschen Geiste Konzessionen zu machen scheinen.
p2b_520.022 Erst dem großen Richard Wagner, der den deutschen Sagenstoff zur p2b_520.023 Grundlage wählte, gelang es, ein deutsch=nationales Musikdrama zu schaffen. p2b_520.024 Die gewaltige Wirkung der Meyerbeerschen Oper anerkennend, ging er von p2b_520.025 dem Gedanken aus, daß die seitherige Oper ein Jrrtum gewesen sei, da in p2b_520.026 diesem Kunstgenre ein Mittel des Ausdrucks (die Musik) zum Zweck gemacht; der p2b_520.027 Zweck des Ausdrucks (Drama) jedoch zum Mittel erniedrigt worden sei. Er verlangte, p2b_520.028 daß auch die Musik in der Oper dramatisch=charakteristisch werde und p2b_520.029 in allen Teilen dem Dialog und der Handlung folge und nur aus dieser hervorgehe; p2b_520.030 er erstrebte und schuf musikalische Dramen: Musikdramen. Jedenfalls p2b_520.031 ist dieses Ziel gerechtfertigt, wenn auch viele die offene Frage immer wieder p2b_520.032 ventilieren, ob Wagner mit der Mythe in seinen Stoffen einen eben so günstigen p2b_520.033 Griff gethan habe, als mit der Sage, da selbst die griechischen Götter unserer p2b_520.034 heutigen Bildung ästhetischer, verwandter, bekannter erscheinen, als die deutschen p2b_520.035 Gottheiten der Edda u. s. w.
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§ 189. Das Geheimnis der Wagnerschen Opernreform.
p2b_520.037 1. Das Geheimnis der Wagnerschen Opernreform besteht darin, p2b_520.038 daß Wagner dem deutschen Gedanken durch die dramatisch=charakteristische p2b_520.039 Musik lebenswahren Ausdruck zu verleihen wußte, ohne doch die p2b_520.040 ästhetische, rein fühlende Basis zu verlassen.
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/542>, abgerufen am 22.11.2024.
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