p2b_496.001 und Terenz; doch trat dasselbe bald in selbständige Bahnen. Die Zahl der p2b_496.002 Lustspieldichter von Jodelle (§ 163 S. 458 d. Bds.) bis in die Gegenwart ist p2b_496.003 nicht gering, wie schon Kreyßigs kurzgefaßte Gesch. d. franz. Nat.=L. ersehen läßt. p2b_496.004 Eine Epoche im franz. Lustspiel bildet Beaumarchais, der den Stil seiner Komödie p2b_496.005 in der Vorrede zum Figaro also schildert: "Sobald mein Gegenstand p2b_496.006 mich ergreift, rufe ich mir alle meine Personen herbei und stelle sie auf ihre p2b_496.007 Posten. Paß auf, Figaro, dein Herr wird dich erraten! Rette dich schnell, p2b_496.008 Cherubino! &c. Dann, wenn sie recht im Feuer sind, so schreib' ich auf, was p2b_496.009 sie mir sagen, sicher, daß sie mich niemals täuschen. Jeder spricht seine eigene p2b_496.010 Sprache, und der Gott der Natürlichkeit behüte sie davor, eine andere zu p2b_496.011 reden."
p2b_496.012 Für das Studium der franz. Technik könnten noch genannt werden: p2b_496.013 Victor Hugo, Octave Feuillet, Alex. Dumas, Augier, die in den §§. 163 und p2b_496.014 170 d. Bds. genannten Franzosen, und unter diesen besonders der Hauptvertreter p2b_496.015 des Lustspiels der Gegenwart Victorien Sardou. Am meisten studiert wird in p2b_496.016 Deutschland immer noch Moliere (+ 1673), aus dessen Stücken l'Avare, le p2b_496.017 Misanthrope, Tartuffe, L'ecole des femmes, Le malade imaginaire sich p2b_496.018 allerdings die Methode des Charakterisierens erlernen läßt &c.
p2b_496.019 England. So beträchtlich die Zahl bedeutender oder durch ihre Produktivität p2b_496.020 hervorragender englischer Lustspieldichter ist (wir erwähnen nur Byron, p2b_496.021 Baillie, M. G. Lewis, Bulwer, Taylor, Miß Mitford, Collins, Tennyson, p2b_496.022 Jerrold, Buckstone, Planche u. v. a.), beschränkt sich doch das Studium der p2b_496.023 deutschen Dichter immer noch mit Recht fast nur auf Shakespeare, von dem wir p2b_496.024 als gute Lustspiele nennen: Zähmung der Widerspenstigen, Der Sommernachtstraum, p2b_496.025 Die lustigen Weiber von Windsor, Viel Lärm um Nichts, und besonders p2b_496.026 Der Kaufmann von Venedig. (Jn diesem Lustspiel hat Antonio versprochen, p2b_496.027 sich vom Juden Shylok ein Pfund Fleisch aus dem Leibe schneiden zu lassen, p2b_496.028 falls sein Freund in 3 Monaten nicht zahlen werde. Als der Freund nicht p2b_496.029 zu zahlen vermag, macht Porzia durch geistvolle Auslegung den Vertrag Antonios p2b_496.030 mit Shylok hinfällig &c.)
p2b_496.031 Ungarn. Von den Ungarn hat Doczi ein auch für den deutschen p2b_496.032 Dramaturgen wertvolles Muster: "Der Kuß" geliefert. Seine an Grillparzer p2b_496.033 erinnernden, glatten Verse, sein witzig lebhafter, epigrammatisch präziser Dialog, p2b_496.034 seine edle Diktion, seine feine Komik, ja, sein geistvoller, durch die labyrinthischen p2b_496.035 Gänge der Jntrigue mit leichter Eleganz hindurchführender Aufbau, seine p2b_496.036 künstlerische Architektonik &c. lassen es als Pflicht erscheinen, dieses vom Dichter p2b_496.037 auch in deutscher Sprache gegebene, zum Repertoirestück aller deutschen Bühnen p2b_496.038 gewordene Lustspiel des näheren zu betrachten. Die Gestaltungskraft des p2b_496.039 Dichters läßt manche Unwahrscheinlichkeiten in der Charakteristik und in einigen p2b_496.040 erkünstelten Situationen um so mehr übersehen, als Kühnheit und rasches p2b_496.041 Fortschreiten der Handlung, die es weniger auf Einzeleffekte, als auf Zeichnung p2b_496.042 eines großen Ziels absieht, sich mit feiner, psychologischer Motivierung und p2b_496.043 wohlberechneter Detailmalerei verbindet, welch letztere in ihrer allegorisch=idealen p2b_496.044 Technik Sinn und Gemüt mit anmutigem Zauber umstrickt.
p2b_496.001 und Terenz; doch trat dasselbe bald in selbständige Bahnen. Die Zahl der p2b_496.002 Lustspieldichter von Jodelle (§ 163 S. 458 d. Bds.) bis in die Gegenwart ist p2b_496.003 nicht gering, wie schon Kreyßigs kurzgefaßte Gesch. d. franz. Nat.=L. ersehen läßt. p2b_496.004 Eine Epoche im franz. Lustspiel bildet Beaumarchais, der den Stil seiner Komödie p2b_496.005 in der Vorrede zum Figaro also schildert: „Sobald mein Gegenstand p2b_496.006 mich ergreift, rufe ich mir alle meine Personen herbei und stelle sie auf ihre p2b_496.007 Posten. Paß auf, Figaro, dein Herr wird dich erraten! Rette dich schnell, p2b_496.008 Cherubino! &c. Dann, wenn sie recht im Feuer sind, so schreib' ich auf, was p2b_496.009 sie mir sagen, sicher, daß sie mich niemals täuschen. Jeder spricht seine eigene p2b_496.010 Sprache, und der Gott der Natürlichkeit behüte sie davor, eine andere zu p2b_496.011 reden.“
p2b_496.012 Für das Studium der franz. Technik könnten noch genannt werden: p2b_496.013 Victor Hugo, Octave Feuillet, Alex. Dumas, Augier, die in den §§. 163 und p2b_496.014 170 d. Bds. genannten Franzosen, und unter diesen besonders der Hauptvertreter p2b_496.015 des Lustspiels der Gegenwart Victorien Sardou. Am meisten studiert wird in p2b_496.016 Deutschland immer noch Molière († 1673), aus dessen Stücken l'Avare, le p2b_496.017 Misanthrope, Tartuffe, L'école des femmes, Le malade imaginaire sich p2b_496.018 allerdings die Methode des Charakterisierens erlernen läßt &c.
p2b_496.019 England. So beträchtlich die Zahl bedeutender oder durch ihre Produktivität p2b_496.020 hervorragender englischer Lustspieldichter ist (wir erwähnen nur Byron, p2b_496.021 Baillie, M. G. Lewis, Bulwer, Taylor, Miß Mitford, Collins, Tennyson, p2b_496.022 Jerrold, Buckstone, Planche u. v. a.), beschränkt sich doch das Studium der p2b_496.023 deutschen Dichter immer noch mit Recht fast nur auf Shakespeare, von dem wir p2b_496.024 als gute Lustspiele nennen: Zähmung der Widerspenstigen, Der Sommernachtstraum, p2b_496.025 Die lustigen Weiber von Windsor, Viel Lärm um Nichts, und besonders p2b_496.026 Der Kaufmann von Venedig. (Jn diesem Lustspiel hat Antonio versprochen, p2b_496.027 sich vom Juden Shylok ein Pfund Fleisch aus dem Leibe schneiden zu lassen, p2b_496.028 falls sein Freund in 3 Monaten nicht zahlen werde. Als der Freund nicht p2b_496.029 zu zahlen vermag, macht Porzia durch geistvolle Auslegung den Vertrag Antonios p2b_496.030 mit Shylok hinfällig &c.)
p2b_496.031 Ungarn. Von den Ungarn hat Doczi ein auch für den deutschen p2b_496.032 Dramaturgen wertvolles Muster: „Der Kuß“ geliefert. Seine an Grillparzer p2b_496.033 erinnernden, glatten Verse, sein witzig lebhafter, epigrammatisch präziser Dialog, p2b_496.034 seine edle Diktion, seine feine Komik, ja, sein geistvoller, durch die labyrinthischen p2b_496.035 Gänge der Jntrigue mit leichter Eleganz hindurchführender Aufbau, seine p2b_496.036 künstlerische Architektonik &c. lassen es als Pflicht erscheinen, dieses vom Dichter p2b_496.037 auch in deutscher Sprache gegebene, zum Repertoirestück aller deutschen Bühnen p2b_496.038 gewordene Lustspiel des näheren zu betrachten. Die Gestaltungskraft des p2b_496.039 Dichters läßt manche Unwahrscheinlichkeiten in der Charakteristik und in einigen p2b_496.040 erkünstelten Situationen um so mehr übersehen, als Kühnheit und rasches p2b_496.041 Fortschreiten der Handlung, die es weniger auf Einzeleffekte, als auf Zeichnung p2b_496.042 eines großen Ziels absieht, sich mit feiner, psychologischer Motivierung und p2b_496.043 wohlberechneter Detailmalerei verbindet, welch letztere in ihrer allegorisch=idealen p2b_496.044 Technik Sinn und Gemüt mit anmutigem Zauber umstrickt.
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/518>, abgerufen am 22.11.2024.
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