p2b_463.001 auf dem Standpunkte des Katholizismus, weshalb er von Seiten der Protestanten p2b_463.002 manche scharfe Kritik ertragen mußte. Jhre Grundlage bildet die Befreiung p2b_463.003 Frankreichs von der englischen Herrschaft durch Aufopferung der heldenmütigen p2b_463.004 Jungfrau von Orleans, Johanna d'Arc. Schiller hat, um eine p2b_463.005 romantische Tragödie zu schaffen, Personen wie Ereignisse sehr idealisiert und p2b_463.006 die Heldin mit dem Reize des Phantastischen und Wunderbaren in hohem p2b_463.007 Grade umgeben.
p2b_463.008 Die Braut von Messina, von Schiller. Diese Tragödie machte p2b_463.009 den Versuch, den antiken griechischen Chor in unsere Litteratur einzuführen. p2b_463.010 Aber die Chöre, welche Schiller für den einheitlichen Chor der Griechen bietet, p2b_463.011 reflektieren viel zu viel und unterbrechen handelnd die Handlung (z. B. wo p2b_463.012 der Chor für die feindlichen Brüder mit gezücktem Schwert Partei nimmt), p2b_463.013 eine Ungehörigkeit, die Schiller mit Platen teilt, indem auch letzterer seinen p2b_463.014 Chor in die Handlung hinein- oder aus ihr herausreden läßt; ich erinnere an p2b_463.015 Die verhängnißvolle Gabel, wo der Jude Schmuhl Mantel und Bart von sich p2b_463.016 wirft und - bis an den Bühnenrand vortretend - als Chorus erscheint, p2b_463.017 welche Demaskierung - um Chor sein zu können - fünfmal bei den Aktschlüssen p2b_463.018 vorkommt, die durch sog. Parabasen oder Reden des Dichters an's p2b_463.019 Publikum markiert werden. Die griechische Tragödie hatte den Chor als Eischale p2b_463.020 vom Dithyrambus her behalten; unsere Tragödie hat keinen solchen Ursprung, p2b_463.021 folglich auch kein Bedürfnis für den störenden Chor, der, soweit er an der Handlung p2b_463.022 sich beteiligt, überhaupt aufhört, Chor im antiken Sinne zu sein. (S. 457 d. Bds.)
p2b_463.023 Jmmerhin ist Schillers Braut von Messina durch den Versuch eines Chors p2b_463.024 eine interessante Litteraturerscheinung, die freilich trotz großer, erhabener Gedanken p2b_463.025 und glänzender Sprache gerade deswegen weniger Glück als die andern Stücke p2b_463.026 des Dichters machte. Eigentümlich ist in dieser Tragödie auch das Auftreten p2b_463.027 von drei Religionen (der christlichen, griechischen und maurischen), was aber p2b_463.028 dadurch zu rechtfertigen ist, daß alle drei auf diesem Tummelplatze der verschiedensten p2b_463.029 Völker (Sicilien) heimisch waren. Den Jnhalt des Trauerspiels p2b_463.030 bildet der durch ein dunkles Verhängnis erfolgte Untergang eines altsicilianischen p2b_463.031 Fürstenhauses.
p2b_463.032 Clavigo, von Goethe. Das Trauerspiel, dessen Charaktere bis auf p2b_463.033 den unnatürlich charakterlosen Helden des Stückes gut gezeichnet sind, ist reich p2b_463.034 an Effekt. Goethe zeigt uns im Helden Clavigo einen Schriftsteller und königlichen p2b_463.035 Archivar in Madrid, der ein Verhältnis mit der schönen und tugendreichen p2b_463.036 Maria Beaumarchais anknüpft. Clavigo, von seinem Freunde, dem p2b_463.037 weltlich gesinnten Carlos verleitet, ist durchaus wankelmütig und verläßt seine p2b_463.038 Braut, um eine glänzendere Partie zu suchen. Mariens Bruder kommt nach p2b_463.039 Madrid, um seine Schwester zu rächen. Marie unterliegt dem Grame und p2b_463.040 der Aufregung, bevor das geschehen. Clavigo, ihrem Leichenzuge begegnend, p2b_463.041 wird an Mariens Sarge von ihrem Bruder erstochen.
p2b_463.042 Egmont, von Goethe. Das in schöner Prosa geschriebene Trauerspiel, p2b_463.043 dessen Stoff der Geschichte des Abfalls der Niederlande entnommen ist, bringt p2b_463.044 treffende Bilder niederländischen Lebens aus damaliger Zeit. Zu beklagen ist,
p2b_463.001 auf dem Standpunkte des Katholizismus, weshalb er von Seiten der Protestanten p2b_463.002 manche scharfe Kritik ertragen mußte. Jhre Grundlage bildet die Befreiung p2b_463.003 Frankreichs von der englischen Herrschaft durch Aufopferung der heldenmütigen p2b_463.004 Jungfrau von Orleans, Johanna d'Arc. Schiller hat, um eine p2b_463.005 romantische Tragödie zu schaffen, Personen wie Ereignisse sehr idealisiert und p2b_463.006 die Heldin mit dem Reize des Phantastischen und Wunderbaren in hohem p2b_463.007 Grade umgeben.
p2b_463.008 Die Braut von Messina, von Schiller. Diese Tragödie machte p2b_463.009 den Versuch, den antiken griechischen Chor in unsere Litteratur einzuführen. p2b_463.010 Aber die Chöre, welche Schiller für den einheitlichen Chor der Griechen bietet, p2b_463.011 reflektieren viel zu viel und unterbrechen handelnd die Handlung (z. B. wo p2b_463.012 der Chor für die feindlichen Brüder mit gezücktem Schwert Partei nimmt), p2b_463.013 eine Ungehörigkeit, die Schiller mit Platen teilt, indem auch letzterer seinen p2b_463.014 Chor in die Handlung hinein- oder aus ihr herausreden läßt; ich erinnere an p2b_463.015 Die verhängnißvolle Gabel, wo der Jude Schmuhl Mantel und Bart von sich p2b_463.016 wirft und ─ bis an den Bühnenrand vortretend ─ als Chorus erscheint, p2b_463.017 welche Demaskierung ─ um Chor sein zu können ─ fünfmal bei den Aktschlüssen p2b_463.018 vorkommt, die durch sog. Parabasen oder Reden des Dichters an's p2b_463.019 Publikum markiert werden. Die griechische Tragödie hatte den Chor als Eischale p2b_463.020 vom Dithyrambus her behalten; unsere Tragödie hat keinen solchen Ursprung, p2b_463.021 folglich auch kein Bedürfnis für den störenden Chor, der, soweit er an der Handlung p2b_463.022 sich beteiligt, überhaupt aufhört, Chor im antiken Sinne zu sein. (S. 457 d. Bds.)
p2b_463.023 Jmmerhin ist Schillers Braut von Messina durch den Versuch eines Chors p2b_463.024 eine interessante Litteraturerscheinung, die freilich trotz großer, erhabener Gedanken p2b_463.025 und glänzender Sprache gerade deswegen weniger Glück als die andern Stücke p2b_463.026 des Dichters machte. Eigentümlich ist in dieser Tragödie auch das Auftreten p2b_463.027 von drei Religionen (der christlichen, griechischen und maurischen), was aber p2b_463.028 dadurch zu rechtfertigen ist, daß alle drei auf diesem Tummelplatze der verschiedensten p2b_463.029 Völker (Sicilien) heimisch waren. Den Jnhalt des Trauerspiels p2b_463.030 bildet der durch ein dunkles Verhängnis erfolgte Untergang eines altsicilianischen p2b_463.031 Fürstenhauses.
p2b_463.032 Clavigo, von Goethe. Das Trauerspiel, dessen Charaktere bis auf p2b_463.033 den unnatürlich charakterlosen Helden des Stückes gut gezeichnet sind, ist reich p2b_463.034 an Effekt. Goethe zeigt uns im Helden Clavigo einen Schriftsteller und königlichen p2b_463.035 Archivar in Madrid, der ein Verhältnis mit der schönen und tugendreichen p2b_463.036 Maria Beaumarchais anknüpft. Clavigo, von seinem Freunde, dem p2b_463.037 weltlich gesinnten Carlos verleitet, ist durchaus wankelmütig und verläßt seine p2b_463.038 Braut, um eine glänzendere Partie zu suchen. Mariens Bruder kommt nach p2b_463.039 Madrid, um seine Schwester zu rächen. Marie unterliegt dem Grame und p2b_463.040 der Aufregung, bevor das geschehen. Clavigo, ihrem Leichenzuge begegnend, p2b_463.041 wird an Mariens Sarge von ihrem Bruder erstochen.
p2b_463.042 Egmont, von Goethe. Das in schöner Prosa geschriebene Trauerspiel, p2b_463.043 dessen Stoff der Geschichte des Abfalls der Niederlande entnommen ist, bringt p2b_463.044 treffende Bilder niederländischen Lebens aus damaliger Zeit. Zu beklagen ist,
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/485>, abgerufen am 22.11.2024.
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