Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_324.001 p2b_324.003 S. 3. Des Menschen erste Sünde, den Genuß p2b_324.006
Von des verbot'nen Baumes Frucht, die Tod p2b_324.007 Und alles Weh erzeugt hat und die Menschheit p2b_324.008 Aus Eden bannte, bis ein Größrer einst p2b_324.009 Sie wieder einführt in den Sitz des Heils - p2b_324.010 Sing', Himmelsmuse, die du auf des Horeb p2b_324.011 Einsamer Höh' und auf dem Sinai p2b_324.012 Den Hirten hast begeistert, der zuerst p2b_324.013 Dem auserwählten Volke kund gethan, p2b_324.014 Wie Erd' und Himmel aus dem Chaos stiegen! p2b_324.015 Doch liebst du Sion und den Bach Siloah p2b_324.016 Am Gott-Orakel mehr, fleh ich von dort p2b_324.017 Um deinen Beistand für mein kühnes Lied, p2b_324.018 Das über Aoniens Musenberg hinaus p2b_324.019 Sich schwingen will, weil es nach Höherm strebt, p2b_324.020 Als Vers bisher und Prosa noch gewagt. p2b_324.021 Und du, o Geist, vor dem ein reines Herz p2b_324.022 Mehr gilt als Tempelpracht, belehre mich! p2b_324.023 Du kannst es, denn von Anbeginn warst du; p2b_324.024 Die Tiefe deckend, einer Taube gleich p2b_324.025 Mit mächt'gen Fittigen, befruchtetest p2b_324.026 Du ihren Schoß. Was in mir dunkel ist, p2b_324.027 Erhelle, und was niedrig, richt' empor: p2b_324.028 Daß, würdig des erhab'nen Stoffes, ich p2b_324.029 Die ew'ge Vorsehung und Gottes Wege p2b_324.030 Rechtfert'gen und den Menschen künden mag! p2b_324.031 Sprich denn - vor deinem Blicke birgt sich nichts p2b_324.032 Jm Himmel noch im tiefen Höllenschlunde - p2b_324.033 Sprich, was hat unser Elternpaar vermocht, p2b_324.034 So hoch beglückt, vom Schöpfer abzufallen p2b_324.035 Und wider dessen einziges Verbot, p2b_324.036 Sonst Herrn der Erdenwelt, zu sündigen? p2b_324.037 Wer, sprich, verführte sie zum Ungehorsam? p2b_324.038 Der Höllendrache war es, der, von Neid p2b_324.039 Und Rachbegier entflammt, der Menschheit Mutter p2b_324.040 Durch List betrog, nachdem sein Hochmut ihn p2b_324.041 Herabgestürzt vom Himmel samt dem Heer p2b_324.042 Aufrührerischer Engel, mit des Hülfe, p2b_324.043 Nach Herrschaft über seines Gleichen trachtend, p2b_324.044 Er sich dem Höchsten gleich zu sein vermaß; p2b_324.045 Verruchten Krieg erhob er drum im Himmel, p2b_324.046 Krieg wider Gottes Thron und Majestät, p2b_324.047 Bis auf dem Schlachtfeld seines Stolzes Ziel p2b_324.048 Vereitelt ward. Die Allmacht schleuderte p2b_324.049 Mit gräßlicher Zerschmettrung häuptlings ihn p2b_324.050 Vom Himmelssitz in bodenlos Verderben, p2b_324.051 Daß er in diamant'nen Ketten dort, p2b_324.052 Von Glut gepeinigt, wohne, der's gewagt, p2b_324.053 Zum Kampf zu fordern den allmächtigen Gott. &c. p2b_324.001 p2b_324.003 S. 3. Des Menschen erste Sünde, den Genuß p2b_324.006
Von des verbot'nen Baumes Frucht, die Tod p2b_324.007 Und alles Weh erzeugt hat und die Menschheit p2b_324.008 Aus Eden bannte, bis ein Größrer einst p2b_324.009 Sie wieder einführt in den Sitz des Heils ─ p2b_324.010 Sing', Himmelsmuse, die du auf des Horeb p2b_324.011 Einsamer Höh' und auf dem Sinai p2b_324.012 Den Hirten hast begeistert, der zuerst p2b_324.013 Dem auserwählten Volke kund gethan, p2b_324.014 Wie Erd' und Himmel aus dem Chaos stiegen! p2b_324.015 Doch liebst du Sion und den Bach Siloah p2b_324.016 Am Gott-Orakel mehr, fleh ich von dort p2b_324.017 Um deinen Beistand für mein kühnes Lied, p2b_324.018 Das über Aoniens Musenberg hinaus p2b_324.019 Sich schwingen will, weil es nach Höherm strebt, p2b_324.020 Als Vers bisher und Prosa noch gewagt. p2b_324.021 Und du, o Geist, vor dem ein reines Herz p2b_324.022 Mehr gilt als Tempelpracht, belehre mich! p2b_324.023 Du kannst es, denn von Anbeginn warst du; p2b_324.024 Die Tiefe deckend, einer Taube gleich p2b_324.025 Mit mächt'gen Fittigen, befruchtetest p2b_324.026 Du ihren Schoß. Was in mir dunkel ist, p2b_324.027 Erhelle, und was niedrig, richt' empor: p2b_324.028 Daß, würdig des erhab'nen Stoffes, ich p2b_324.029 Die ew'ge Vorsehung und Gottes Wege p2b_324.030 Rechtfert'gen und den Menschen künden mag! p2b_324.031 Sprich denn ─ vor deinem Blicke birgt sich nichts p2b_324.032 Jm Himmel noch im tiefen Höllenschlunde ─ p2b_324.033 Sprich, was hat unser Elternpaar vermocht, p2b_324.034 So hoch beglückt, vom Schöpfer abzufallen p2b_324.035 Und wider dessen einziges Verbot, p2b_324.036 Sonst Herrn der Erdenwelt, zu sündigen? p2b_324.037 Wer, sprich, verführte sie zum Ungehorsam? p2b_324.038 Der Höllendrache war es, der, von Neid p2b_324.039 Und Rachbegier entflammt, der Menschheit Mutter p2b_324.040 Durch List betrog, nachdem sein Hochmut ihn p2b_324.041 Herabgestürzt vom Himmel samt dem Heer p2b_324.042 Aufrührerischer Engel, mit des Hülfe, p2b_324.043 Nach Herrschaft über seines Gleichen trachtend, p2b_324.044 Er sich dem Höchsten gleich zu sein vermaß; p2b_324.045 Verruchten Krieg erhob er drum im Himmel, p2b_324.046 Krieg wider Gottes Thron und Majestät, p2b_324.047 Bis auf dem Schlachtfeld seines Stolzes Ziel p2b_324.048 Vereitelt ward. Die Allmacht schleuderte p2b_324.049 Mit gräßlicher Zerschmettrung häuptlings ihn p2b_324.050 Vom Himmelssitz in bodenlos Verderben, p2b_324.051 Daß er in diamant'nen Ketten dort, p2b_324.052 Von Glut gepeinigt, wohne, der's gewagt, p2b_324.053 Zum Kampf zu fordern den allmächtigen Gott. &c. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0346" n="324"/><lb n="p2b_324.001"/> anschließende <hi rendition="#g">Wiedergewonnene Paradies</hi> Miltons in demselben Metrum <lb n="p2b_324.002"/> umfaßt nur vier Gesänge.)</p> <p><lb n="p2b_324.003"/><hi rendition="#g">Probe aus dem verlorenen Paradies.</hi> (Übers. von Bernh. Schuhmann. <lb n="p2b_324.004"/> 2. Aufl. 1877.)</p> <lb n="p2b_324.005"/> <p rendition="#left">S. 3.</p> <lg> <l>Des Menschen erste Sünde, den Genuß</l> <lb n="p2b_324.006"/> <l>Von des verbot'nen Baumes Frucht, die Tod</l> <lb n="p2b_324.007"/> <l>Und alles Weh erzeugt hat und die Menschheit</l> <lb n="p2b_324.008"/> <l>Aus Eden bannte, bis ein Größrer einst</l> <lb n="p2b_324.009"/> <l>Sie wieder einführt in den Sitz des Heils ─</l> <lb n="p2b_324.010"/> <l>Sing', Himmelsmuse, die du auf des Horeb</l> <lb n="p2b_324.011"/> <l>Einsamer Höh' und auf dem Sinai</l> <lb n="p2b_324.012"/> <l>Den Hirten hast begeistert, der zuerst</l> <lb n="p2b_324.013"/> <l>Dem auserwählten Volke kund gethan,</l> <lb n="p2b_324.014"/> <l>Wie Erd' und Himmel aus dem Chaos stiegen!</l> <lb n="p2b_324.015"/> <l>Doch liebst du Sion und den Bach Siloah</l> <lb n="p2b_324.016"/> <l>Am Gott-Orakel mehr, fleh ich von dort</l> <lb n="p2b_324.017"/> <l>Um deinen Beistand für mein kühnes Lied,</l> <lb n="p2b_324.018"/> <l>Das über Aoniens Musenberg hinaus</l> <lb n="p2b_324.019"/> <l>Sich schwingen will, weil es nach Höherm strebt,</l> <lb n="p2b_324.020"/> <l>Als Vers bisher und Prosa noch gewagt.</l> <lb n="p2b_324.021"/> <l>Und du, o Geist, vor dem ein reines Herz</l> <lb n="p2b_324.022"/> <l>Mehr gilt als Tempelpracht, belehre mich!</l> <lb n="p2b_324.023"/> <l>Du kannst es, denn von Anbeginn warst du;</l> <lb n="p2b_324.024"/> <l>Die Tiefe deckend, einer Taube gleich</l> <lb n="p2b_324.025"/> <l>Mit mächt'gen Fittigen, befruchtetest</l> <lb n="p2b_324.026"/> <l>Du ihren Schoß. 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anschließende Wiedergewonnene Paradies Miltons in demselben Metrum p2b_324.002
umfaßt nur vier Gesänge.)
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Probe aus dem verlorenen Paradies. (Übers. von Bernh. Schuhmann. p2b_324.004
2. Aufl. 1877.)
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S. 3.
Des Menschen erste Sünde, den Genuß p2b_324.006
Von des verbot'nen Baumes Frucht, die Tod p2b_324.007
Und alles Weh erzeugt hat und die Menschheit p2b_324.008
Aus Eden bannte, bis ein Größrer einst p2b_324.009
Sie wieder einführt in den Sitz des Heils ─ p2b_324.010
Sing', Himmelsmuse, die du auf des Horeb p2b_324.011
Einsamer Höh' und auf dem Sinai p2b_324.012
Den Hirten hast begeistert, der zuerst p2b_324.013
Dem auserwählten Volke kund gethan, p2b_324.014
Wie Erd' und Himmel aus dem Chaos stiegen! p2b_324.015
Doch liebst du Sion und den Bach Siloah p2b_324.016
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Das über Aoniens Musenberg hinaus p2b_324.019
Sich schwingen will, weil es nach Höherm strebt, p2b_324.020
Als Vers bisher und Prosa noch gewagt. p2b_324.021
Und du, o Geist, vor dem ein reines Herz p2b_324.022
Mehr gilt als Tempelpracht, belehre mich! p2b_324.023
Du kannst es, denn von Anbeginn warst du; p2b_324.024
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Mit mächt'gen Fittigen, befruchtetest p2b_324.026
Du ihren Schoß. Was in mir dunkel ist, p2b_324.027
Erhelle, und was niedrig, richt' empor: p2b_324.028
Daß, würdig des erhab'nen Stoffes, ich p2b_324.029
Die ew'ge Vorsehung und Gottes Wege p2b_324.030
Rechtfert'gen und den Menschen künden mag! p2b_324.031
Sprich denn ─ vor deinem Blicke birgt sich nichts p2b_324.032
Jm Himmel noch im tiefen Höllenschlunde ─ p2b_324.033
Sprich, was hat unser Elternpaar vermocht, p2b_324.034
So hoch beglückt, vom Schöpfer abzufallen p2b_324.035
Und wider dessen einziges Verbot, p2b_324.036
Sonst Herrn der Erdenwelt, zu sündigen? p2b_324.037
Wer, sprich, verführte sie zum Ungehorsam? p2b_324.038
Der Höllendrache war es, der, von Neid p2b_324.039
Und Rachbegier entflammt, der Menschheit Mutter p2b_324.040
Durch List betrog, nachdem sein Hochmut ihn p2b_324.041
Herabgestürzt vom Himmel samt dem Heer p2b_324.042
Aufrührerischer Engel, mit des Hülfe, p2b_324.043
Nach Herrschaft über seines Gleichen trachtend, p2b_324.044
Er sich dem Höchsten gleich zu sein vermaß; p2b_324.045
Verruchten Krieg erhob er drum im Himmel, p2b_324.046
Krieg wider Gottes Thron und Majestät, p2b_324.047
Bis auf dem Schlachtfeld seines Stolzes Ziel p2b_324.048
Vereitelt ward. Die Allmacht schleuderte p2b_324.049
Mit gräßlicher Zerschmettrung häuptlings ihn p2b_324.050
Vom Himmelssitz in bodenlos Verderben, p2b_324.051
Daß er in diamant'nen Ketten dort, p2b_324.052
Von Glut gepeinigt, wohne, der's gewagt, p2b_324.053
Zum Kampf zu fordern den allmächtigen Gott. &c.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/346>, abgerufen am 17.07.2024. |