p2b_290.001 Jn dem ganzen Nibelungen-Epos tritt das echt deutsche Element in seiner p2b_290.002 Ursprünglichkeit hervor, unbeeinflußt vom Christentum und von der Bildung p2b_290.003 der Ritterzeit. (Wagner hat es mit Recht als Unterlage für seine charakteristisch p2b_290.004 deutsche Musik bearbeitet.)
p2b_290.005 Die Germanen waren so genial, ihre epischen Volksdichtungen zur Epopöe p2b_290.006 zu gestalten, zu einem künstlerischen Epos, das vieles zum Teil aus Urzeiten p2b_290.007 herüberklingende, zum Teil seit Jahrhunderten Gesungene in einen Guß p2b_290.008 brachte und Sage wie Mythus zusammenfließen ließ (z. B. Siegfried ist wahrscheinlich p2b_290.009 Baldur, Hagen von Tronje == Hödur, Dietrich von Bern == Odin &c.). p2b_290.010 Mythus und Göttersage zerflossen vor dem Einfluß des Christentums. Während p2b_290.011 Homer weit schönere Götterideale bilden durfte, mußte der Verfasser des Nibelungenlieds p2b_290.012 heidnische und christliche Anschauungen versöhnen, mußte er wesentliche, p2b_290.013 heidnische Bestandteile umwandeln oder weglassen. Trotz ihrer Schönheiten p2b_290.014 bleiben die Nibelungen spröder als die Jlias. Hagen von Tronje steht p2b_290.015 an Kühnheit und Gewalt keiner dichterischen Erscheinung nach, wohl aber Siegfried p2b_290.016 dem Achilles.
p2b_290.017 Die Architektur des Epos ist mustergültig. Durch das Ganze zieht sich p2b_290.018 die Schuld hindurch; diese drängt bis zum Morde Siegfrieds, aus dem neue p2b_290.019 Schuld erwächst bis zum tragischen Ende, aus welchem nur Etzel, Hildebrand p2b_290.020 und Dietrich übrig blieben.
p2b_290.021 Abgesehen von dem höfischen Beigeschmack, dem der Dichter sich nicht p2b_290.022 ganz entziehen konnte, ist das Gedicht ein bleibendes Muster der Poesie, p2b_290.023 namentlich was Gestaltung und Darstellung betrifft.
p2b_290.024 Als Sprachprobe aus dem durch Schulausgaben allbekannten Nibelungenlied p2b_290.025 vgl. Bd. I S. 603.
p2b_290.026 b. Gudrunepos. Dem ernsten Nibelungen-Epos steht das weniger p2b_290.027 vollendete heitere Heldengedicht Gudrun gegenüber, das an der Nordsee spielt, p2b_290.028 und bei dem nicht das Edelweibliche durch Unglück in Rachedurst und Grausamkeit p2b_290.029 umschlägt, vielmehr sich in echt weiblicher Weise durch gewaltiges Ertragen p2b_290.030 des Geschickes bewährt. Es ist entstanden aus den Sagen: 1. von Siegeband p2b_290.031 und Hagen, 2. von Hildes Entführung, 3. Gudruns Entführung und p2b_290.032 Befreiung. Jnhalt: s. Bd. I S. 44.
p2b_290.033 Als Sprachprobe aus dem bekannten Gudrunepos vgl. Bd. I, S. 608.
p2b_290.034 c. Weitere deutsche Volksepen. Jn Bd. I § 18, S. 44 sind p2b_290.035 unter Nr. 3-9 noch mehrere kleine Volksepen erwähnt, sowie Bd. I S. 43 p2b_290.036 das Bruchstück "Hildebrand", welches zweifellos den Hauptteil eines gewaltigen p2b_290.037 deutschen Volksepos bildete, dessen übrige Teile man bis heute nicht auffand.
p2b_290.038 Wie es bei den Griechen kein Dichter verstand, die bedeutungsvollen p2b_290.039 Helden des Argonautenzugs durch einen Odysseus überragen zu lassen, so vermochte p2b_290.040 auch bei den Deutschen noch keine dichterische Fähigkeit Hildebrand zum p2b_290.041 großen Volksepos abzurunden. Beide gewaltige Stoffe blieben - so zu sagen - p2b_290.042 episch stecken.
p2b_290.043 Die Brüder Grimm haben zuerst das aus 61 Verszeilen bestehende p2b_290.044 Bruchstück des Liedes von Hildebrand und Hadubrand in seinem urkundlichen
p2b_290.001 Jn dem ganzen Nibelungen-Epos tritt das echt deutsche Element in seiner p2b_290.002 Ursprünglichkeit hervor, unbeeinflußt vom Christentum und von der Bildung p2b_290.003 der Ritterzeit. (Wagner hat es mit Recht als Unterlage für seine charakteristisch p2b_290.004 deutsche Musik bearbeitet.)
p2b_290.005 Die Germanen waren so genial, ihre epischen Volksdichtungen zur Epopöe p2b_290.006 zu gestalten, zu einem künstlerischen Epos, das vieles zum Teil aus Urzeiten p2b_290.007 herüberklingende, zum Teil seit Jahrhunderten Gesungene in einen Guß p2b_290.008 brachte und Sage wie Mythus zusammenfließen ließ (z. B. Siegfried ist wahrscheinlich p2b_290.009 Baldur, Hagen von Tronje == Hödur, Dietrich von Bern == Odin &c.). p2b_290.010 Mythus und Göttersage zerflossen vor dem Einfluß des Christentums. Während p2b_290.011 Homer weit schönere Götterideale bilden durfte, mußte der Verfasser des Nibelungenlieds p2b_290.012 heidnische und christliche Anschauungen versöhnen, mußte er wesentliche, p2b_290.013 heidnische Bestandteile umwandeln oder weglassen. Trotz ihrer Schönheiten p2b_290.014 bleiben die Nibelungen spröder als die Jlias. Hagen von Tronje steht p2b_290.015 an Kühnheit und Gewalt keiner dichterischen Erscheinung nach, wohl aber Siegfried p2b_290.016 dem Achilles.
p2b_290.017 Die Architektur des Epos ist mustergültig. Durch das Ganze zieht sich p2b_290.018 die Schuld hindurch; diese drängt bis zum Morde Siegfrieds, aus dem neue p2b_290.019 Schuld erwächst bis zum tragischen Ende, aus welchem nur Etzel, Hildebrand p2b_290.020 und Dietrich übrig blieben.
p2b_290.021 Abgesehen von dem höfischen Beigeschmack, dem der Dichter sich nicht p2b_290.022 ganz entziehen konnte, ist das Gedicht ein bleibendes Muster der Poesie, p2b_290.023 namentlich was Gestaltung und Darstellung betrifft.
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p2b_290.033 Als Sprachprobe aus dem bekannten Gudrunepos vgl. Bd. I, S. 608.
p2b_290.034 c. Weitere deutsche Volksepen. Jn Bd. I § 18, S. 44 sind p2b_290.035 unter Nr. 3─9 noch mehrere kleine Volksepen erwähnt, sowie Bd. I S. 43 p2b_290.036 das Bruchstück „Hildebrand“, welches zweifellos den Hauptteil eines gewaltigen p2b_290.037 deutschen Volksepos bildete, dessen übrige Teile man bis heute nicht auffand.
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Als Sprachprobe aus dem durch Schulausgaben allbekannten Nibelungenlied p2b_290.025
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Befreiung. Jnhalt: s. Bd. I S. 44.
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Als Sprachprobe aus dem bekannten Gudrunepos vgl. Bd. I, S. 608.
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das Bruchstück „Hildebrand“, welches zweifellos den Hauptteil eines gewaltigen p2b_290.037
deutschen Volksepos bildete, dessen übrige Teile man bis heute nicht auffand.
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Wie es bei den Griechen kein Dichter verstand, die bedeutungsvollen p2b_290.039
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/312>, abgerufen am 23.11.2024.
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