p2b_270.001 obwohl sie sich mehr der Ballade zuneigen, besonders die aus dem p2b_270.002 letzten Kriege, die recht gut den Stoff zu einem großen Nationalepos abgeben p2b_270.003 könnten. Manche Ballade könnte als ein kleines Epos angesehen werden, p2b_270.004 wenigstens als Keim eines solchen.
p2b_270.005 3. Der Stoff unserer volkstümlichen Ballade ist jener nordischen Mythenzeit p2b_270.006 entnommen, die im Halbdunkel und Zwielicht Götter und Menschen und p2b_270.007 Naturkräfte beseelt, symbolisiert oder verwechselt: die Luft mit dem wilden p2b_270.008 Heere, die Seen mit Elfen und das Meer mit boshaften Geistern belebt, welch p2b_270.009 letztere das Schiff im Schaum der Brandung an den Klippen zerschellen lassen p2b_270.010 oder keuchend im Sturm durch die Wogen jagen. Daher ist zum Unterschied p2b_270.011 von der bloßen Sage und der Romanze in der Ballade immer etwas Schauerliches, p2b_270.012 Nebelhaftes, Tragisches, Mysteriöses, dämonisch Unheimlichesp2b_270.013 vorherrschend, wozu sich ursprünglich noch ein düsterer, melancholischer, oft rauher p2b_270.014 Charakter gesellt. Jn der Ballade spiegeln sich eben die Eindrücke der Natur, p2b_270.015 des Glaubens und der Beschäftigung des nordischen Bewohners auf sein Gemüt p2b_270.016 ab. Meist bezeichnet sie daher etwas Tragisches, Rätselhaftes, Ahnungsvolles.
p2b_270.017 Dieses Charakterisierende, das ihr die Abstammung aus den Elementen p2b_270.018 der nordischen Natur und Anschauungsweise aufprägt, bedingt es, daß die p2b_270.019 Ballade in ihrem musikalischen Wesen mehr als die Romanze Volkslied ist, p2b_270.020 freilich ein episches Volkslied, bei welchem der Dichter viel Subjektives zum p2b_270.021 Gegenstand giebt, im Gegensatz zur Romanze, die ihrem Zweck nach romantische p2b_270.022 Erzählung ist. Das Sangbare der Ballade geht auch aus der Form des Liedes p2b_270.023 mit gleichmäßigen der nordgermanischen Poesie eigentümlichen Strophen und p2b_270.024 Reimen hervor, während bei der Romanze gerade die Freiheit in der Kunstform p2b_270.025 (man vgl. die Proben aus dem Cid &c.) ein Charakteristikum bildet.
p2b_270.026 4. Die Anlage der Erzählung und die Sprache ist einfach, oft nicht klar p2b_270.027 und fließend, sondern den weitern Zusammenhang nur erraten lassend. Dadurch p2b_270.028 behält sie den volkstümlichen, volksliedartigen Charakter und geht leicht p2b_270.029 in's Volk über. Bei der Tiefe und Bedeutsamkeit des Erzählten erhält die p2b_270.030 ungekünstelte Darstellung erst den rechten Ausdruck durch den Gesang. Das p2b_270.031 Wort deutet an, die Musik führt aus. Deswegen hat die Ballade so viel p2b_270.032 Lyrisches, wie keine andre epische Dichtungsart, und bildet so recht das Verbindungsglied p2b_270.033 zwischen Epik und Lyrik.
p2b_270.034 5. Die Volksballaden des nordischen Volkes zeigen viel Verwandtes. Alle p2b_270.035 Volkspoesie ist sich nahe verwandt, sowohl die des einen Volks, wie auch die p2b_270.036 aller germanischen Stämme. Wenige Grundzüge treten hervor. Wir finden p2b_270.037 oft 2, 3, 4 Balladen, jede von besonderer Schönheit und hohem Jnteresse - p2b_270.038 und doch sind sie nur Variationen des Grundthemas. Ein Dichter hörte z. B. p2b_270.039 des anderen Ballade von der Bezauberung des Knaben durch Elfenreize singen. p2b_270.040 Jn seiner Erinnerung blieb das Wesentliche - und er sang dasselbe Lied p2b_270.041 nach, nur mit veränderten Worten, vielleicht auch mit Hervorhebung anderer p2b_270.042 Bilder, welche ihn besonders ergriffen hatten, oder welche ihm bedeutungsvoller p2b_270.043 erschienen sind. Jn vielen Balladen treten immer die gleichen Grundthemata p2b_270.044 hervor: Der Braut stirbt der Bräutigam; treue Liebende gehen unter durch
p2b_270.001 obwohl sie sich mehr der Ballade zuneigen, besonders die aus dem p2b_270.002 letzten Kriege, die recht gut den Stoff zu einem großen Nationalepos abgeben p2b_270.003 könnten. Manche Ballade könnte als ein kleines Epos angesehen werden, p2b_270.004 wenigstens als Keim eines solchen.
p2b_270.005 3. Der Stoff unserer volkstümlichen Ballade ist jener nordischen Mythenzeit p2b_270.006 entnommen, die im Halbdunkel und Zwielicht Götter und Menschen und p2b_270.007 Naturkräfte beseelt, symbolisiert oder verwechselt: die Luft mit dem wilden p2b_270.008 Heere, die Seen mit Elfen und das Meer mit boshaften Geistern belebt, welch p2b_270.009 letztere das Schiff im Schaum der Brandung an den Klippen zerschellen lassen p2b_270.010 oder keuchend im Sturm durch die Wogen jagen. Daher ist zum Unterschied p2b_270.011 von der bloßen Sage und der Romanze in der Ballade immer etwas Schauerliches, p2b_270.012 Nebelhaftes, Tragisches, Mysteriöses, dämonisch Unheimlichesp2b_270.013 vorherrschend, wozu sich ursprünglich noch ein düsterer, melancholischer, oft rauher p2b_270.014 Charakter gesellt. Jn der Ballade spiegeln sich eben die Eindrücke der Natur, p2b_270.015 des Glaubens und der Beschäftigung des nordischen Bewohners auf sein Gemüt p2b_270.016 ab. Meist bezeichnet sie daher etwas Tragisches, Rätselhaftes, Ahnungsvolles.
p2b_270.017 Dieses Charakterisierende, das ihr die Abstammung aus den Elementen p2b_270.018 der nordischen Natur und Anschauungsweise aufprägt, bedingt es, daß die p2b_270.019 Ballade in ihrem musikalischen Wesen mehr als die Romanze Volkslied ist, p2b_270.020 freilich ein episches Volkslied, bei welchem der Dichter viel Subjektives zum p2b_270.021 Gegenstand giebt, im Gegensatz zur Romanze, die ihrem Zweck nach romantische p2b_270.022 Erzählung ist. Das Sangbare der Ballade geht auch aus der Form des Liedes p2b_270.023 mit gleichmäßigen der nordgermanischen Poesie eigentümlichen Strophen und p2b_270.024 Reimen hervor, während bei der Romanze gerade die Freiheit in der Kunstform p2b_270.025 (man vgl. die Proben aus dem Cid &c.) ein Charakteristikum bildet.
p2b_270.026 4. Die Anlage der Erzählung und die Sprache ist einfach, oft nicht klar p2b_270.027 und fließend, sondern den weitern Zusammenhang nur erraten lassend. Dadurch p2b_270.028 behält sie den volkstümlichen, volksliedartigen Charakter und geht leicht p2b_270.029 in's Volk über. Bei der Tiefe und Bedeutsamkeit des Erzählten erhält die p2b_270.030 ungekünstelte Darstellung erst den rechten Ausdruck durch den Gesang. Das p2b_270.031 Wort deutet an, die Musik führt aus. Deswegen hat die Ballade so viel p2b_270.032 Lyrisches, wie keine andre epische Dichtungsart, und bildet so recht das Verbindungsglied p2b_270.033 zwischen Epik und Lyrik.
p2b_270.034 5. Die Volksballaden des nordischen Volkes zeigen viel Verwandtes. Alle p2b_270.035 Volkspoesie ist sich nahe verwandt, sowohl die des einen Volks, wie auch die p2b_270.036 aller germanischen Stämme. Wenige Grundzüge treten hervor. Wir finden p2b_270.037 oft 2, 3, 4 Balladen, jede von besonderer Schönheit und hohem Jnteresse ─ p2b_270.038 und doch sind sie nur Variationen des Grundthemas. Ein Dichter hörte z. B. p2b_270.039 des anderen Ballade von der Bezauberung des Knaben durch Elfenreize singen. p2b_270.040 Jn seiner Erinnerung blieb das Wesentliche ─ und er sang dasselbe Lied p2b_270.041 nach, nur mit veränderten Worten, vielleicht auch mit Hervorhebung anderer p2b_270.042 Bilder, welche ihn besonders ergriffen hatten, oder welche ihm bedeutungsvoller p2b_270.043 erschienen sind. Jn vielen Balladen treten immer die gleichen Grundthemata p2b_270.044 hervor: Der Braut stirbt der Bräutigam; treue Liebende gehen unter durch
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/292>, abgerufen am 23.11.2024.
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