Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_259.001 "Deine Federn von Gold', die kleiden mich nicht, die ich für dich sollte tragen, p2b_259.002 Jn der Welt ein wildfremdes Vögelein, wovon kein Mensch weiß zu sagen." p2b_259.003 "Bist du ein wildfremdes Vögelein und unbekannt allen Leuten, p2b_259.004 Dich zwingt wohl Hunger, Frost und Schnee, der fällt auf den Weg, den breiten." p2b_259.005 "Mich zwingt nicht Hunger, mich zwingt nicht Schnee, der fällt auf den Weg, p2b_259.006 den breiten, p2b_259.007 Mich zwingt weit mehr geheime Pein, die machte mir Angst und Leiden. p2b_259.008 Wohl zwischen Bergen und tiefem Thal', da rinnen die brausenden Wasser, p2b_259.009 Und welcher einen Treuliebsten hat, kann ihn aus dem Herzen nicht lassen. p2b_259.010 Jch hatt' einen Liebsten kühn und fromm, einen Ritter von herrischen Gaben, p2b_259.011 Meine Stiefmutter warf es geschwinde um, sie wollte die Liebe nicht haben. p2b_259.012 Sie schuf mich zu einer Nachtigall, hieß mich in der Welt umfliegen, p2b_259.013 Meinen Bruder zu einem Wolfe so grimm, mußte sich zu den Wölfen fügen. p2b_259.014 Gleich lief er in den Wald, sie sprach: "Jn Wolfsgestalt soll er gehen, p2b_259.015 Bis daß er getrunken mein Herzensblut." Sieben Jahre drauf ist es geschehen. p2b_259.016 Einen Tag sie ging so wonniglich im Rosenhain' spazieren, p2b_259.017 Mein Bruder sah es und zorniglich ihr leise nach thät spüren. p2b_259.018 Er griff sie an ihrem linken Fuß' mit reißigem Wolfesmunde, p2b_259.019 Riß aus ihr Herz und trank ihr Blut und ward gesund zur Stunde. p2b_259.020 Noch bin ich ein kleines Vögelein, das fliegt in wilden Heiden, p2b_259.021 So jammervoll muß ich leben meine Zeit, doch meist in Winterzeiten. p2b_259.022 Doch Preis dem, der mir geholfen hat, daß ich die Zunge kann rühren, p2b_259.023 Da ich nicht gesprochen in fünfzehn Jahr', wie mit euch ich Rede kann führen. p2b_259.024 Aber gesungen hab' ich immerdar mit lieblichen Nachtigallkehlen, p2b_259.025 Und in dem allergrünsten Hain' thät ich meinen Zweig mir wählen." p2b_259.026 "Und horch, du kleine Nachtigall, was dich wohl kann vergnügen, p2b_259.027 Kannst sitzen im Winter im Hause mein, im Sommer wieder ausfliegen." p2b_259.028 "Hab' Dank, schöner Ritter, der Frommheit dein, ich darf es doch nicht wagen, p2b_259.029 Denn das verbot die Stiefmutter mein, so lang' ich Federn muß tragen." p2b_259.030 Die Nachtigall in Gedanken stand: ich thu' nicht des Ritters Willen; p2b_259.031 Da griff er sie bei den Füßen klein, das Schicksal sollt' er erfüllen. p2b_259.032 Er ging mit ihr wohl in sein Haus, verschloß die Fenster und Thüren, p2b_259.033 Sie ward zu manchem Wunderthier', wie man soll hören und spüren. p2b_259.034 Erst wandelt' sie sich in Bären und Leu'n, ist dann zur Schlange worden, p2b_259.035 Zuletzt zu einem Lindwurm' groß, der wollte den Ritter morden. p2b_259.036 Er schnitt sie mit einem Messerlein, daß Blut heraus thät' fließen, p2b_259.037 Stracks stand, wie eine Blume klar, eine Jungfrau ihm zu Füßen. p2b_259.038 "Nun hab' ich erlöst dich von deiner Not und von deinen heimlichen Leiden, p2b_259.039 So sage mir denn deine Abkunft gut von Vaters und Mutters Seiten." p2b_259.040 "Ägyptenland's König mein Vater war, sein Gemahl meine Mutter in Ehren, p2b_259.041 Meinen Bruder verschuf man zu einem Wolf', durch die wilden Wälder zu stören." p2b_259.042
"Jst Ägypten's König lieb Vater dein, sein Gemahl deine Mutter in Ehren, p2b_259.043 Fürwahr, bist Schwestertochter mir, die sonst sich als Nachtigall ließ hören." p2b_259.044 Da ward große Freud' in dem ganzen Hof', ja rings in dem ganzen Lande, p2b_259.045 Daß der Ritter gefangen die Nachtigall, die gewohnt in der Linde so lange. p2b_259.001 „Deine Federn von Gold', die kleiden mich nicht, die ich für dich sollte tragen, p2b_259.002 Jn der Welt ein wildfremdes Vögelein, wovon kein Mensch weiß zu sagen.“ p2b_259.003 „Bist du ein wildfremdes Vögelein und unbekannt allen Leuten, p2b_259.004 Dich zwingt wohl Hunger, Frost und Schnee, der fällt auf den Weg, den breiten.“ p2b_259.005 „Mich zwingt nicht Hunger, mich zwingt nicht Schnee, der fällt auf den Weg, p2b_259.006 den breiten, p2b_259.007 Mich zwingt weit mehr geheime Pein, die machte mir Angst und Leiden. p2b_259.008 Wohl zwischen Bergen und tiefem Thal', da rinnen die brausenden Wasser, p2b_259.009 Und welcher einen Treuliebsten hat, kann ihn aus dem Herzen nicht lassen. p2b_259.010 Jch hatt' einen Liebsten kühn und fromm, einen Ritter von herrischen Gaben, p2b_259.011 Meine Stiefmutter warf es geschwinde um, sie wollte die Liebe nicht haben. p2b_259.012 Sie schuf mich zu einer Nachtigall, hieß mich in der Welt umfliegen, p2b_259.013 Meinen Bruder zu einem Wolfe so grimm, mußte sich zu den Wölfen fügen. p2b_259.014 Gleich lief er in den Wald, sie sprach: „Jn Wolfsgestalt soll er gehen, p2b_259.015 Bis daß er getrunken mein Herzensblut.“ Sieben Jahre drauf ist es geschehen. p2b_259.016 Einen Tag sie ging so wonniglich im Rosenhain' spazieren, p2b_259.017 Mein Bruder sah es und zorniglich ihr leise nach thät spüren. p2b_259.018 Er griff sie an ihrem linken Fuß' mit reißigem Wolfesmunde, p2b_259.019 Riß aus ihr Herz und trank ihr Blut und ward gesund zur Stunde. p2b_259.020 Noch bin ich ein kleines Vögelein, das fliegt in wilden Heiden, p2b_259.021 So jammervoll muß ich leben meine Zeit, doch meist in Winterzeiten. p2b_259.022 Doch Preis dem, der mir geholfen hat, daß ich die Zunge kann rühren, p2b_259.023 Da ich nicht gesprochen in fünfzehn Jahr', wie mit euch ich Rede kann führen. p2b_259.024 Aber gesungen hab' ich immerdar mit lieblichen Nachtigallkehlen, p2b_259.025 Und in dem allergrünsten Hain' thät ich meinen Zweig mir wählen.“ p2b_259.026 „Und horch, du kleine Nachtigall, was dich wohl kann vergnügen, p2b_259.027 Kannst sitzen im Winter im Hause mein, im Sommer wieder ausfliegen.“ p2b_259.028 „Hab' Dank, schöner Ritter, der Frommheit dein, ich darf es doch nicht wagen, p2b_259.029 Denn das verbot die Stiefmutter mein, so lang' ich Federn muß tragen.“ p2b_259.030 Die Nachtigall in Gedanken stand: ich thu' nicht des Ritters Willen; p2b_259.031 Da griff er sie bei den Füßen klein, das Schicksal sollt' er erfüllen. p2b_259.032 Er ging mit ihr wohl in sein Haus, verschloß die Fenster und Thüren, p2b_259.033 Sie ward zu manchem Wunderthier', wie man soll hören und spüren. p2b_259.034 Erst wandelt' sie sich in Bären und Leu'n, ist dann zur Schlange worden, p2b_259.035 Zuletzt zu einem Lindwurm' groß, der wollte den Ritter morden. p2b_259.036 Er schnitt sie mit einem Messerlein, daß Blut heraus thät' fließen, p2b_259.037 Stracks stand, wie eine Blume klar, eine Jungfrau ihm zu Füßen. p2b_259.038 „Nun hab' ich erlöst dich von deiner Not und von deinen heimlichen Leiden, p2b_259.039 So sage mir denn deine Abkunft gut von Vaters und Mutters Seiten.“ p2b_259.040 „Ägyptenland's König mein Vater war, sein Gemahl meine Mutter in Ehren, p2b_259.041 Meinen Bruder verschuf man zu einem Wolf', durch die wilden Wälder zu stören.“ p2b_259.042
„Jst Ägypten's König lieb Vater dein, sein Gemahl deine Mutter in Ehren, p2b_259.043 Fürwahr, bist Schwestertochter mir, die sonst sich als Nachtigall ließ hören.“ p2b_259.044 Da ward große Freud' in dem ganzen Hof', ja rings in dem ganzen Lande, p2b_259.045 Daß der Ritter gefangen die Nachtigall, die gewohnt in der Linde so lange. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0281" n="259"/> <lb n="p2b_259.001"/> <lg> <l> „Deine Federn von Gold', die kleiden mich nicht, die ich für dich sollte tragen,</l> <lb n="p2b_259.002"/> <l>Jn der Welt ein wildfremdes Vögelein, wovon kein Mensch weiß zu sagen.“</l> <lb n="p2b_259.003"/> <l>„Bist du ein wildfremdes Vögelein und unbekannt allen Leuten,</l> <lb n="p2b_259.004"/> <l>Dich zwingt wohl Hunger, Frost und Schnee, der fällt auf den Weg, den breiten.“ </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.005"/> <l> „Mich zwingt nicht Hunger, mich zwingt nicht Schnee, der fällt auf den Weg,</l> <lb n="p2b_259.006"/> <l> <hi rendition="#et">den breiten,</hi> </l> <lb n="p2b_259.007"/> <l>Mich zwingt weit mehr geheime Pein, die machte mir Angst und Leiden.</l> <lb n="p2b_259.008"/> <l>Wohl zwischen Bergen und tiefem Thal', da rinnen die brausenden Wasser,</l> <lb n="p2b_259.009"/> <l>Und welcher einen Treuliebsten hat, kann ihn aus dem Herzen nicht lassen. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.010"/> <l> Jch hatt' einen Liebsten kühn und fromm, einen Ritter von herrischen Gaben,</l> <lb n="p2b_259.011"/> <l>Meine Stiefmutter warf es geschwinde um, sie wollte die Liebe nicht haben.</l> <lb n="p2b_259.012"/> <l>Sie schuf mich zu einer Nachtigall, hieß mich in der Welt umfliegen,</l> <lb n="p2b_259.013"/> <l>Meinen Bruder zu einem Wolfe so grimm, mußte sich zu den Wölfen fügen. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.014"/> <l> Gleich lief er in den Wald, sie sprach: „Jn Wolfsgestalt soll er gehen,</l> <lb n="p2b_259.015"/> <l>Bis daß er getrunken mein Herzensblut.“ Sieben Jahre drauf ist es geschehen.</l> <lb n="p2b_259.016"/> <l>Einen Tag sie ging so wonniglich im Rosenhain' spazieren,</l> <lb n="p2b_259.017"/> <l>Mein Bruder sah es und zorniglich ihr leise nach thät spüren. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.018"/> <l> Er griff sie an ihrem linken Fuß' mit reißigem Wolfesmunde,</l> <lb n="p2b_259.019"/> <l>Riß aus ihr Herz und trank ihr Blut und ward gesund zur Stunde.</l> <lb n="p2b_259.020"/> <l>Noch bin ich ein kleines Vögelein, das fliegt in wilden Heiden,</l> <lb n="p2b_259.021"/> <l>So jammervoll muß ich leben meine Zeit, doch meist in Winterzeiten. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.022"/> <l> Doch Preis dem, der mir geholfen hat, daß ich die Zunge kann rühren,</l> <lb n="p2b_259.023"/> <l>Da ich nicht gesprochen in fünfzehn Jahr', wie mit euch ich Rede kann führen.</l> <lb n="p2b_259.024"/> <l>Aber gesungen hab' ich immerdar mit lieblichen Nachtigallkehlen,</l> <lb n="p2b_259.025"/> <l>Und in dem allergrünsten Hain' thät ich meinen Zweig mir wählen.“ </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.026"/> <l> „Und horch, du kleine Nachtigall, was dich wohl kann vergnügen,</l> <lb n="p2b_259.027"/> <l>Kannst sitzen im Winter im Hause mein, im Sommer wieder ausfliegen.“</l> <lb n="p2b_259.028"/> <l>„Hab' Dank, schöner Ritter, der Frommheit dein, ich darf es doch nicht wagen,</l> <lb n="p2b_259.029"/> <l>Denn das verbot die Stiefmutter mein, so lang' ich Federn muß tragen.“ </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.030"/> <l> Die Nachtigall in Gedanken stand: ich thu' nicht des Ritters Willen;</l> <lb n="p2b_259.031"/> <l>Da griff er sie bei den Füßen klein, das Schicksal sollt' er erfüllen.</l> <lb n="p2b_259.032"/> <l>Er ging mit ihr wohl in sein Haus, verschloß die Fenster und Thüren,</l> <lb n="p2b_259.033"/> <l>Sie ward zu manchem Wunderthier', wie man soll hören und spüren. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.034"/> <l> Erst wandelt' sie sich in Bären und Leu'n, ist dann zur Schlange worden,</l> <lb n="p2b_259.035"/> <l>Zuletzt zu einem Lindwurm' groß, der wollte den Ritter morden.</l> <lb n="p2b_259.036"/> <l>Er schnitt sie mit einem Messerlein, daß Blut heraus thät' fließen,</l> <lb n="p2b_259.037"/> <l>Stracks stand, wie eine Blume klar, eine Jungfrau ihm zu Füßen. </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.038"/> <l> „Nun hab' ich erlöst dich von deiner Not und von deinen heimlichen Leiden,</l> <lb n="p2b_259.039"/> <l>So sage mir denn deine Abkunft gut von Vaters und Mutters Seiten.“</l> <lb n="p2b_259.040"/> <l>„Ägyptenland's König mein Vater war, sein Gemahl meine Mutter in Ehren,</l> <lb n="p2b_259.041"/> <l>Meinen Bruder verschuf man zu einem Wolf', durch die wilden Wälder zu stören.“ </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_259.042"/> <l> „Jst Ägypten's König lieb Vater dein, sein Gemahl deine Mutter in Ehren,</l> <lb n="p2b_259.043"/> <l>Fürwahr, bist Schwestertochter mir, die sonst sich als Nachtigall ließ hören.“</l> <lb n="p2b_259.044"/> <l>Da ward große Freud' in dem ganzen Hof', ja rings in dem ganzen Lande,</l> <lb n="p2b_259.045"/> <l>Daß der Ritter gefangen die Nachtigall, die gewohnt in der Linde so lange.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [259/0281]
p2b_259.001
„Deine Federn von Gold', die kleiden mich nicht, die ich für dich sollte tragen, p2b_259.002
Jn der Welt ein wildfremdes Vögelein, wovon kein Mensch weiß zu sagen.“ p2b_259.003
„Bist du ein wildfremdes Vögelein und unbekannt allen Leuten, p2b_259.004
Dich zwingt wohl Hunger, Frost und Schnee, der fällt auf den Weg, den breiten.“
p2b_259.005
„Mich zwingt nicht Hunger, mich zwingt nicht Schnee, der fällt auf den Weg, p2b_259.006
den breiten, p2b_259.007
Mich zwingt weit mehr geheime Pein, die machte mir Angst und Leiden. p2b_259.008
Wohl zwischen Bergen und tiefem Thal', da rinnen die brausenden Wasser, p2b_259.009
Und welcher einen Treuliebsten hat, kann ihn aus dem Herzen nicht lassen.
p2b_259.010
Jch hatt' einen Liebsten kühn und fromm, einen Ritter von herrischen Gaben, p2b_259.011
Meine Stiefmutter warf es geschwinde um, sie wollte die Liebe nicht haben. p2b_259.012
Sie schuf mich zu einer Nachtigall, hieß mich in der Welt umfliegen, p2b_259.013
Meinen Bruder zu einem Wolfe so grimm, mußte sich zu den Wölfen fügen.
p2b_259.014
Gleich lief er in den Wald, sie sprach: „Jn Wolfsgestalt soll er gehen, p2b_259.015
Bis daß er getrunken mein Herzensblut.“ Sieben Jahre drauf ist es geschehen. p2b_259.016
Einen Tag sie ging so wonniglich im Rosenhain' spazieren, p2b_259.017
Mein Bruder sah es und zorniglich ihr leise nach thät spüren.
p2b_259.018
Er griff sie an ihrem linken Fuß' mit reißigem Wolfesmunde, p2b_259.019
Riß aus ihr Herz und trank ihr Blut und ward gesund zur Stunde. p2b_259.020
Noch bin ich ein kleines Vögelein, das fliegt in wilden Heiden, p2b_259.021
So jammervoll muß ich leben meine Zeit, doch meist in Winterzeiten.
p2b_259.022
Doch Preis dem, der mir geholfen hat, daß ich die Zunge kann rühren, p2b_259.023
Da ich nicht gesprochen in fünfzehn Jahr', wie mit euch ich Rede kann führen. p2b_259.024
Aber gesungen hab' ich immerdar mit lieblichen Nachtigallkehlen, p2b_259.025
Und in dem allergrünsten Hain' thät ich meinen Zweig mir wählen.“
p2b_259.026
„Und horch, du kleine Nachtigall, was dich wohl kann vergnügen, p2b_259.027
Kannst sitzen im Winter im Hause mein, im Sommer wieder ausfliegen.“ p2b_259.028
„Hab' Dank, schöner Ritter, der Frommheit dein, ich darf es doch nicht wagen, p2b_259.029
Denn das verbot die Stiefmutter mein, so lang' ich Federn muß tragen.“
p2b_259.030
Die Nachtigall in Gedanken stand: ich thu' nicht des Ritters Willen; p2b_259.031
Da griff er sie bei den Füßen klein, das Schicksal sollt' er erfüllen. p2b_259.032
Er ging mit ihr wohl in sein Haus, verschloß die Fenster und Thüren, p2b_259.033
Sie ward zu manchem Wunderthier', wie man soll hören und spüren.
p2b_259.034
Erst wandelt' sie sich in Bären und Leu'n, ist dann zur Schlange worden, p2b_259.035
Zuletzt zu einem Lindwurm' groß, der wollte den Ritter morden. p2b_259.036
Er schnitt sie mit einem Messerlein, daß Blut heraus thät' fließen, p2b_259.037
Stracks stand, wie eine Blume klar, eine Jungfrau ihm zu Füßen.
p2b_259.038
„Nun hab' ich erlöst dich von deiner Not und von deinen heimlichen Leiden, p2b_259.039
So sage mir denn deine Abkunft gut von Vaters und Mutters Seiten.“ p2b_259.040
„Ägyptenland's König mein Vater war, sein Gemahl meine Mutter in Ehren, p2b_259.041
Meinen Bruder verschuf man zu einem Wolf', durch die wilden Wälder zu stören.“
p2b_259.042
„Jst Ägypten's König lieb Vater dein, sein Gemahl deine Mutter in Ehren, p2b_259.043
Fürwahr, bist Schwestertochter mir, die sonst sich als Nachtigall ließ hören.“ p2b_259.044
Da ward große Freud' in dem ganzen Hof', ja rings in dem ganzen Lande, p2b_259.045
Daß der Ritter gefangen die Nachtigall, die gewohnt in der Linde so lange.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/281 |
Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/281>, abgerufen am 23.07.2024. |