Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_229.001 p2b_229.009 p2b_229.015 p2b_229.016 p2b_229.017 p2b_229.018 1. Humoristische poetische Erzählung. p2b_229.020Der Milchtopf, von Michaelis. p2b_229.021Wohl aufgeschürzt, mit starken, weiten Schritten, p2b_229.022
Den Milchtopf auf dem Kopf, ging Marthe nach der Stadt, p2b_229.023 Um ihre Sahne feilzubieten. p2b_229.024 Weil doch nun beim Verkauf ein jeder Sorgen hat, p2b_229.025 So überdachte sie, was, wenn's das Glück ihr gönnte, p2b_229.026 Sie wohl damit gewinnen könnte. p2b_229.027 Sechs Groschen, dachte sie, giebt mir doch jedermann - p2b_229.028 Denn in der Stadt ist alles teuer. - p2b_229.029 Die streich' ich also ein, und lege mir sie an, p2b_229.030 Und kaufe mir, so weit sie reichen, Eier, p2b_229.031 Die bring' ich wieder in die Stadt. p2b_229.032 Das Glück hat oft sein Spiel! für das, was ich gewänne, p2b_229.033 Kauft' ich mir lauter Hühner ein. p2b_229.034 Dann legt mir eine jede Henne; p2b_229.035 Jch zieh' auch dreimal Brut. Wie wird sich Marthe freun, p2b_229.036 Wenn so viel Hühner um sie flattern! p2b_229.037 Die soll gewiß kein Fuchs ergattern! - p2b_229.038 Dann, sind sie groß genug, so kauf' ich mir ein Schwein. p2b_229.039 Aus Kälbern, sagt man, werden Kühe. p2b_229.040 Das Ferklein wird ja groß; ich spar' auch keine Mühe, p2b_229.041 Die Kleie hab' ich schon dazu. p2b_229.042 Wenn ich das Schwein verkauft, kauf' ich mir eine Kuh: p2b_229.043 Die wirft ein Kalb, ein Ding voll Mut, voll Feuer! p2b_229.044 He! wie es springt! hopf, Anne Marthe, hopf! p2b_229.045 Hier springt sie. - Gute Nacht, Kalb, Kuh, Schwein, Hühner, Eier! p2b_229.046 Da lag der Topf. p2b_229.001 p2b_229.009 p2b_229.015 p2b_229.016 p2b_229.017 p2b_229.018 1. Humoristische poetische Erzählung. p2b_229.020Der Milchtopf, von Michaelis. p2b_229.021Wohl aufgeschürzt, mit starken, weiten Schritten, p2b_229.022
Den Milchtopf auf dem Kopf, ging Marthe nach der Stadt, p2b_229.023 Um ihre Sahne feilzubieten. p2b_229.024 Weil doch nun beim Verkauf ein jeder Sorgen hat, p2b_229.025 So überdachte sie, was, wenn's das Glück ihr gönnte, p2b_229.026 Sie wohl damit gewinnen könnte. p2b_229.027 Sechs Groschen, dachte sie, giebt mir doch jedermann ─ p2b_229.028 Denn in der Stadt ist alles teuer. ─ p2b_229.029 Die streich' ich also ein, und lege mir sie an, p2b_229.030 Und kaufe mir, so weit sie reichen, Eier, p2b_229.031 Die bring' ich wieder in die Stadt. p2b_229.032 Das Glück hat oft sein Spiel! für das, was ich gewänne, p2b_229.033 Kauft' ich mir lauter Hühner ein. p2b_229.034 Dann legt mir eine jede Henne; p2b_229.035 Jch zieh' auch dreimal Brut. Wie wird sich Marthe freun, p2b_229.036 Wenn so viel Hühner um sie flattern! p2b_229.037 Die soll gewiß kein Fuchs ergattern! ─ p2b_229.038 Dann, sind sie groß genug, so kauf' ich mir ein Schwein. p2b_229.039 Aus Kälbern, sagt man, werden Kühe. p2b_229.040 Das Ferklein wird ja groß; ich spar' auch keine Mühe, p2b_229.041 Die Kleie hab' ich schon dazu. p2b_229.042 Wenn ich das Schwein verkauft, kauf' ich mir eine Kuh: p2b_229.043 Die wirft ein Kalb, ein Ding voll Mut, voll Feuer! p2b_229.044 He! wie es springt! hopf, Anne Marthe, hopf! p2b_229.045 Hier springt sie. ─ Gute Nacht, Kalb, Kuh, Schwein, Hühner, Eier! p2b_229.046 Da lag der Topf. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0251" n="229"/><lb n="p2b_229.001"/> didaktische Tendenz überwog, so daß die poetische Erzählung sich von der Fabel <lb n="p2b_229.002"/> ursprünglich nur dadurch unterschied, daß statt der Tiere Menschen ihre handelnden <lb n="p2b_229.003"/> Gestalten waren. Dies ist noch bei vielen, satirisch gehaltenen sogenannten <lb n="p2b_229.004"/> poetischen Erzählungen von Gellert, Lichtwer, Gleim &c. der Fall, die deshalb <lb n="p2b_229.005"/> in's Gebiet der didaktischen Poesie gehören. Nach und nach erst trat die epische <lb n="p2b_229.006"/> Gestaltung in den Vordergrund, und allmählich bildete sich auch eine poetische <lb n="p2b_229.007"/> Erzählung aus, die man Schwank nannte, wenn sie komisch oder humoristisch <lb n="p2b_229.008"/> gehalten war.</p> <p><lb n="p2b_229.009"/> 2. Von der Parabel unterscheidet sich die poetische Erzählung dadurch, <lb n="p2b_229.010"/> daß sie nicht belehren will; von der Ballade und Romanze dadurch, daß sie <lb n="p2b_229.011"/> nicht direkt auf das Gemüt zu wirken sucht, und daß ihr die lyrische, subjektiv <lb n="p2b_229.012"/> erregte Färbung fehlt; von der Novelle und Novellette durch ihre metrische <lb n="p2b_229.013"/> Form; von der Epopöe durch kleineren Umfang, durch ihren dem wirklichen <lb n="p2b_229.014"/> Leben oder der Phantasie (nicht der Sage) entlehnten Stoff.</p> <p><lb n="p2b_229.015"/> Man kann die poetischen Erzählungen einteilen:</p> <p><lb n="p2b_229.016"/> 1. in <hi rendition="#g">humoristische poetische Erzählungen;</hi></p> <p><lb n="p2b_229.017"/> 2. in <hi rendition="#g">ernste poetische Erzählungen.</hi></p> <p> <lb n="p2b_229.018"/> <hi rendition="#g">Beispiele der poetischen Erzählung.</hi> </p> <lb n="p2b_229.019"/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#c">1. 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didaktische Tendenz überwog, so daß die poetische Erzählung sich von der Fabel p2b_229.002
ursprünglich nur dadurch unterschied, daß statt der Tiere Menschen ihre handelnden p2b_229.003
Gestalten waren. Dies ist noch bei vielen, satirisch gehaltenen sogenannten p2b_229.004
poetischen Erzählungen von Gellert, Lichtwer, Gleim &c. der Fall, die deshalb p2b_229.005
in's Gebiet der didaktischen Poesie gehören. Nach und nach erst trat die epische p2b_229.006
Gestaltung in den Vordergrund, und allmählich bildete sich auch eine poetische p2b_229.007
Erzählung aus, die man Schwank nannte, wenn sie komisch oder humoristisch p2b_229.008
gehalten war.
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2. Von der Parabel unterscheidet sich die poetische Erzählung dadurch, p2b_229.010
daß sie nicht belehren will; von der Ballade und Romanze dadurch, daß sie p2b_229.011
nicht direkt auf das Gemüt zu wirken sucht, und daß ihr die lyrische, subjektiv p2b_229.012
erregte Färbung fehlt; von der Novelle und Novellette durch ihre metrische p2b_229.013
Form; von der Epopöe durch kleineren Umfang, durch ihren dem wirklichen p2b_229.014
Leben oder der Phantasie (nicht der Sage) entlehnten Stoff.
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Man kann die poetischen Erzählungen einteilen:
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1. in humoristische poetische Erzählungen;
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2. in ernste poetische Erzählungen.
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Beispiele der poetischen Erzählung.
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1. Humoristische poetische Erzählung. p2b_229.020
Der Milchtopf, von Michaelis.
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Wohl aufgeschürzt, mit starken, weiten Schritten, p2b_229.022
Den Milchtopf auf dem Kopf, ging Marthe nach der Stadt, p2b_229.023
Um ihre Sahne feilzubieten. p2b_229.024
Weil doch nun beim Verkauf ein jeder Sorgen hat, p2b_229.025
So überdachte sie, was, wenn's das Glück ihr gönnte, p2b_229.026
Sie wohl damit gewinnen könnte. p2b_229.027
Sechs Groschen, dachte sie, giebt mir doch jedermann ─ p2b_229.028
Denn in der Stadt ist alles teuer. ─ p2b_229.029
Die streich' ich also ein, und lege mir sie an, p2b_229.030
Und kaufe mir, so weit sie reichen, Eier, p2b_229.031
Die bring' ich wieder in die Stadt. p2b_229.032
Das Glück hat oft sein Spiel! für das, was ich gewänne, p2b_229.033
Kauft' ich mir lauter Hühner ein. p2b_229.034
Dann legt mir eine jede Henne; p2b_229.035
Jch zieh' auch dreimal Brut. Wie wird sich Marthe freun, p2b_229.036
Wenn so viel Hühner um sie flattern! p2b_229.037
Die soll gewiß kein Fuchs ergattern! ─ p2b_229.038
Dann, sind sie groß genug, so kauf' ich mir ein Schwein. p2b_229.039
Aus Kälbern, sagt man, werden Kühe. p2b_229.040
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Die Kleie hab' ich schon dazu. p2b_229.042
Wenn ich das Schwein verkauft, kauf' ich mir eine Kuh: p2b_229.043
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He! wie es springt! hopf, Anne Marthe, hopf! p2b_229.045
Hier springt sie. ─ Gute Nacht, Kalb, Kuh, Schwein, Hühner, Eier! p2b_229.046
Da lag der Topf.
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