Türken, die als wilde Horden eingebrochen in Byzanz,p2b_210.003 Unter Greuel, unter Morden ihm geraubt den letzten Glanz;p2b_210.004 Euch hat rechtlos überfallen and'rer Horden wilde Schar,p2b_210.005 Und ihr fragt: was wollt ihr Völker, fragt: was will der Russen Zar?p2b_210.006 Hört, was von euch die Geschichte sagt, die Menschheit klagt, das hört:p2b_210.007 Anders lachten Stambuls Fluren einst, bevor ihr sie zerstört:p2b_210.008 Laßt sie wieder neu erblühen, reicht wie Brüdern uns die Hand,p2b_210.009 Reicht den Franken sie, den Deutschen, laßt gedeihen Volk und Land!p2b_210.010 Könnt ihr das nicht, legt die Herrschaft dann getrost in bess're Hand,p2b_210.011 Was nicht leben kann, muß sterben; leben kann noch Griechenland!
p2b_210.012
§ 94. Gnome.
p2b_210.013 Gnome (Denkspruch, von gnome, sententia, Urteil, Spruch), das p2b_210.014 kürzeste didaktische Gedicht, ist ein kurz ausgesprochener Gedanke, ein p2b_210.015 Weisheitsspruch, ein Sinnspruch, eine Klugheitsregel, ein Stammbuchvers, p2b_210.016 eine nichts satirisches enthaltende Sentenz.
p2b_210.017 Ein einfacher Denkspruch ist ebenso wenig ein Epigramm, als eine Anekdote p2b_210.018 eine Novelle ist.
p2b_210.019 Während sich das Epigramm wie eine Aufschrift zu einem Gegenstand p2b_210.020 ausnimmt und nicht direkt zu belehren braucht, will die Gnome, die des p2b_210.021 epischen Vordersatzes des Epigramms entbehrt, direkt belehren. Das Epigramm p2b_210.022 drückt Jdeen aus, die Gnome Wahrheiten. Das Epigramm ist immer in p2b_210.023 streng poetischer Form, der Spruch häufig im Volkston. Gnomen, welche in p2b_210.024 kalter Abstraktion abgefaßt sind, an deren Entstehen die produzierende Einbildungskraft p2b_210.025 keinen Teil hat, fallen aus dem Bereich der Poesie heraus. Die p2b_210.026 metrische Form, die nur das Einprägen in's Gedächtnis erleichtert, erhebt sie p2b_210.027 nicht in's Bereich der Poesie. Rückert hat sich zu seinen Gnomen häufig der p2b_210.028 Vierzeile bedient. Bei solch zwanglosen Reimversen kann die Gnome auch Reimspruch p2b_210.029 genannt werden. Die poetischen Sprichwörter mit Reim (oder auch mit p2b_210.030 Allitteration) gehören zur Gnome, wenn sie sich auch zur eigentlichen poetischen p2b_210.031 Gnome wie Naturpoesie zur Kunstpoesie verhalten.
p2b_210.032 Die Vereinigung mehrerer demselben Anschauungskreise zugehöriger Sinnsprüche p2b_210.033 zu einem Ganzen nach Art des Freidank oder der Rückertschen Gnomen p2b_210.034 in Angereihte Perlen oder vieler Gedichte in der Weisheit des Brahmanen p2b_210.035 bildet das Spruchgedicht (Gnomologie).
p2b_210.036 Beispiele der Gnome.
p2b_210.037 a. Spruch.
p2b_210.038
Der Mensch ist eine Frucht aus seiner eignen Saat.
p2b_210.039 (Tiedge.)
p2b_210.040 b. Poetische Gnomen.
p2b_210.041
Willst du dich selber erkennen, so sieh', wie die andern es treiben;p2b_210.042 Willst du die andern verstehn, blick' in dein eigenes Herz!
p2b_210.043 (Schiller.)
p2b_210.001
Was den Türken zu raten? von K. J. Schröer.
p2b_210.002
Türken, die als wilde Horden eingebrochen in Byzanz,p2b_210.003 Unter Greuel, unter Morden ihm geraubt den letzten Glanz;p2b_210.004 Euch hat rechtlos überfallen and'rer Horden wilde Schar,p2b_210.005 Und ihr fragt: was wollt ihr Völker, fragt: was will der Russen Zar?p2b_210.006 Hört, was von euch die Geschichte sagt, die Menschheit klagt, das hört:p2b_210.007 Anders lachten Stambuls Fluren einst, bevor ihr sie zerstört:p2b_210.008 Laßt sie wieder neu erblühen, reicht wie Brüdern uns die Hand,p2b_210.009 Reicht den Franken sie, den Deutschen, laßt gedeihen Volk und Land!p2b_210.010 Könnt ihr das nicht, legt die Herrschaft dann getrost in bess're Hand,p2b_210.011 Was nicht leben kann, muß sterben; leben kann noch Griechenland!
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§ 94. Gnome.
p2b_210.013 Gnome (Denkspruch, von γνώμη, sententia, Urteil, Spruch), das p2b_210.014 kürzeste didaktische Gedicht, ist ein kurz ausgesprochener Gedanke, ein p2b_210.015 Weisheitsspruch, ein Sinnspruch, eine Klugheitsregel, ein Stammbuchvers, p2b_210.016 eine nichts satirisches enthaltende Sentenz.
p2b_210.017 Ein einfacher Denkspruch ist ebenso wenig ein Epigramm, als eine Anekdote p2b_210.018 eine Novelle ist.
p2b_210.019 Während sich das Epigramm wie eine Aufschrift zu einem Gegenstand p2b_210.020 ausnimmt und nicht direkt zu belehren braucht, will die Gnome, die des p2b_210.021 epischen Vordersatzes des Epigramms entbehrt, direkt belehren. Das Epigramm p2b_210.022 drückt Jdeen aus, die Gnome Wahrheiten. Das Epigramm ist immer in p2b_210.023 streng poetischer Form, der Spruch häufig im Volkston. Gnomen, welche in p2b_210.024 kalter Abstraktion abgefaßt sind, an deren Entstehen die produzierende Einbildungskraft p2b_210.025 keinen Teil hat, fallen aus dem Bereich der Poesie heraus. Die p2b_210.026 metrische Form, die nur das Einprägen in's Gedächtnis erleichtert, erhebt sie p2b_210.027 nicht in's Bereich der Poesie. Rückert hat sich zu seinen Gnomen häufig der p2b_210.028 Vierzeile bedient. Bei solch zwanglosen Reimversen kann die Gnome auch Reimspruch p2b_210.029 genannt werden. Die poetischen Sprichwörter mit Reim (oder auch mit p2b_210.030 Allitteration) gehören zur Gnome, wenn sie sich auch zur eigentlichen poetischen p2b_210.031 Gnome wie Naturpoesie zur Kunstpoesie verhalten.
p2b_210.032 Die Vereinigung mehrerer demselben Anschauungskreise zugehöriger Sinnsprüche p2b_210.033 zu einem Ganzen nach Art des Freidank oder der Rückertschen Gnomen p2b_210.034 in Angereihte Perlen oder vieler Gedichte in der Weisheit des Brahmanen p2b_210.035 bildet das Spruchgedicht (Gnomologie).
p2b_210.036 Beispiele der Gnome.
p2b_210.037 a. Spruch.
p2b_210.038
Der Mensch ist eine Frucht aus seiner eignen Saat.
p2b_210.039 (Tiedge.)
p2b_210.040 b. Poetische Gnomen.
p2b_210.041
Willst du dich selber erkennen, so sieh', wie die andern es treiben;p2b_210.042 Willst du die andern verstehn, blick' in dein eigenes Herz!
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Gnome wie Naturpoesie zur Kunstpoesie verhalten.
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Die Vereinigung mehrerer demselben Anschauungskreise zugehöriger Sinnsprüche p2b_210.033
zu einem Ganzen nach Art des Freidank oder der Rückertschen Gnomen p2b_210.034
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/232>, abgerufen am 23.07.2024.
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