Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_136.001 p2b_136.005 p2b_136.009 p2b_136.011 p2b_136.015 Die Grotte der Nacht, von Uz. p2b_136.017[Beginn Spaltensatz] Wohin wird mein Gesang verschlagen? p2b_136.018 Der Ozean ist voller Glut; p2b_136.019 Denn Titan kommt; sein strahlenreicher Wagen p2b_136.020 Schwebt feurig über blauer Flut; p2b_136.021 Jndessen auf betauten Schwingen p2b_136.022 Die braune Nacht entlassen flieht, p2b_136.023 Und Nymphen sie zu ihrer Grotte bringen, p2b_136.024 Die kein unheilig Auge sieht. p2b_136.025 Wird meinem Blick im tiefsten Meere p2b_136.026 Dort ihre Herrschaft aufgethan? p2b_136.027 Es trennen sich erschrockner Schatten Heere: p2b_136.028 Sie machen mir entfliehend Bahn. p2b_136.029 O Ruh! o welch ein heilig Schweigen p2b_136.030 Beherrscht ihr schattiges Revier! p2b_136.031 Kein Vogel schwätzt auf düstrer Ulmen Zweigen; p2b_136.032 Der muntre West entschlummert hier. p2b_136.033 Ein zitternd Schimmern bleicher Kerzen p2b_136.034 Erleuchtet ihren dunklen Sitz, p2b_136.035 Wo rings umher die leichten Träume scherzen, p2b_136.036 Geflügelt wie der schnelle Blitz. p2b_136.037 Von welchem schlau betrognen Kinde p2b_136.038 Kommt hier der schöne Morgentraum? p2b_136.039 Seht! Phantasus hüllt sich in rauhe Rinde, p2b_136.040 Und grünt, beblättert, als ein Baum. p2b_136.041 [Spaltenumbruch]
Nun da in junger Nymphen Händen p2b_136.042 Gedämpfter Saiten Scherz erklingt, p2b_136.043 Ertönt ein Lied von muschelreichen Wänden, p2b_136.044 Das eine der Najaden singt. p2b_136.101 p2b_136.102 p2b_136.001 p2b_136.005 p2b_136.009 p2b_136.011 p2b_136.015 Die Grotte der Nacht, von Uz. p2b_136.017[Beginn Spaltensatz] Wohin wird mein Gesang verschlagen? p2b_136.018 Der Ozean ist voller Glut; p2b_136.019 Denn Titan kommt; sein strahlenreicher Wagen p2b_136.020 Schwebt feurig über blauer Flut; p2b_136.021 Jndessen auf betauten Schwingen p2b_136.022 Die braune Nacht entlassen flieht, p2b_136.023 Und Nymphen sie zu ihrer Grotte bringen, p2b_136.024 Die kein unheilig Auge sieht. p2b_136.025 Wird meinem Blick im tiefsten Meere p2b_136.026 Dort ihre Herrschaft aufgethan? p2b_136.027 Es trennen sich erschrockner Schatten Heere: p2b_136.028 Sie machen mir entfliehend Bahn. p2b_136.029 O Ruh! o welch ein heilig Schweigen p2b_136.030 Beherrscht ihr schattiges Revier! p2b_136.031 Kein Vogel schwätzt auf düstrer Ulmen Zweigen; p2b_136.032 Der muntre West entschlummert hier. p2b_136.033 Ein zitternd Schimmern bleicher Kerzen p2b_136.034 Erleuchtet ihren dunklen Sitz, p2b_136.035 Wo rings umher die leichten Träume scherzen, p2b_136.036 Geflügelt wie der schnelle Blitz. p2b_136.037 Von welchem schlau betrognen Kinde p2b_136.038 Kommt hier der schöne Morgentraum? p2b_136.039 Seht! Phantasus hüllt sich in rauhe Rinde, p2b_136.040 Und grünt, beblättert, als ein Baum. p2b_136.041 [Spaltenumbruch]
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verließ man den Reim und hielt sich streng an die klassische Form. p2b_136.002
Den Reim überhaupt zu verwerfen, hat man aber kein Bedürfnis, da er eine p2b_136.003
berechtigte, liebgewordene Eigentümlichkeit der deutschen Poesie geworden ist. p2b_136.004
(Vgl. Bd. I. S. 530.)
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Aus der ängstlichen Nachahmung wie auch der schlechten Beherrschung p2b_136.006
der antiken Ode entstanden mehrfach erkünstelte Gedichte, bei denen die antike p2b_136.007
Form die Hauptsache war, während doch die Ode der von Wort zu Wort dahin p2b_136.008
wogende Erguß des erregten und erhaben gesinnten Herzens sein soll.
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Die versuchte Einteilung in philosophische und heroische Oden ist unwichtig, p2b_136.010
unwesentlich, ja falsch. (Vgl. übrigens § 73.)
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Während auf der einen Seite das antike Maß für eine Ode nicht nötig p2b_136.012
ist, erweiterte doch die Benutzung desselben das Gebiet der Oden. Es wird p2b_136.013
nämlich auch ein Gedicht mit Liedesinhalt (und sanfterer Empfindung) Ode genannt, p2b_136.014
sobald es in antikes Versmaß gefaßt ist. Dies wäre die liedartige Ode.
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Beispiele der Oden.
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Die Grotte der Nacht, von Uz.
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Schwebt feurig über blauer Flut;
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Nun da in junger Nymphen Händen p2b_136.042
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(Ein etwas seltsames Bild.)
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nur leblose Dinge dar, während p2b_136.105
Morpheus, Gott der p2b_136.106
Träume, nur menschliche p2b_136.107
Gestalten anzunehmen vermochte.)
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