p2b_128.001 und betrübten Seelen, die sich auf's engste anschließt an die Psalmen, denen p2b_128.002 sie an subjektiver Gefühlswahrheit an die Seite gestellt werden kann. Äußerlich p2b_128.003 wurde durch Martin Opitz eine Umwandlung insofern hervorgerufen, als derselbe p2b_128.004 an Stelle der Silbenzählung Silbenmessung treten ließ. Bedeutsam p2b_128.005 ist, daß auch er die Psalmen seiner Lyrik zu Grunde legte. Jhm folgten Paul p2b_128.006 Flemming, Simon Dach und andere, die jedoch mehr den kernhaften Jnhalt, p2b_128.007 als die Bilder der alttestamentlichen Lyrik zum Ausdrucke brachten. Dieser p2b_128.008 Blütezeit reihte sich eine Zeit des Verfalls an: die Kraft der Nation war p2b_128.009 durch den ungünstigen westfälischen Frieden erschüttert. Es lag die Gefahr nahe, p2b_128.010 daß das Kirchenlied seine seitherige Glaubensinnigkeit und Frische einbüßen und p2b_128.011 die innere Kraft mit einer äußerlichen Form vertauschen würde.
p2b_128.012 4. Da trat ein Mann auf, der dem Kirchenlied die geschwundene Frische p2b_128.013 wieder zurückgab: Paul Gerhardt. Mit ihm beginnt eine neue Blüte des p2b_128.014 Kirchenliedes. Seine sinnlich lebendige Darstellungsweise, seine würdige Sprache p2b_128.015 verdankte er seinem Studium der alttestamentlichen Poesie. Die andere Seite p2b_128.016 der Bedeutung Paul Gerhardts liegt darin, daß er der Urheber jener Richtung p2b_128.017 wurde, welche im Kirchenlied neben dem Gemeindebewußtsein auch das persönliche p2b_128.018 Gefühlsleben geltend machte. Die individuelle Lebendigkeit entfaltete sich p2b_128.019 immer mehr, besonders durch Gellert, dessen bewußtes Zurückgehen auf die p2b_128.020 hebräische Lyrik das Kirchenlied abermals in eine neue Periode lenkte. Er p2b_128.021 stellte die Forderung Luthers auf, daß in den geistlichen Liedern die Sprache p2b_128.022 der Schrift herrschen müsse. Klopstock nahm die Mittel seiner schwungvollen p2b_128.023 rhetorischen Ausdrucksweise nicht aus der Schrift. Mit der Zeit der Aufklärung p2b_128.024 beginnt eine trübe Zeit für das evangelische Kirchenlied: durch eine vermeintliche p2b_128.025 Verbesserung und Umdichtung der alten Kirchenlieder werden dieselben p2b_128.026 stark entstellt. Erst Ernst Moritz Arndt trat für die Befreiung des Kirchenliedes p2b_128.027 von diesen unnatürlichen Fesseln ein. Als er ein neues geistliches Lied p2b_128.028 sang und die romantische Schule wiederum das Element kindlicher Frömmigkeit p2b_128.029 hineintrug in das verwässerte, mattgewordene Kirchenlied, da griff man p2b_128.030 wieder zurück auf die Sprache der alttestamentlichen Lyrik.
p2b_128.031 Wir dürfen behaupten, daß das Kirchenlied überall da, wo es sich an p2b_128.032 die ewig schöne Lyrik des alten Testamentes anschloß, an Kraft der Sprache, p2b_128.033 an poetischem Schwung und gläubiger Jnnigkeit gewann, und daß es alsdann, p2b_128.034 frisch und warm gesungen, auch um so tiefer zum Herzen des Volkes dringen p2b_128.035 konnte.
p2b_128.036 Durch Luther erhielten seine Anhänger (1524) das erste Gesangbuch. p2b_128.037 Erst spät wurde es verdrängt: 1696 durch ein holsteinisches, 1703 durch ein p2b_128.038 hallesches, 1711 durch ein berliner, 1735 durch ein nordhäusisches. Zollikofer p2b_128.039 verbesserte das Gesangbuch (1766); ihm folgten die Gemeinden in Bremen p2b_128.040 und Lüneburg (1767), in der Pfalz (1773), Braunschweig (1776), Kopenhagen p2b_128.041 (1782) u. s. w.
p2b_128.042 Wir können die Kirchenlieder einteilen in Bußlieder, Danklieder, Trostlieder, p2b_128.043 Gebetlieder, Loblieder, Glaubens- oder Bekenntnislieder &c. Eine ähnliche Einteilung p2b_128.044 zeigen alle evangelischen kirchlichen Gesangbücher, auf die wir hiermit verweisen.
p2b_128.001 und betrübten Seelen, die sich auf's engste anschließt an die Psalmen, denen p2b_128.002 sie an subjektiver Gefühlswahrheit an die Seite gestellt werden kann. Äußerlich p2b_128.003 wurde durch Martin Opitz eine Umwandlung insofern hervorgerufen, als derselbe p2b_128.004 an Stelle der Silbenzählung Silbenmessung treten ließ. Bedeutsam p2b_128.005 ist, daß auch er die Psalmen seiner Lyrik zu Grunde legte. Jhm folgten Paul p2b_128.006 Flemming, Simon Dach und andere, die jedoch mehr den kernhaften Jnhalt, p2b_128.007 als die Bilder der alttestamentlichen Lyrik zum Ausdrucke brachten. Dieser p2b_128.008 Blütezeit reihte sich eine Zeit des Verfalls an: die Kraft der Nation war p2b_128.009 durch den ungünstigen westfälischen Frieden erschüttert. Es lag die Gefahr nahe, p2b_128.010 daß das Kirchenlied seine seitherige Glaubensinnigkeit und Frische einbüßen und p2b_128.011 die innere Kraft mit einer äußerlichen Form vertauschen würde.
p2b_128.012 4. Da trat ein Mann auf, der dem Kirchenlied die geschwundene Frische p2b_128.013 wieder zurückgab: Paul Gerhardt. Mit ihm beginnt eine neue Blüte des p2b_128.014 Kirchenliedes. Seine sinnlich lebendige Darstellungsweise, seine würdige Sprache p2b_128.015 verdankte er seinem Studium der alttestamentlichen Poesie. Die andere Seite p2b_128.016 der Bedeutung Paul Gerhardts liegt darin, daß er der Urheber jener Richtung p2b_128.017 wurde, welche im Kirchenlied neben dem Gemeindebewußtsein auch das persönliche p2b_128.018 Gefühlsleben geltend machte. Die individuelle Lebendigkeit entfaltete sich p2b_128.019 immer mehr, besonders durch Gellert, dessen bewußtes Zurückgehen auf die p2b_128.020 hebräische Lyrik das Kirchenlied abermals in eine neue Periode lenkte. Er p2b_128.021 stellte die Forderung Luthers auf, daß in den geistlichen Liedern die Sprache p2b_128.022 der Schrift herrschen müsse. Klopstock nahm die Mittel seiner schwungvollen p2b_128.023 rhetorischen Ausdrucksweise nicht aus der Schrift. Mit der Zeit der Aufklärung p2b_128.024 beginnt eine trübe Zeit für das evangelische Kirchenlied: durch eine vermeintliche p2b_128.025 Verbesserung und Umdichtung der alten Kirchenlieder werden dieselben p2b_128.026 stark entstellt. Erst Ernst Moritz Arndt trat für die Befreiung des Kirchenliedes p2b_128.027 von diesen unnatürlichen Fesseln ein. Als er ein neues geistliches Lied p2b_128.028 sang und die romantische Schule wiederum das Element kindlicher Frömmigkeit p2b_128.029 hineintrug in das verwässerte, mattgewordene Kirchenlied, da griff man p2b_128.030 wieder zurück auf die Sprache der alttestamentlichen Lyrik.
p2b_128.031 Wir dürfen behaupten, daß das Kirchenlied überall da, wo es sich an p2b_128.032 die ewig schöne Lyrik des alten Testamentes anschloß, an Kraft der Sprache, p2b_128.033 an poetischem Schwung und gläubiger Jnnigkeit gewann, und daß es alsdann, p2b_128.034 frisch und warm gesungen, auch um so tiefer zum Herzen des Volkes dringen p2b_128.035 konnte.
p2b_128.036 Durch Luther erhielten seine Anhänger (1524) das erste Gesangbuch. p2b_128.037 Erst spät wurde es verdrängt: 1696 durch ein holsteinisches, 1703 durch ein p2b_128.038 hallesches, 1711 durch ein berliner, 1735 durch ein nordhäusisches. Zollikofer p2b_128.039 verbesserte das Gesangbuch (1766); ihm folgten die Gemeinden in Bremen p2b_128.040 und Lüneburg (1767), in der Pfalz (1773), Braunschweig (1776), Kopenhagen p2b_128.041 (1782) u. s. w.
p2b_128.042 Wir können die Kirchenlieder einteilen in Bußlieder, Danklieder, Trostlieder, p2b_128.043 Gebetlieder, Loblieder, Glaubens- oder Bekenntnislieder &c. Eine ähnliche Einteilung p2b_128.044 zeigen alle evangelischen kirchlichen Gesangbücher, auf die wir hiermit verweisen.
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/150>, abgerufen am 22.11.2024.
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