Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_119.001 p2b_119.007 p2b_119.010 p2b_119.013 Über meinen eignen Kopf p2b_119.015 Bin ich nicht im Reinen, p2b_119.016 Hab' ich wie ein andrer Tropf, p2b_119.017 Einen oder keinen? p2b_119.018 (Rückert.) Jn der Schenke, wann der Wein p2b_119.019 Mir zu Kopfe steiget, p2b_119.020 Fühl ich erst, der Kopf ist mein, p2b_119.021 Und der Zweifel schweiget. p2b_119.022 (Trinkspruch.)Wenn einst der alte Knochenhauer p2b_119.023 Mit unserm Freunde Punktum macht, p2b_119.024 So werde ihm statt aller Trauer p2b_119.025 Ein Gläschen Wein auf's Grab gebracht. p2b_119.026 Dies nehm' er als Viaticum p2b_119.027 Hinüber in's Elysium. p2b_119.028 § 67. Elegisches Lied. p2b_119.031 p2b_119.035 p2b_119.041 p2b_119.001 p2b_119.007 p2b_119.010 p2b_119.013 Über meinen eignen Kopf p2b_119.015 Bin ich nicht im Reinen, p2b_119.016 Hab' ich wie ein andrer Tropf, p2b_119.017 Einen oder keinen? p2b_119.018 (Rückert.) Jn der Schenke, wann der Wein p2b_119.019 Mir zu Kopfe steiget, p2b_119.020 Fühl ich erst, der Kopf ist mein, p2b_119.021 Und der Zweifel schweiget. p2b_119.022 (Trinkspruch.)Wenn einst der alte Knochenhauer p2b_119.023 Mit unserm Freunde Punktum macht, p2b_119.024 So werde ihm statt aller Trauer p2b_119.025 Ein Gläschen Wein auf's Grab gebracht. p2b_119.026 Dies nehm' er als Viaticum p2b_119.027 Hinüber in's Elysium. p2b_119.028 § 67. Elegisches Lied. p2b_119.031 p2b_119.035 p2b_119.041 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p><pb facs="#f0141" n="119"/><lb n="p2b_119.001"/> Man nannte sie auch Schlangenlieder, oder auch Zickzacklieder. Der <lb n="p2b_119.002"/> Skoliensänger mußte einen Lorbeer- oder Myrtenzweig in die Hand nehmen, <lb n="p2b_119.003"/> der sodann dem folgenden Sänger überreicht wurde. Sie folgten den ersten, <lb n="p2b_119.004"/> dem Lobe der Götter geweihten Gesängen und waren meist scherzhaft, satirisch, <lb n="p2b_119.005"/> launig. Jhr Gegenstand war Liebe und Wein. Zuerst wurden sie von Terpander <lb n="p2b_119.006"/> aus Antissa (650 v. Chr.) gesungen.</p> <p><lb n="p2b_119.007"/> Es giebt Skolien, deren Versmaß ein besonderes und strenges ist. Meist <lb n="p2b_119.008"/> waren sie nur einstrophig, wie ja überhaupt die älteste Lyrik in Griechenland <lb n="p2b_119.009"/> oft mit einer Strophe sich begnügte.</p> <p><lb n="p2b_119.010"/> Als Skoliendichter bei den Griechen sind zu nennen: Alkäos, Pindar, <lb n="p2b_119.011"/> Simonides. Die Skolien des Pindar waren länger als die übrigen und der <lb n="p2b_119.012"/> Chor tanzte zu ihnen einen Reigen.</p> <p> <lb n="p2b_119.013"/> <hi rendition="#g">Beispiel des deutschen Skolion:</hi> <lb n="p2b_119.014"/> <lg> <l>Über meinen eignen Kopf</l> <lb n="p2b_119.015"/> <l>Bin ich nicht im Reinen,</l> <lb n="p2b_119.016"/> <l>Hab' ich wie ein andrer Tropf,</l> <lb n="p2b_119.017"/> <l>Einen oder keinen? </l> </lg> <lg> <lb n="p2b_119.018"/> <l>Jn der Schenke, wann der Wein</l> <lb n="p2b_119.019"/> <l>Mir zu Kopfe steiget,</l> <lb n="p2b_119.020"/> <l>Fühl ich erst, der Kopf ist mein,</l> <lb n="p2b_119.021"/> <l>Und der Zweifel schweiget.</l> </lg> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> <lg> <lb n="p2b_119.022"/> <l>Wenn einst der alte Knochenhauer</l> <lb n="p2b_119.023"/> <l>Mit unserm Freunde Punktum macht,</l> <lb n="p2b_119.024"/> <l>So werde ihm statt aller Trauer</l> <lb n="p2b_119.025"/> <l>Ein Gläschen Wein auf's Grab gebracht.</l> <lb n="p2b_119.026"/> <l>Dies nehm' er als Viaticum</l> <lb n="p2b_119.027"/> <l>Hinüber in's Elysium.</l> </lg> <hi rendition="#right">(Trinkspruch.)</hi> </p> <p><lb n="p2b_119.028"/> Man vgl. noch die vielen meist einstrophigen Rundgesänge und Trinksprüche <lb n="p2b_119.029"/> unserer Kommersbücher; ferner Matthissons Skolie (Gedichte S. 75) &c.</p> </div> </div> <lb n="p2b_119.030"/> <div n="7"> <head> <hi rendition="#c">§ 67. Elegisches Lied.</hi> </head> <p><lb n="p2b_119.031"/> Man versteht unter elegischem Lied das Lied, welches sanfte, leidenschaftslose <lb n="p2b_119.032"/> Empfindungen erklingen läßt, z. B. ruhige Klagen über entschwundenes <lb n="p2b_119.033"/> Glück, zarte Wehmut, süße Sehnsucht. Sein Charakter <lb n="p2b_119.034"/> ist somit Ruhe und sanftes Gefühl.</p> <p><lb n="p2b_119.035"/> Elegisch sind alle Lieder, welche der Sehnsucht und der Bangigkeit, dem <lb n="p2b_119.036"/> Trennungsschmerz und der Trauer klagenden Ausdruck verleihen, welche das Verwelken, <lb n="p2b_119.037"/> das Vergehen alles Schönen, Erhabenen, Edlen betrauern, welche zu <lb n="p2b_119.038"/> trösten versuchen, deren Grundton (man vgl. viele Liebeslieder, Heldenlieder, <lb n="p2b_119.039"/> Vaterlandslieder, Freiheitsgesänge &c.) Trauer um ein verlorenes oder wenigstens <lb n="p2b_119.040"/> um ein bedrohtes Jdeales ist.</p> <p><lb n="p2b_119.041"/> Von der im heroischen Aufschwung einherschreitenden Elegie (§ 75) unterscheidet <lb n="p2b_119.042"/> sich das sanfte, gemütsinnige, elegische Lied dadurch, daß es der unmittelbare <lb n="p2b_119.043"/> Erguß voller subjektiver Empfindung, also reiner Lyrik ist, während </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [119/0141]
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Man nannte sie auch Schlangenlieder, oder auch Zickzacklieder. Der p2b_119.002
Skoliensänger mußte einen Lorbeer- oder Myrtenzweig in die Hand nehmen, p2b_119.003
der sodann dem folgenden Sänger überreicht wurde. Sie folgten den ersten, p2b_119.004
dem Lobe der Götter geweihten Gesängen und waren meist scherzhaft, satirisch, p2b_119.005
launig. Jhr Gegenstand war Liebe und Wein. Zuerst wurden sie von Terpander p2b_119.006
aus Antissa (650 v. Chr.) gesungen.
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Es giebt Skolien, deren Versmaß ein besonderes und strenges ist. Meist p2b_119.008
waren sie nur einstrophig, wie ja überhaupt die älteste Lyrik in Griechenland p2b_119.009
oft mit einer Strophe sich begnügte.
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Als Skoliendichter bei den Griechen sind zu nennen: Alkäos, Pindar, p2b_119.011
Simonides. Die Skolien des Pindar waren länger als die übrigen und der p2b_119.012
Chor tanzte zu ihnen einen Reigen.
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Beispiel des deutschen Skolion: p2b_119.014
Über meinen eignen Kopf p2b_119.015
Bin ich nicht im Reinen, p2b_119.016
Hab' ich wie ein andrer Tropf, p2b_119.017
Einen oder keinen?
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Jn der Schenke, wann der Wein p2b_119.019
Mir zu Kopfe steiget, p2b_119.020
Fühl ich erst, der Kopf ist mein, p2b_119.021
Und der Zweifel schweiget.
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Wenn einst der alte Knochenhauer p2b_119.023
Mit unserm Freunde Punktum macht, p2b_119.024
So werde ihm statt aller Trauer p2b_119.025
Ein Gläschen Wein auf's Grab gebracht. p2b_119.026
Dies nehm' er als Viaticum p2b_119.027
Hinüber in's Elysium.
(Trinkspruch.)
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Man vgl. noch die vielen meist einstrophigen Rundgesänge und Trinksprüche p2b_119.029
unserer Kommersbücher; ferner Matthissons Skolie (Gedichte S. 75) &c.
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§ 67. Elegisches Lied. p2b_119.031
Man versteht unter elegischem Lied das Lied, welches sanfte, leidenschaftslose p2b_119.032
Empfindungen erklingen läßt, z. B. ruhige Klagen über entschwundenes p2b_119.033
Glück, zarte Wehmut, süße Sehnsucht. Sein Charakter p2b_119.034
ist somit Ruhe und sanftes Gefühl.
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Elegisch sind alle Lieder, welche der Sehnsucht und der Bangigkeit, dem p2b_119.036
Trennungsschmerz und der Trauer klagenden Ausdruck verleihen, welche das Verwelken, p2b_119.037
das Vergehen alles Schönen, Erhabenen, Edlen betrauern, welche zu p2b_119.038
trösten versuchen, deren Grundton (man vgl. viele Liebeslieder, Heldenlieder, p2b_119.039
Vaterlandslieder, Freiheitsgesänge &c.) Trauer um ein verlorenes oder wenigstens p2b_119.040
um ein bedrohtes Jdeales ist.
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Von der im heroischen Aufschwung einherschreitenden Elegie (§ 75) unterscheidet p2b_119.042
sich das sanfte, gemütsinnige, elegische Lied dadurch, daß es der unmittelbare p2b_119.043
Erguß voller subjektiver Empfindung, also reiner Lyrik ist, während
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