Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.p2b_091.001 p2b_091.003 p2b_091.005 p2b_091.006 Beispiele des Volksliedes. p2b_091.008 Es kam von einer Neustadt her, p2b_091.011 Eine Witwe sehr betrübet; p2b_091.012 Es war gestorben ihr liebes Kind, p2b_091.013 Das sie von Herzen geliebet. p2b_091.014 Sie ging einmal in's Feld hinaus, p2b_091.015 Jhre Traurigkeit zu lindern; p2b_091.016 Da kam das liebe Jesulein p2b_091.017 Mit so viel weißen Kindern. p2b_091.018 Mit weißen Kleidern angetan, p2b_091.019 Mit Himmelsglanz verkläret, p2b_091.020 Mit einer schönen Ehrenkron p2b_091.021 War'n diese Kinder gezieret. p2b_091.022 Und als die Mutter ihr Kind erblickt, p2b_091.023 Schnell thät sie zu ihm laufen. p2b_091.024 "Was machst du hier, mein liebes Kind, p2b_091.025 Daß du nicht bist beim Haufen?" p2b_091.026 "Ach Mutter, liebste Mutter mein, p2b_091.027 Der Freud' muß ich entbehren; p2b_091.028 Hier hab' ich einen großen Krug, p2b_091.029 Muß sammeln Eure Zähren." p2b_091.030 "Habt Jhr zu weinen aufgehört, p2b_091.031 Vergessen Eure Schmerzen, p2b_091.032 So find' ich Ruh' in dieser Erd', p2b_091.033 Das freute mich von Herzen." p2b_091.034 Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht, p2b_091.039 Wohl über die schönen Blaublümelein, p2b_091.040 Sie sind verwelket, verdörret. p2b_091.041 Es hatt' ein Knab' ein Mädchen lieb, p2b_091.042 Sie liefen heimlich von Hause fort, p2b_091.043 Es wußt's nicht Vater noch Mutter. p2b_091.044
Sie liefen weit in's fremde Land, p2b_091.045 Sie hatten weder Glück noch Stern, p2b_091.046 Sie sind verdorben, gestorben &c. p2b_091.001 p2b_091.003 p2b_091.005 p2b_091.006 Beispiele des Volksliedes. p2b_091.008 Es kam von einer Neustadt her, p2b_091.011 Eine Witwe sehr betrübet; p2b_091.012 Es war gestorben ihr liebes Kind, p2b_091.013 Das sie von Herzen geliebet. p2b_091.014 Sie ging einmal in's Feld hinaus, p2b_091.015 Jhre Traurigkeit zu lindern; p2b_091.016 Da kam das liebe Jesulein p2b_091.017 Mit so viel weißen Kindern. p2b_091.018 Mit weißen Kleidern angetan, p2b_091.019 Mit Himmelsglanz verkläret, p2b_091.020 Mit einer schönen Ehrenkron p2b_091.021 War'n diese Kinder gezieret. p2b_091.022 Und als die Mutter ihr Kind erblickt, p2b_091.023 Schnell thät sie zu ihm laufen. p2b_091.024 „Was machst du hier, mein liebes Kind, p2b_091.025 Daß du nicht bist beim Haufen?“ p2b_091.026 „Ach Mutter, liebste Mutter mein, p2b_091.027 Der Freud' muß ich entbehren; p2b_091.028 Hier hab' ich einen großen Krug, p2b_091.029 Muß sammeln Eure Zähren.“ p2b_091.030 „Habt Jhr zu weinen aufgehört, p2b_091.031 Vergessen Eure Schmerzen, p2b_091.032 So find' ich Ruh' in dieser Erd', p2b_091.033 Das freute mich von Herzen.“ p2b_091.034 Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht, p2b_091.039 Wohl über die schönen Blaublümelein, p2b_091.040 Sie sind verwelket, verdörret. p2b_091.041 Es hatt' ein Knab' ein Mädchen lieb, p2b_091.042 Sie liefen heimlich von Hause fort, p2b_091.043 Es wußt's nicht Vater noch Mutter. p2b_091.044
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2. Wir empfehlen für die vorstehende, komplizierte Einteilung die nachfolgende, p2b_091.002
einfachere Rubrizierung:
p2b_091.003
a. rein ernste Volkslieder, die von Liebe, Trennung, Wiedersehen, p2b_091.004
vom Wandern und der Natur handeln,
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b. heitere, von Wein, Geselligkeit und Spott übersprudelnde,
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c. historische.
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Beispiele des Volksliedes. p2b_091.008
a. Ernste Volkslieder. p2b_091.009
Die Macht der Thränen. p2b_091.010
Es kam von einer Neustadt her, p2b_091.011
Eine Witwe sehr betrübet; p2b_091.012
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Sie ging einmal in's Feld hinaus, p2b_091.015
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Mit so viel weißen Kindern.
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„Ach Mutter, liebste Mutter mein, p2b_091.027
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Hier hab' ich einen großen Krug, p2b_091.029
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„Habt Jhr zu weinen aufgehört, p2b_091.031
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Das freute mich von Herzen.“
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Ein schlichtes, schmuckloses, im Rhythmus ungekünsteltes Volkslied ohne p2b_091.035
Reim, bei dem die ergreifenden Worte: „verdorben, gestorben“ gewissermaßen p2b_091.036
die unausgesprochene Moral des Ganzen sind, ist das folgende: p2b_091.037
Weder Glück noch Stern. (Simrock 94.) p2b_091.038
Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht, p2b_091.039
Wohl über die schönen Blaublümelein, p2b_091.040
Sie sind verwelket, verdörret.
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Es hatt' ein Knab' ein Mädchen lieb, p2b_091.042
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Sie hatten weder Glück noch Stern, p2b_091.046
Sie sind verdorben, gestorben &c.
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