p1b_039.002 Das Leben entsteht, wächst, nimmt ab, erlischt. Die Kunst nur p1b_039.003 vermag das Schöne durch ihren Schein für alle Zeiten zu fixieren.
p1b_039.004 Hinübergegangen sind die herrlichen Frauen, die den Schöpfer der Mediceischen p1b_039.005 Venus, der Ariadne auf Naxos, der Hebe; die einen Rafael, Leonardo da p1b_039.006 Vinci, Correggio, Battoni (büßende Magdalena) zu ihren unsterblichen Werken p1b_039.007 begeisterten. Homer, Goethe, Rückert, Mozart, Beethoven - sie sind tot. Aber p1b_039.008 die durch sie geübte Kunst besteht in vollstrahlender Schöne.
p1b_039.009 Das Leben ist vergänglich, - die Kunst allein ist unsterblich, ewig. Sie p1b_039.010 gestaltet die Jdeale frei. Wie in einem Krystallisationspunkte läßt sie alles p1b_039.011 Schöne zusammenschießen. Und dies Alles thut sie durch die frei waltende p1b_039.012 Phantasie, die durch Freude gepflegt wird und die Freude erzeugt. Schiller, p1b_039.013 dessen Kunst alle Schaumgebilde überdauert hat, sagt: "Alle Kunst ist der Freude p1b_039.014 gewidmet und es giebt keine höhere und keine ernsthaftere Aufgabe, als die p1b_039.015 Menschen zu beglücken. Die rechte Kunst ist nur diese, welche den höchsten p1b_039.016 Genuß schafft. Der höchste Genuß aber ist die Freiheit des Gemüts in dem p1b_039.017 lebendigen Spiel aller seiner Kräfte. Die wahre Kunst hat es nicht bloß auf p1b_039.018 ein vorübergehendes Spiel abgesehen; es ist ihr ernst damit, den Menschen p1b_039.019 nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern p1b_039.020 ihn wirklich und in der That frei zu machen; auf der Wahrheit selbst, auf dem p1b_039.021 tiefen Grunde der Natur errichtet sie ihr ewiges Gebäude."
p1b_039.022 § 16. Die dichterischen Stoffe.
p1b_039.023 1. Fragen wir nach der Verschiedenheit der dichterischen Stoffe, p1b_039.024 so erscheint uns der Mensch als der vorzüglichste Gegenstand aller p1b_039.025 Poesie. Seine Liebe (vgl. Rückerts Amaryllis, Agnes, Liebesfrühling), p1b_039.026 seine Freundschaft (vgl. Schillers Bürgschaft, Goethes Jphigenie, p1b_039.027 Orestes und Pylades), seine Gefühle (vgl. Goethes Egmont, Schillers p1b_039.028 Jungfrau von Orleans), seine Mythen, seine Religion, das Zauberhafte p1b_039.029 (das nur nicht wie in der Romantik sich für den Kern der Poesie p1b_039.030 ausgeben soll), das Wunderbare &c. sind Stoffe, die von jeher dichterisch p1b_039.031 behandelt wurden.
p1b_039.032 2. Die Stoffe werden durch die Thätigkeit der Phantasie und der p1b_039.033 Einbildungskraft ins Unendliche vermehrt.
p1b_039.034 3. Die Behandlungsweise des Stoffs macht den Dichter.
p1b_039.035 1. Schon Dante fordert: "Gegenstand des Gedichts sei der Mensch, wie p1b_039.036 er in Folge seiner Willensfreiheit gut oder schlecht handelnd der ewigen Gerechtigkeit p1b_039.037 anheimfällt. Der Zweck des Gedichts sei, den Menschen aus dem p1b_039.038 Zustande des Elends zu befreien und zur Glückseligkeit zu leiten." Durch die p1b_039.039 Höllenfahrt der Selbsterkenntnis also, durch die Sehnsucht nach Frieden und
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p1b_039.002 Das Leben entsteht, wächst, nimmt ab, erlischt. Die Kunst nur p1b_039.003 vermag das Schöne durch ihren Schein für alle Zeiten zu fixieren.
p1b_039.004 Hinübergegangen sind die herrlichen Frauen, die den Schöpfer der Mediceischen p1b_039.005 Venus, der Ariadne auf Naxos, der Hebe; die einen Rafael, Leonardo da p1b_039.006 Vinci, Correggio, Battoni (büßende Magdalena) zu ihren unsterblichen Werken p1b_039.007 begeisterten. Homer, Goethe, Rückert, Mozart, Beethoven ─ sie sind tot. Aber p1b_039.008 die durch sie geübte Kunst besteht in vollstrahlender Schöne.
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p1b_039.023 1. Fragen wir nach der Verschiedenheit der dichterischen Stoffe, p1b_039.024 so erscheint uns der Mensch als der vorzüglichste Gegenstand aller p1b_039.025 Poesie. Seine Liebe (vgl. Rückerts Amaryllis, Agnes, Liebesfrühling), p1b_039.026 seine Freundschaft (vgl. Schillers Bürgschaft, Goethes Jphigenie, p1b_039.027 Orestes und Pylades), seine Gefühle (vgl. Goethes Egmont, Schillers p1b_039.028 Jungfrau von Orleans), seine Mythen, seine Religion, das Zauberhafte p1b_039.029 (das nur nicht wie in der Romantik sich für den Kern der Poesie p1b_039.030 ausgeben soll), das Wunderbare &c. sind Stoffe, die von jeher dichterisch p1b_039.031 behandelt wurden.
p1b_039.032 2. Die Stoffe werden durch die Thätigkeit der Phantasie und der p1b_039.033 Einbildungskraft ins Unendliche vermehrt.
p1b_039.034 3. Die Behandlungsweise des Stoffs macht den Dichter.
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behandelt wurden.
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Einbildungskraft ins Unendliche vermehrt.
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/73>, abgerufen am 27.11.2024.
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