Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

p1b_679.001
Beispiel:

p1b_679.002
Aus tiefer Not schrei ich zu dir, p1b_679.003
Herr Gott, erhör mein Rufen! p1b_679.004
Dein gnädig Ohren kehr zu mir p1b_679.005
Und meiner Bitt' sie öffne. p1b_679.006
Denn so du wilt das sehen an, p1b_679.007
Wie manche Sünd ich hab gethan, p1b_679.008
Wer kann, Herr, für dir bleiben?

p1b_679.009
20. a b c b d d b.

p1b_679.010
Beispiel: Generalbeichte von Goethe.

p1b_679.011
21. a a b c c b b.

p1b_679.012
Beispiel: Marschall Ney von Rückert.

p1b_679.013
22. a b b a a c c.

p1b_679.014
Beispiele: Rückerts Wiegenlied und 3 Strophen von Erste und letzte p1b_679.015
Liebe.

p1b_679.016
23. a a a b b b a.

p1b_679.017
Beispiel: Platen: Löst mir in Eile.

p1b_679.018
24. x x x x x x x.

p1b_679.019
Ein Beispiel dieser reimlosen Strophe findet sich in v. d. Hagens Minnesingern p1b_679.020
Bd. I. S. 44. Nr. 7. (Gottfried von Nifen.)

p1b_679.021

§ 205. Die achtzeilige Strophe.

p1b_679.022
Die achtzeilige Strophe ist durch Brechung der Langzeilen aus p1b_679.023
der vierzeiligen entstanden. Jhr Grundtypus ist die Hildebrandstrophe p1b_679.024
(x b x b x c x c oder a b a b c d c d). Sie hat ihre volle Berechtigung, p1b_679.025
wo die Zeilen durch Jnhalt, Reim, Rhythmus oder durch p1b_679.026
irgend ein strophisches Charakteristikum eng verbunden sind. Leider p1b_679.027
bieten namentlich unsere reimenden Dilettanten unzählige solcher sog. p1b_679.028
achtzeiliger Strophen, bei welchen sich die beiden Hälften durchaus p1b_679.029
entsprechen, indem der Sinn in der Mitte völlig abschließt, somit Reim p1b_679.030
und Reimgeschlecht korrespondierend sich wiederholen, und das Zerfallen p1b_679.031
in zwei vierzeilige Strophen durch Nichts verhindert wird. Jn diesen p1b_679.032
Fällen wäre lediglich die Schreibung in vierzeilige Strophen am p1b_679.033
Platze. (Vgl. 153.) Beispielshalber bemerkt auch der Uneingeweihte p1b_679.034
beim Fischerlied von Goethe auf den ersten Blick zwei vierzeilige p1b_679.035
Strophen:

p1b_679.036
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, p1b_679.037
Ein Fischer saß daran, p1b_679.038
Sah nach dem Angel ruhevoll, p1b_679.039
Kühl bis an's Herz hinan.

p1b_679.001
Beispiel:

p1b_679.002
Aus tiefer Not schrei ich zu dir, p1b_679.003
Herr Gott, erhör mein Rufen! p1b_679.004
Dein gnädig Ohren kehr zu mir p1b_679.005
Und meiner Bitt' sie öffne. p1b_679.006
Denn so du wilt das sehen an, p1b_679.007
Wie manche Sünd ich hab gethan, p1b_679.008
Wer kann, Herr, für dir bleiben?

p1b_679.009
20. a b c b d d b.

p1b_679.010
Beispiel: Generalbeichte von Goethe.

p1b_679.011
21. a a b c c b b.

p1b_679.012
Beispiel: Marschall Ney von Rückert.

p1b_679.013
22. a b b a a c c.

p1b_679.014
Beispiele: Rückerts Wiegenlied und 3 Strophen von Erste und letzte p1b_679.015
Liebe.

p1b_679.016
23. a a a b b b a.

p1b_679.017
Beispiel: Platen: Löst mir in Eile.

p1b_679.018
24. x x x x x x x.

p1b_679.019
Ein Beispiel dieser reimlosen Strophe findet sich in v. d. Hagens Minnesingern p1b_679.020
Bd. I. S. 44. Nr. 7. (Gottfried von Nifen.)

p1b_679.021

§ 205. Die achtzeilige Strophe.

p1b_679.022
Die achtzeilige Strophe ist durch Brechung der Langzeilen aus p1b_679.023
der vierzeiligen entstanden. Jhr Grundtypus ist die Hildebrandstrophe p1b_679.024
(x b x b x c x c oder a b a b c d c d). Sie hat ihre volle Berechtigung, p1b_679.025
wo die Zeilen durch Jnhalt, Reim, Rhythmus oder durch p1b_679.026
irgend ein strophisches Charakteristikum eng verbunden sind. Leider p1b_679.027
bieten namentlich unsere reimenden Dilettanten unzählige solcher sog. p1b_679.028
achtzeiliger Strophen, bei welchen sich die beiden Hälften durchaus p1b_679.029
entsprechen, indem der Sinn in der Mitte völlig abschließt, somit Reim p1b_679.030
und Reimgeschlecht korrespondierend sich wiederholen, und das Zerfallen p1b_679.031
in zwei vierzeilige Strophen durch Nichts verhindert wird. Jn diesen p1b_679.032
Fällen wäre lediglich die Schreibung in vierzeilige Strophen am p1b_679.033
Platze. (Vgl. 153.) Beispielshalber bemerkt auch der Uneingeweihte p1b_679.034
beim Fischerlied von Goethe auf den ersten Blick zwei vierzeilige p1b_679.035
Strophen:

p1b_679.036
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, p1b_679.037
Ein Fischer saß daran, p1b_679.038
Sah nach dem Angel ruhevoll, p1b_679.039
Kühl bis an's Herz hinan.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0713" n="679"/>
              <p>
                <lb n="p1b_679.001"/> <hi rendition="#g">Beispiel:</hi> </p>
              <lb n="p1b_679.002"/>
              <lg>
                <l>Aus tiefer Not schrei ich zu dir,</l>
                <lb n="p1b_679.003"/>
                <l>Herr Gott, erhör mein Rufen!</l>
                <lb n="p1b_679.004"/>
                <l>Dein gnädig Ohren kehr zu mir</l>
                <lb n="p1b_679.005"/>
                <l>Und meiner Bitt' sie öffne.</l>
                <lb n="p1b_679.006"/>
                <l> Denn so du wilt das sehen an,</l>
                <lb n="p1b_679.007"/>
                <l> Wie manche Sünd ich hab gethan,</l>
                <lb n="p1b_679.008"/>
                <l> Wer kann, Herr, für dir bleiben?</l>
              </lg>
              <p><lb n="p1b_679.009"/>
20. <hi rendition="#aq">a b c b d d b</hi>.</p>
              <p><lb n="p1b_679.010"/><hi rendition="#g">Beispiel:</hi> Generalbeichte von Goethe.</p>
              <p><lb n="p1b_679.011"/>
21. <hi rendition="#aq">a a b c c b b</hi>.</p>
              <p><lb n="p1b_679.012"/><hi rendition="#g">Beispiel:</hi> Marschall Ney von Rückert.</p>
              <p><lb n="p1b_679.013"/>
22. <hi rendition="#aq">a b b a a c c</hi>.</p>
              <p><lb n="p1b_679.014"/><hi rendition="#g">Beispiele:</hi> Rückerts Wiegenlied und 3 Strophen von Erste und letzte <lb n="p1b_679.015"/>
Liebe.</p>
              <p><lb n="p1b_679.016"/>
23. <hi rendition="#aq">a a a b b b a</hi>.</p>
              <p><lb n="p1b_679.017"/><hi rendition="#g">Beispiel:</hi> Platen: Löst mir in Eile.</p>
              <p><lb n="p1b_679.018"/>
24. <hi rendition="#aq">x x x x x x x</hi>.</p>
              <p><lb n="p1b_679.019"/>
Ein Beispiel dieser reimlosen Strophe findet sich in v. d. Hagens Minnesingern <lb n="p1b_679.020"/>
Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. S. 44. Nr. 7. (Gottfried von Nifen.)</p>
            </div>
          </div>
          <div n="3">
            <lb n="p1b_679.021"/>
            <p> <hi rendition="#c">§ 205. Die achtzeilige Strophe.</hi> </p>
            <p><lb n="p1b_679.022"/>
Die achtzeilige Strophe ist durch Brechung der Langzeilen aus <lb n="p1b_679.023"/>
der vierzeiligen entstanden. Jhr Grundtypus ist die Hildebrandstrophe <lb n="p1b_679.024"/>
(<hi rendition="#aq">x b x b x c x c</hi> oder <hi rendition="#aq">a b a b c d c d</hi>). Sie hat ihre volle Berechtigung, <lb n="p1b_679.025"/>
wo die Zeilen durch Jnhalt, Reim, Rhythmus oder durch <lb n="p1b_679.026"/>
irgend ein strophisches Charakteristikum eng verbunden sind. Leider <lb n="p1b_679.027"/>
bieten namentlich unsere reimenden Dilettanten unzählige solcher sog. <lb n="p1b_679.028"/>
achtzeiliger Strophen, bei welchen sich die beiden Hälften durchaus <lb n="p1b_679.029"/>
entsprechen, indem der Sinn in der Mitte völlig abschließt, somit Reim <lb n="p1b_679.030"/>
und Reimgeschlecht korrespondierend sich wiederholen, und das Zerfallen <lb n="p1b_679.031"/>
in zwei vierzeilige Strophen durch Nichts verhindert wird. Jn diesen <lb n="p1b_679.032"/>
Fällen wäre lediglich die Schreibung in vierzeilige Strophen am <lb n="p1b_679.033"/>
Platze. (Vgl. 153.) Beispielshalber bemerkt auch der Uneingeweihte <lb n="p1b_679.034"/>
beim Fischerlied von Goethe auf den ersten Blick zwei vierzeilige <lb n="p1b_679.035"/>
Strophen:</p>
            <lb n="p1b_679.036"/>
            <lg>
              <l>Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,</l>
              <lb n="p1b_679.037"/>
              <l>Ein Fischer saß daran,</l>
              <lb n="p1b_679.038"/>
              <l>Sah nach dem Angel ruhevoll,</l>
              <lb n="p1b_679.039"/>
              <l>Kühl bis an's Herz hinan.</l>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[679/0713] p1b_679.001 Beispiel: p1b_679.002 Aus tiefer Not schrei ich zu dir, p1b_679.003 Herr Gott, erhör mein Rufen! p1b_679.004 Dein gnädig Ohren kehr zu mir p1b_679.005 Und meiner Bitt' sie öffne. p1b_679.006 Denn so du wilt das sehen an, p1b_679.007 Wie manche Sünd ich hab gethan, p1b_679.008 Wer kann, Herr, für dir bleiben? p1b_679.009 20. a b c b d d b. p1b_679.010 Beispiel: Generalbeichte von Goethe. p1b_679.011 21. a a b c c b b. p1b_679.012 Beispiel: Marschall Ney von Rückert. p1b_679.013 22. a b b a a c c. p1b_679.014 Beispiele: Rückerts Wiegenlied und 3 Strophen von Erste und letzte p1b_679.015 Liebe. p1b_679.016 23. a a a b b b a. p1b_679.017 Beispiel: Platen: Löst mir in Eile. p1b_679.018 24. x x x x x x x. p1b_679.019 Ein Beispiel dieser reimlosen Strophe findet sich in v. d. Hagens Minnesingern p1b_679.020 Bd. I. S. 44. Nr. 7. (Gottfried von Nifen.) p1b_679.021 § 205. Die achtzeilige Strophe. p1b_679.022 Die achtzeilige Strophe ist durch Brechung der Langzeilen aus p1b_679.023 der vierzeiligen entstanden. Jhr Grundtypus ist die Hildebrandstrophe p1b_679.024 (x b x b x c x c oder a b a b c d c d). Sie hat ihre volle Berechtigung, p1b_679.025 wo die Zeilen durch Jnhalt, Reim, Rhythmus oder durch p1b_679.026 irgend ein strophisches Charakteristikum eng verbunden sind. Leider p1b_679.027 bieten namentlich unsere reimenden Dilettanten unzählige solcher sog. p1b_679.028 achtzeiliger Strophen, bei welchen sich die beiden Hälften durchaus p1b_679.029 entsprechen, indem der Sinn in der Mitte völlig abschließt, somit Reim p1b_679.030 und Reimgeschlecht korrespondierend sich wiederholen, und das Zerfallen p1b_679.031 in zwei vierzeilige Strophen durch Nichts verhindert wird. Jn diesen p1b_679.032 Fällen wäre lediglich die Schreibung in vierzeilige Strophen am p1b_679.033 Platze. (Vgl. 153.) Beispielshalber bemerkt auch der Uneingeweihte p1b_679.034 beim Fischerlied von Goethe auf den ersten Blick zwei vierzeilige p1b_679.035 Strophen: p1b_679.036 Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, p1b_679.037 Ein Fischer saß daran, p1b_679.038 Sah nach dem Angel ruhevoll, p1b_679.039 Kühl bis an's Herz hinan.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/713
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/713>, abgerufen am 22.11.2024.