p1b_036.001 Hamerling in der Beschreibung des goldenen Hauses und der Dionysosfeier p1b_036.002 in Neros Garten und neuerdings in der Aspasia, Wagner in p1b_036.003 dem somnambulen Zug Sentas zum Holländer, in der Liebe Elsas zu p1b_036.004 Lohengrin, in Tristan und Jsolde, in der Walküre durch Benützung der dämonischen p1b_036.005 Elementargewalt der Liebe als eines hervorragenden dramatischen Leitmotivs p1b_036.006 - sie scheinen mit der hellblitzenden Farbe Makarts zu malen. p1b_036.007 Hamerling gelangt durch Erfassung einer dichterisch geistigen Perspektive p1b_036.008 zu seinem Ahasver und seiner Aspasia; Makart erringt nach Durchdringung p1b_036.009 des sinnlichen Naturalismus seine Höhe, und Wagner, der malende Dichterkomponist, p1b_036.010 kam erst nach Überfliegen der von Meyerbeer repräsentierten historischen p1b_036.011 Oper über Rienzi und der zweiten Gruppe seiner Schöpfungen (fliegender p1b_036.012 Holländer, Tannhäuser, Lohengrin) zu seinen großartigen Gesamtkunstwerken: p1b_036.013 den Meistersängern, Tristan und Jsolde und dem Ring des Nibelungen.
p1b_036.014 Wie Hamerling die Sprache, wie Makart die Farbe, so p1b_036.015 absichts voll für die Wirkung gebraucht Wagner sein Orchester.
p1b_036.016 Hamerling, der seinen Nero nach unschuldigem Menschenblut verlangen p1b_036.017 läßt, dessen Herz so heiß ist, daß ein Dolch darin schmelzen könnte, ist in der p1b_036.018 Empfindung überschwenglich, im Ausdruck genial. Makart, dem das schöne Auge p1b_036.019 brennen, die Haut wie mit Magnesiumlicht leuchten muß, und der auch einmal - p1b_036.020 der Wirkung halber - die Krebse stahlblau malt: er korrigiert mit kühner Hand p1b_036.021 scheinbar die Natur. Jn Wirklichkeit ist er der sichere Jnterpret der Lichtreflexe. p1b_036.022 Wagners Behandlung der Leidenschaft hat etwas Grandioses. Was ist Gluckscher p1b_036.023 und Mozartscher Haß oder deren Liebe, was deren Entsetzen, was Verdisp1b_036.024 Kulissenempfindung gegen Wagnersche Leidenschaft, die doch nie die Grenzen p1b_036.025 des allgemein Menschlichen verläßt, wenn auch das Empfinden, die Sinnlichkeit p1b_036.026 u. a. übertrieben scheint. Solch ein Dreiklang, den dieser Genius durch sein p1b_036.027 Orchester klingen läßt (wo z. B. Walter in den Meistersängern sein Lied beginnt) p1b_036.028 - er klingt wie ein Klang aus höheren Sphären, wie ein Zauberton, der den p1b_036.029 Frühling bringt. Hamerling hat mit Makart und Wagner gemeinsam, daß p1b_036.030 sinnliche Überschwenglichkeit nach übersinnlichen Äquivalenten sucht, welche sich p1b_036.031 dem überreizten Willen nicht fügen wollen. Dadurch erhalten wir eine leidenschaftschwangere p1b_036.032 Atmosphäre, die wie Opium betäubt, dämonisch wirkt. Dies ist p1b_036.033 bei Wagner und Makart bekanntlich weit mehr der Fall, als bei Hamerling, p1b_036.034 den das dichterische Maß vor Ausschreitungen schützt, obwohl er z. B. das Laster p1b_036.035 malt mit Farben, welche die Augen blenden, mit Lichtern, die wie Sonnenstrahlen p1b_036.036 wirken, obwohl Vieles bei ihm Verzückung, fieberhafter Rausch, Krampf, Genuß p1b_036.037 bis zur Übersättigung ist. Makart hat sich nicht einmal durch den Hinblick p1b_036.038 auf den Kaulbachschen Jdealismus (der idealen Linienschönheit) in Verfolgung p1b_036.039 seines Ziels beirren lassen; aber den idealen Cornelius, den weichempfindenden p1b_036.040 Overbeck scheint er in sich verarbeitet zu haben, um weit mehr als ein Tintoretto, p1b_036.041 Paul Veronese &c. Repräsentant des Realismus zu werden und, unbekümmert p1b_036.042 um Allegorie, Reflexion und das geistige Moment, Stoffmalerei, Bravour p1b_036.043 des Machwerks, frappierende Wiedergabe des Körperlichen zu erreichen. Es muß
p1b_036.001 Hamerling in der Beschreibung des goldenen Hauses und der Dionysosfeier p1b_036.002 in Neros Garten und neuerdings in der Aspasia, Wagner in p1b_036.003 dem somnambulen Zug Sentas zum Holländer, in der Liebe Elsas zu p1b_036.004 Lohengrin, in Tristan und Jsolde, in der Walküre durch Benützung der dämonischen p1b_036.005 Elementargewalt der Liebe als eines hervorragenden dramatischen Leitmotivs p1b_036.006 ─ sie scheinen mit der hellblitzenden Farbe Makarts zu malen. p1b_036.007 Hamerling gelangt durch Erfassung einer dichterisch geistigen Perspektive p1b_036.008 zu seinem Ahasver und seiner Aspasia; Makart erringt nach Durchdringung p1b_036.009 des sinnlichen Naturalismus seine Höhe, und Wagner, der malende Dichterkomponist, p1b_036.010 kam erst nach Überfliegen der von Meyerbeer repräsentierten historischen p1b_036.011 Oper über Rienzi und der zweiten Gruppe seiner Schöpfungen (fliegender p1b_036.012 Holländer, Tannhäuser, Lohengrin) zu seinen großartigen Gesamtkunstwerken: p1b_036.013 den Meistersängern, Tristan und Jsolde und dem Ring des Nibelungen.
p1b_036.014 Wie Hamerling die Sprache, wie Makart die Farbe, so p1b_036.015 absichts voll für die Wirkung gebraucht Wagner sein Orchester.
p1b_036.016 Hamerling, der seinen Nero nach unschuldigem Menschenblut verlangen p1b_036.017 läßt, dessen Herz so heiß ist, daß ein Dolch darin schmelzen könnte, ist in der p1b_036.018 Empfindung überschwenglich, im Ausdruck genial. Makart, dem das schöne Auge p1b_036.019 brennen, die Haut wie mit Magnesiumlicht leuchten muß, und der auch einmal ─ p1b_036.020 der Wirkung halber ─ die Krebse stahlblau malt: er korrigiert mit kühner Hand p1b_036.021 scheinbar die Natur. Jn Wirklichkeit ist er der sichere Jnterpret der Lichtreflexe. p1b_036.022 Wagners Behandlung der Leidenschaft hat etwas Grandioses. Was ist Gluckscher p1b_036.023 und Mozartscher Haß oder deren Liebe, was deren Entsetzen, was Verdisp1b_036.024 Kulissenempfindung gegen Wagnersche Leidenschaft, die doch nie die Grenzen p1b_036.025 des allgemein Menschlichen verläßt, wenn auch das Empfinden, die Sinnlichkeit p1b_036.026 u. a. übertrieben scheint. Solch ein Dreiklang, den dieser Genius durch sein p1b_036.027 Orchester klingen läßt (wo z. B. Walter in den Meistersängern sein Lied beginnt) p1b_036.028 ─ er klingt wie ein Klang aus höheren Sphären, wie ein Zauberton, der den p1b_036.029 Frühling bringt. Hamerling hat mit Makart und Wagner gemeinsam, daß p1b_036.030 sinnliche Überschwenglichkeit nach übersinnlichen Äquivalenten sucht, welche sich p1b_036.031 dem überreizten Willen nicht fügen wollen. Dadurch erhalten wir eine leidenschaftschwangere p1b_036.032 Atmosphäre, die wie Opium betäubt, dämonisch wirkt. Dies ist p1b_036.033 bei Wagner und Makart bekanntlich weit mehr der Fall, als bei Hamerling, p1b_036.034 den das dichterische Maß vor Ausschreitungen schützt, obwohl er z. B. das Laster p1b_036.035 malt mit Farben, welche die Augen blenden, mit Lichtern, die wie Sonnenstrahlen p1b_036.036 wirken, obwohl Vieles bei ihm Verzückung, fieberhafter Rausch, Krampf, Genuß p1b_036.037 bis zur Übersättigung ist. Makart hat sich nicht einmal durch den Hinblick p1b_036.038 auf den Kaulbachschen Jdealismus (der idealen Linienschönheit) in Verfolgung p1b_036.039 seines Ziels beirren lassen; aber den idealen Cornelius, den weichempfindenden p1b_036.040 Overbeck scheint er in sich verarbeitet zu haben, um weit mehr als ein Tintoretto, p1b_036.041 Paul Veronese &c. Repräsentant des Realismus zu werden und, unbekümmert p1b_036.042 um Allegorie, Reflexion und das geistige Moment, Stoffmalerei, Bravour p1b_036.043 des Machwerks, frappierende Wiedergabe des Körperlichen zu erreichen. Es muß
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Wie Hamerling die Sprache, wie Makart die Farbe, so p1b_036.015
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Wagners Behandlung der Leidenschaft hat etwas Grandioses. Was ist Gluckscher p1b_036.023
und Mozartscher Haß oder deren Liebe, was deren Entsetzen, was Verdis p1b_036.024
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/70>, abgerufen am 24.11.2024.
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