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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Fast in allen Tönen der Minnesinger versuchten sich die Meistersänger. p1b_629.004
So finden sich z. B. in den vom Stuttg. litter. Verein durch Karl Bartsch p1b_629.005
1862 herausgegebenen "Meisterliedern der Kolmarer Handschrift" p1b_629.006
Meister-Lieder in der goldenen, gespaltenen und Hofweise Walthers, im p1b_629.007
goldenen Tone und in der Mühlweise Woframs, in der Grußweise des p1b_629.008
tugendhaften Schreibers, im Fürstentone Heinrichs von Ofterdingen, p1b_629.009
im Ehrenton Reinmars von Zweter wie im Ehrenton des p1b_629.010
Ehrenboten vom Rhein, im goldenen und kurzen Tone Marners, p1b_629.011
im goldenen Ton Tanhusers, im Aspiston, in der Morgenweise und im p1b_629.012
Hofton Konrads von Würzburg, im Hofton Boppes, in der Pflugweise p1b_629.013
des Ungelarten, im goldnen und süßen Ton, wie im Hofton des p1b_629.014
Kanzlers, im überzarten, goldenen, neuen, grünen und langen Ton Frauenlobs, p1b_629.015
in seiner gekrönten Reihe, in seiner Ritterweise, Grundweise und Froschweise, p1b_629.016
in seinem Würgendrüssel, in seinem Tannton, Kaufton, Leidton, Ritterton p1b_629.017
u. s. w. u. s. w. Das Studium der erwähnten Kolmarer Handschrift ist für p1b_629.018
die Kenntnis der meistergesanglichen Gesetze anzuraten, denn die Kolmarer Hs. p1b_629.019
ist in Bezug auf Zahl der Lieder und Töne die reichhaltigste; sie ist - abgesehen p1b_629.020
von der Donaueschinger - die einzige, welche die Töne der Dichter p1b_629.021
systematisch gruppiert und die Lieder des gleichen Tones fast durchweg nacheinander p1b_629.022
folgen läßt, während in anderen Handschriften Töne und Dichter p1b_629.023
bunt durcheinander geworfen sind.

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Die Meistersänger erstrebten pedantisch die Einhaltung von Metrum, Reim p1b_629.025
und Melodie, vor allem aber die Nachahmung der von den Minnesingern p1b_629.026
überkommenen dreiteiligen Formen. Wie peinlich genau, aber auch wie künstlich p1b_629.027
sie verfuhren, beweist u. A. "Der meisterliche Hort in vier gekrönten p1b_629.028
Tönen
" (v. d. Hagens Minnesinger IV. 932), dessen erstes Gesätz im langen p1b_629.029
Tone Müglins, das 2. im langen Tone Frauenlobs, das 3. im langen p1b_629.030
Ton Marners, das 4. im langen Ton Regenbogens gebildet ist; ein 5. Gesätz p1b_629.031
wurde in allen 4 Tönen gesungen, nämlich der 1. Stollen im langen Tone p1b_629.032
Müglins, der andere im langen Tone Frauenlobs, der halbe Abgesang im p1b_629.033
langen Marner, die andere Hälfte im langen Regenbogen &c.

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2. Jedes Gesätz des Meistergesangs war dreiteilig. Ein Bar bestand p1b_629.035
aus mehreren solchen Gesätzen. Jedes Gesätz hatte 2 entsprechende, p1b_629.036
gleichgebildete Stollen und einen ungleichartigen Abgesang. Die p1b_629.037
Zeilenzahl der Gesätze war unbeschränkt. Ein Gesätz konnte 7 bis 100 Zeilen p1b_629.038
haben.

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3. Es war kein Wunder, daß ein so verkünstelter, kaum mehr mit dem p1b_629.040
Auge zu überblickender Strophenbau der Willkür Thür und Thor öffnete, p1b_629.041
daß man in Schematismus und Formalismus verfiel, und daß daher die p1b_629.042
Strophik des Meistersangs bei allen ernsten Leuten in Verruf und der Meistersang p1b_629.043
selbst in Verfall kam.

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/663>, abgerufen am 22.11.2024.