Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

p1b_032.001
auch die Lyriker ihre schönen Lieder nicht bewußt, sondern sind toll, wenn sie p1b_032.002
in Ton und Takt hineingeraten. Der Dichter ist ein leichtgeflügeltes, geweihtes p1b_032.003
Wesen und nicht eher zum Dichten fähig, als bis er begeistert, unbewußt und p1b_032.004
von Sinnen ist. (Vgl. Plat. Apolog. Socr. 22 B.) Ebenso Plato im Phädrus. p1b_032.005
(S. 245 vgl. § 20 dieses Buches.)

p1b_032.006
Diesen Wahnsinn - oder (wie man es übersetzen sollte) diese aus der p1b_032.007
dichterischen Jntuition stammende Begeisterungsfähigkeit halten auch wir für sehr p1b_032.008
wesentlich. Aber wir glauben nicht, daß sie von den Musen kommt, oder, wie p1b_032.009
unsere Jdentitätsphilosophen phantasierten (was aber dasselbe ist), angeboren ist. p1b_032.010
(Vgl. hierzu Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten von Dr. Eduard p1b_032.011
Müller 1834, I, S. 53.) Der Begeisterung muß sich Besonnenheit vermählen, p1b_032.012
die Besonnenheit des gebildeten Geistes. (Vgl. Schiller über Bürgers Gedichte. p1b_032.013
Aristoteles Poet. c. 17 sagt: dio euphuous e poietike estin e manikou! p1b_032.014
touton gar oi men euplastoi, oi de exetastikoi eisin. Horatius A. P. p1b_032.015
309: Scribendi recte sapere est et principium et fons
. Vgl. auch p1b_032.016
Horat. A. P. 295 ff.)

p1b_032.017
Vom gewordenen Dichter gilt, was Goethe verlangt: "Wenn ihr's nicht p1b_032.018
fühlt, ihr werdet's nicht erjagen", und: "Gebt ihr euch einmal für Poeten, p1b_032.019
so kommandiert die Poesie". Man hat oft die Ansicht aussprechen hören, daß p1b_032.020
der Lyriker im Wald und im Gebirge, in der unentweihten Natur seine Stoffe p1b_032.021
sich zu holen habe. Aber die Erfahrung lehrt, daß dieser Weg, der doch p1b_032.022
höchstens Naturschilderungen oder Betrachtungen einzubringen vermöchte, wohl p1b_032.023
zum Dilettantismus, nie aber zur Höhe der Kunst führt. Unsere Genies p1b_032.024
haben von jeher Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften in den Bereich ihrer p1b_032.025
dichterischen Thätigkeit gezogen. Sie haben sich mit Energie den eingehendsten p1b_032.026
wissenschaftlichen Studien hingegeben, sie alle haben auch wissenschaftliche Werke p1b_032.027
geliefert, deren Bearbeitung ihren Geist in neue, ungeahnte Bahnen lenkte, p1b_032.028
und sie auf dem Niveau der Bildung des Jahrhunderts erhielt oder darüber p1b_032.029
hinausragen ließ. Wie der Student der Neuzeit durch feineres Wesen sich vom p1b_032.030
Musensohne mit langen Haaren, staubigem Flaus, zerfetztem Schlafrock vorteilhaft p1b_032.031
unterscheidet, so verlangt man vom Dichter der Neuzeit höhere wissenschaftliche p1b_032.032
Bildung
und Geist, so muß er sich unterscheiden von jenen p1b_032.033
ignoranten Naturlyrikern, die - wie schon Horaz sagt, (weil Demokrit das p1b_032.034
Genie höher stellt, als die mühsame Kunst und die besonnenen Dichter p1b_032.035
vom Helikon ausschloß) "sich Nägel und Haare wachsen lassen, Einöden aufsuchen, p1b_032.036
Bäder meiden" u. s. w. So ist man denn zurückgekommen von jener p1b_032.037
Ansicht, die in den langen, nachlässig gekämmten Haaren, im altdeutschen p1b_032.038
Rock das Kriterium der dichterischen Begabung, des dichterischen Genies erblickt, p1b_032.039
so verlangt man auch vom Dichter, daß er sich mit dem praktischen Leben p1b_032.040
versöhne und den Vorwurf des idealen Schwärmers von sich abwehre.

p1b_032.041
Um moderner bedeutender Poet zu sein, ist die Poesie der wissenschaftlichen p1b_032.042
Erkenntnis
und die wissenschaftliche Erkenntnis der p1b_032.043
Poesie nötig.
Um den Vorbildern es gleich zu thun, muß man ihre p1b_032.044
Gesetze, ihre Methode kennen, - ja man muß die Resultate aller Wissenschaften

p1b_032.001
auch die Lyriker ihre schönen Lieder nicht bewußt, sondern sind toll, wenn sie p1b_032.002
in Ton und Takt hineingeraten. Der Dichter ist ein leichtgeflügeltes, geweihtes p1b_032.003
Wesen und nicht eher zum Dichten fähig, als bis er begeistert, unbewußt und p1b_032.004
von Sinnen ist. (Vgl. Plat. Apolog. Socr. 22 B.) Ebenso Plato im Phädrus. p1b_032.005
(S. 245 vgl. § 20 dieses Buches.)

p1b_032.006
Diesen Wahnsinn ─ oder (wie man es übersetzen sollte) diese aus der p1b_032.007
dichterischen Jntuition stammende Begeisterungsfähigkeit halten auch wir für sehr p1b_032.008
wesentlich. Aber wir glauben nicht, daß sie von den Musen kommt, oder, wie p1b_032.009
unsere Jdentitätsphilosophen phantasierten (was aber dasselbe ist), angeboren ist. p1b_032.010
(Vgl. hierzu Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten von Dr. Eduard p1b_032.011
Müller 1834, I, S. 53.) Der Begeisterung muß sich Besonnenheit vermählen, p1b_032.012
die Besonnenheit des gebildeten Geistes. (Vgl. Schiller über Bürgers Gedichte. p1b_032.013
Aristoteles Poet. c. 17 sagt: διὸ εὐφυοῦς ἡ ποιητική ἐστιν ἤ μανικοῦ! p1b_032.014
τούτων γὰρ οἱ μὲν εὔπλαστοι, οἱ δὲ ἐξεταστικοί εἰσιν. Horatius A. P. p1b_032.015
309: Scribendi recte sapere est et principium et fons
. Vgl. auch p1b_032.016
Horat. A. P. 295 ff.)

p1b_032.017
Vom gewordenen Dichter gilt, was Goethe verlangt: „Wenn ihr's nicht p1b_032.018
fühlt, ihr werdet's nicht erjagen“, und: „Gebt ihr euch einmal für Poeten, p1b_032.019
so kommandiert die Poesie“. Man hat oft die Ansicht aussprechen hören, daß p1b_032.020
der Lyriker im Wald und im Gebirge, in der unentweihten Natur seine Stoffe p1b_032.021
sich zu holen habe. Aber die Erfahrung lehrt, daß dieser Weg, der doch p1b_032.022
höchstens Naturschilderungen oder Betrachtungen einzubringen vermöchte, wohl p1b_032.023
zum Dilettantismus, nie aber zur Höhe der Kunst führt. Unsere Genies p1b_032.024
haben von jeher Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften in den Bereich ihrer p1b_032.025
dichterischen Thätigkeit gezogen. Sie haben sich mit Energie den eingehendsten p1b_032.026
wissenschaftlichen Studien hingegeben, sie alle haben auch wissenschaftliche Werke p1b_032.027
geliefert, deren Bearbeitung ihren Geist in neue, ungeahnte Bahnen lenkte, p1b_032.028
und sie auf dem Niveau der Bildung des Jahrhunderts erhielt oder darüber p1b_032.029
hinausragen ließ. Wie der Student der Neuzeit durch feineres Wesen sich vom p1b_032.030
Musensohne mit langen Haaren, staubigem Flaus, zerfetztem Schlafrock vorteilhaft p1b_032.031
unterscheidet, so verlangt man vom Dichter der Neuzeit höhere wissenschaftliche p1b_032.032
Bildung
und Geist, so muß er sich unterscheiden von jenen p1b_032.033
ignoranten Naturlyrikern, die ─ wie schon Horaz sagt, (weil Demokrit das p1b_032.034
Genie höher stellt, als die mühsame Kunst und die besonnenen Dichter p1b_032.035
vom Helikon ausschloß) „sich Nägel und Haare wachsen lassen, Einöden aufsuchen, p1b_032.036
Bäder meiden“ u. s. w. So ist man denn zurückgekommen von jener p1b_032.037
Ansicht, die in den langen, nachlässig gekämmten Haaren, im altdeutschen p1b_032.038
Rock das Kriterium der dichterischen Begabung, des dichterischen Genies erblickt, p1b_032.039
so verlangt man auch vom Dichter, daß er sich mit dem praktischen Leben p1b_032.040
versöhne und den Vorwurf des idealen Schwärmers von sich abwehre.

p1b_032.041
Um moderner bedeutender Poet zu sein, ist die Poesie der wissenschaftlichen p1b_032.042
Erkenntnis
und die wissenschaftliche Erkenntnis der p1b_032.043
Poesie nötig.
Um den Vorbildern es gleich zu thun, muß man ihre p1b_032.044
Gesetze, ihre Methode kennen, ─ ja man muß die Resultate aller Wissenschaften

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="32"/><lb n="p1b_032.001"/>
auch die Lyriker ihre schönen Lieder nicht bewußt, sondern sind toll, wenn sie <lb n="p1b_032.002"/>
in Ton und Takt hineingeraten. Der Dichter ist ein leichtgeflügeltes, geweihtes <lb n="p1b_032.003"/>
Wesen und nicht eher zum Dichten fähig, als bis er begeistert, unbewußt und <lb n="p1b_032.004"/>
von Sinnen ist. (Vgl. <hi rendition="#aq">Plat. Apolog. Socr. 22 B</hi>.) Ebenso Plato im Phädrus. <lb n="p1b_032.005"/>
(S. 245 vgl. § 20 dieses Buches.)</p>
          <p><lb n="p1b_032.006"/>
Diesen Wahnsinn &#x2500; oder (wie man es übersetzen sollte) diese aus der <lb n="p1b_032.007"/>
dichterischen Jntuition stammende Begeisterungsfähigkeit halten auch wir für sehr <lb n="p1b_032.008"/>
wesentlich. Aber wir glauben nicht, daß sie von den Musen kommt, oder, wie <lb n="p1b_032.009"/>
unsere Jdentitätsphilosophen phantasierten (was aber dasselbe ist), <hi rendition="#g">angeboren</hi> ist. <lb n="p1b_032.010"/>
(Vgl. hierzu Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten von <hi rendition="#aq">Dr</hi>. Eduard <lb n="p1b_032.011"/>
Müller 1834, <hi rendition="#aq">I</hi>, S. 53.) Der Begeisterung muß sich Besonnenheit vermählen, <lb n="p1b_032.012"/>
die Besonnenheit des gebildeten Geistes. (Vgl. Schiller über Bürgers Gedichte. <lb n="p1b_032.013"/>
Aristoteles <hi rendition="#aq">Poet. c</hi>. 17 sagt: <foreign xml:lang="grc">&#x03B4;&#x03B9;&#x1F78; &#x03B5;&#x1F50;&#x03C6;&#x03C5;&#x03BF;&#x1FE6;&#x03C2; &#x1F21; &#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x03B7;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03AE; &#x1F10;&#x03C3;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BD; &#x1F24; &#x03BC;&#x03B1;&#x03BD;&#x03B9;&#x03BA;&#x03BF;&#x1FE6;</foreign>! <lb n="p1b_032.014"/>
<foreign xml:lang="grc">&#x03C4;&#x03BF;&#x03CD;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x03B3;&#x1F70;&#x03C1; &#x03BF;&#x1F31; &#x03BC;&#x1F72;&#x03BD; &#x03B5;&#x1F54;&#x03C0;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C3;&#x03C4;&#x03BF;&#x03B9;, &#x03BF;&#x1F31; &#x03B4;&#x1F72; &#x1F10;&#x03BE;&#x03B5;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C3;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BA;&#x03BF;&#x03AF; &#x03B5;&#x1F30;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD;</foreign>. Horatius <hi rendition="#aq">A. P. <lb n="p1b_032.015"/>
309: Scribendi <hi rendition="#g">recte sapere</hi> est et principium et fons</hi>. Vgl. auch <lb n="p1b_032.016"/>
Horat. <hi rendition="#aq">A. P</hi>. 295 ff.)</p>
          <p><lb n="p1b_032.017"/>
Vom gewordenen Dichter gilt, was Goethe verlangt: &#x201E;Wenn ihr's nicht <lb n="p1b_032.018"/>
fühlt, ihr werdet's nicht erjagen&#x201C;, und: &#x201E;Gebt ihr euch einmal für Poeten, <lb n="p1b_032.019"/>
so kommandiert die Poesie&#x201C;. Man hat oft die Ansicht aussprechen hören, daß <lb n="p1b_032.020"/>
der Lyriker im Wald und im Gebirge, in der unentweihten Natur seine Stoffe <lb n="p1b_032.021"/>
sich zu holen habe. Aber die Erfahrung lehrt, daß dieser Weg, der doch <lb n="p1b_032.022"/>
höchstens Naturschilderungen oder Betrachtungen einzubringen vermöchte, wohl <lb n="p1b_032.023"/>
zum Dilettantismus, nie aber zur Höhe der Kunst führt. Unsere Genies <lb n="p1b_032.024"/>
haben von jeher Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften in den Bereich ihrer <lb n="p1b_032.025"/>
dichterischen Thätigkeit gezogen. Sie haben sich mit Energie den eingehendsten <lb n="p1b_032.026"/>
wissenschaftlichen Studien hingegeben, sie alle haben auch wissenschaftliche Werke <lb n="p1b_032.027"/>
geliefert, deren Bearbeitung ihren Geist in neue, ungeahnte Bahnen lenkte, <lb n="p1b_032.028"/>
und sie auf dem Niveau der Bildung des Jahrhunderts erhielt oder darüber <lb n="p1b_032.029"/>
hinausragen ließ. Wie der Student der Neuzeit durch feineres Wesen sich vom <lb n="p1b_032.030"/>
Musensohne mit langen Haaren, staubigem Flaus, zerfetztem Schlafrock vorteilhaft <lb n="p1b_032.031"/>
unterscheidet, so verlangt man vom Dichter der Neuzeit höhere <hi rendition="#g">wissenschaftliche <lb n="p1b_032.032"/>
Bildung</hi> und <hi rendition="#g">Geist,</hi> so muß er sich unterscheiden von jenen <lb n="p1b_032.033"/>
ignoranten Naturlyrikern, die &#x2500; wie schon Horaz sagt, (weil Demokrit das <lb n="p1b_032.034"/>
Genie höher stellt, als die mühsame Kunst und die <hi rendition="#g">besonnenen</hi> Dichter <lb n="p1b_032.035"/>
vom Helikon ausschloß) &#x201E;sich Nägel und Haare wachsen lassen, Einöden aufsuchen, <lb n="p1b_032.036"/>
Bäder meiden&#x201C; u. s. w. So ist man denn zurückgekommen von jener <lb n="p1b_032.037"/>
Ansicht, die in den langen, nachlässig gekämmten Haaren, im altdeutschen <lb n="p1b_032.038"/>
Rock das Kriterium der dichterischen Begabung, des dichterischen Genies erblickt, <lb n="p1b_032.039"/>
so verlangt man auch vom Dichter, daß er sich mit dem praktischen Leben <lb n="p1b_032.040"/>
versöhne und den Vorwurf des idealen Schwärmers von sich abwehre.</p>
          <p><lb n="p1b_032.041"/>
Um moderner bedeutender <hi rendition="#g">Poet zu sein, ist die Poesie der wissenschaftlichen <lb n="p1b_032.042"/>
Erkenntnis</hi> und die <hi rendition="#g">wissenschaftliche Erkenntnis der <lb n="p1b_032.043"/>
Poesie nötig.</hi> Um den Vorbildern es gleich zu thun, muß man ihre <lb n="p1b_032.044"/>
Gesetze, ihre Methode kennen, &#x2500; ja man muß die Resultate aller Wissenschaften
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0066] p1b_032.001 auch die Lyriker ihre schönen Lieder nicht bewußt, sondern sind toll, wenn sie p1b_032.002 in Ton und Takt hineingeraten. Der Dichter ist ein leichtgeflügeltes, geweihtes p1b_032.003 Wesen und nicht eher zum Dichten fähig, als bis er begeistert, unbewußt und p1b_032.004 von Sinnen ist. (Vgl. Plat. Apolog. Socr. 22 B.) Ebenso Plato im Phädrus. p1b_032.005 (S. 245 vgl. § 20 dieses Buches.) p1b_032.006 Diesen Wahnsinn ─ oder (wie man es übersetzen sollte) diese aus der p1b_032.007 dichterischen Jntuition stammende Begeisterungsfähigkeit halten auch wir für sehr p1b_032.008 wesentlich. Aber wir glauben nicht, daß sie von den Musen kommt, oder, wie p1b_032.009 unsere Jdentitätsphilosophen phantasierten (was aber dasselbe ist), angeboren ist. p1b_032.010 (Vgl. hierzu Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten von Dr. Eduard p1b_032.011 Müller 1834, I, S. 53.) Der Begeisterung muß sich Besonnenheit vermählen, p1b_032.012 die Besonnenheit des gebildeten Geistes. (Vgl. Schiller über Bürgers Gedichte. p1b_032.013 Aristoteles Poet. c. 17 sagt: διὸ εὐφυοῦς ἡ ποιητική ἐστιν ἤ μανικοῦ! p1b_032.014 τούτων γὰρ οἱ μὲν εὔπλαστοι, οἱ δὲ ἐξεταστικοί εἰσιν. Horatius A. P. p1b_032.015 309: Scribendi recte sapere est et principium et fons. Vgl. auch p1b_032.016 Horat. A. P. 295 ff.) p1b_032.017 Vom gewordenen Dichter gilt, was Goethe verlangt: „Wenn ihr's nicht p1b_032.018 fühlt, ihr werdet's nicht erjagen“, und: „Gebt ihr euch einmal für Poeten, p1b_032.019 so kommandiert die Poesie“. Man hat oft die Ansicht aussprechen hören, daß p1b_032.020 der Lyriker im Wald und im Gebirge, in der unentweihten Natur seine Stoffe p1b_032.021 sich zu holen habe. Aber die Erfahrung lehrt, daß dieser Weg, der doch p1b_032.022 höchstens Naturschilderungen oder Betrachtungen einzubringen vermöchte, wohl p1b_032.023 zum Dilettantismus, nie aber zur Höhe der Kunst führt. Unsere Genies p1b_032.024 haben von jeher Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaften in den Bereich ihrer p1b_032.025 dichterischen Thätigkeit gezogen. Sie haben sich mit Energie den eingehendsten p1b_032.026 wissenschaftlichen Studien hingegeben, sie alle haben auch wissenschaftliche Werke p1b_032.027 geliefert, deren Bearbeitung ihren Geist in neue, ungeahnte Bahnen lenkte, p1b_032.028 und sie auf dem Niveau der Bildung des Jahrhunderts erhielt oder darüber p1b_032.029 hinausragen ließ. Wie der Student der Neuzeit durch feineres Wesen sich vom p1b_032.030 Musensohne mit langen Haaren, staubigem Flaus, zerfetztem Schlafrock vorteilhaft p1b_032.031 unterscheidet, so verlangt man vom Dichter der Neuzeit höhere wissenschaftliche p1b_032.032 Bildung und Geist, so muß er sich unterscheiden von jenen p1b_032.033 ignoranten Naturlyrikern, die ─ wie schon Horaz sagt, (weil Demokrit das p1b_032.034 Genie höher stellt, als die mühsame Kunst und die besonnenen Dichter p1b_032.035 vom Helikon ausschloß) „sich Nägel und Haare wachsen lassen, Einöden aufsuchen, p1b_032.036 Bäder meiden“ u. s. w. So ist man denn zurückgekommen von jener p1b_032.037 Ansicht, die in den langen, nachlässig gekämmten Haaren, im altdeutschen p1b_032.038 Rock das Kriterium der dichterischen Begabung, des dichterischen Genies erblickt, p1b_032.039 so verlangt man auch vom Dichter, daß er sich mit dem praktischen Leben p1b_032.040 versöhne und den Vorwurf des idealen Schwärmers von sich abwehre. p1b_032.041 Um moderner bedeutender Poet zu sein, ist die Poesie der wissenschaftlichen p1b_032.042 Erkenntnis und die wissenschaftliche Erkenntnis der p1b_032.043 Poesie nötig. Um den Vorbildern es gleich zu thun, muß man ihre p1b_032.044 Gesetze, ihre Methode kennen, ─ ja man muß die Resultate aller Wissenschaften

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/66
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/66>, abgerufen am 24.11.2024.