Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_587.001 Dryas schläft in ihren Zweigen, p1b_587.002 Oreas in ihrem Steine; p1b_587.003 Und Endymion, der ew'ge p1b_587.004 Schläfer, schläft in Luna's Scheine. p1b_587.005 Pan, der Hirte, spielt und trunken p1b_587.006 Jst die Welt vom Schlummerweine. &c. (Rückert.) p1b_587.007 Zur Zeit, wenn der Frühling die Glut der Rosen entfacht in Athen, p1b_587.009 p1b_587.022Wie dämmert so lieblich alsdann die selige Nacht in Athen! p1b_587.010 Hoch leuchtet der Mond und bescheint Cypressen und Palmen umher p1b_587.011 Und marmornen Tempelgesäuls versinkende Pracht in Athen. p1b_587.012 Wir aber bekränzen das Haupt und füllen die Becher mit Wein p1b_587.013 Gedenkend, wie Sokrates einst die Nächte verbracht in Athen; p1b_587.014 Von Lieb' entspinnt sich Gespräch; denn ob auch Pallas die Burg p1b_587.015 Beherrschen mag, Eros, der Gott, übt selige Macht in Athen; p1b_587.016 Zur Rede gesellt sich Musik, leicht sind die Guitarren gestimmt, p1b_587.017 Leicht regt sich des Wechselgesangs melodische Schlacht in Athen. p1b_587.018 Da webt manch klassisches Wort, manch leuchtender Name sich ein; p1b_587.019 Denn großer vergangener Zeit Erinnerung wacht in Athen. p1b_587.020 Und kühner erbrauset das Lied; wir spenden aus vollem Pokal p1b_587.021 Den Herrlichen, die einst gekämpft, gesungen, gedacht in Athen. (Geibel.) p1b_587.023 p1b_587.024 Du Duft, der meine Seele speiset, verlaß mich nicht! p1b_587.026 p1b_587.039Traum, der mit mir durchs Leben reiset, verlaß mich nicht! p1b_587.027 Du Paradiesesvogel, dessen Schwing' ungesehn p1b_587.028 Mit leisem Säuseln mich umkreiset, verlaß mich nicht! p1b_587.029 Du Amme mir und Ammenmärchen der Kindheit einst! p1b_587.030 Du fehlst und ich bin noch verwaiset, verlaß mich nicht! p1b_587.031 Du statt der Jugend mir geblieben, da sie mir floh; p1b_587.032 Wo du mir fliehst, bin ich ergreiset, verlaß mich nicht! p1b_587.033 O du mein Frühling! sieh, wie draußen der Herbst nun braust; p1b_587.034 Komm, daß nicht Winter mich umeiset, verlaß mich nicht! p1b_587.035 O Hauch des Friedens! horch, wie draußen das Leben tobt; p1b_587.036 Wer ist, der still hindurch mich weiset? Verlaß mich nicht! p1b_587.037 O du mein Rausch! du meine Liebe! o du mein Lied! p1b_587.038 Das hier durch mich sich selber preiset, verlaß mich nicht! (Friedr. Rückert.) p1b_587.040 p1b_587.044 Sie hielt mich auf der Straße an p1b_587.046
Und fragte: "Kannst du schreiben?" - Ja! - p1b_587.047 "So schreib mir einen Talisman!" p1b_587.048 - Wird der dein Weh vertreiben? - "Ja!" p1b_587.001 Dryas schläft in ihren Zweigen, p1b_587.002 Oreas in ihrem Steine; p1b_587.003 Und Endymion, der ew'ge p1b_587.004 Schläfer, schläft in Luna's Scheine. p1b_587.005 Pan, der Hirte, spielt und trunken p1b_587.006 Jst die Welt vom Schlummerweine. &c. (Rückert.) p1b_587.007 Zur Zeit, wenn der Frühling die Glut der Rosen entfacht in Athen, p1b_587.009 p1b_587.022Wie dämmert so lieblich alsdann die selige Nacht in Athen! p1b_587.010 Hoch leuchtet der Mond und bescheint Cypressen und Palmen umher p1b_587.011 Und marmornen Tempelgesäuls versinkende Pracht in Athen. p1b_587.012 Wir aber bekränzen das Haupt und füllen die Becher mit Wein p1b_587.013 Gedenkend, wie Sokrates einst die Nächte verbracht in Athen; p1b_587.014 Von Lieb' entspinnt sich Gespräch; denn ob auch Pallas die Burg p1b_587.015 Beherrschen mag, Eros, der Gott, übt selige Macht in Athen; p1b_587.016 Zur Rede gesellt sich Musik, leicht sind die Guitarren gestimmt, p1b_587.017 Leicht regt sich des Wechselgesangs melodische Schlacht in Athen. p1b_587.018 Da webt manch klassisches Wort, manch leuchtender Name sich ein; p1b_587.019 Denn großer vergangener Zeit Erinnerung wacht in Athen. p1b_587.020 Und kühner erbrauset das Lied; wir spenden aus vollem Pokal p1b_587.021 Den Herrlichen, die einst gekämpft, gesungen, gedacht in Athen. (Geibel.) p1b_587.023 p1b_587.024 Du Duft, der meine Seele speiset, verlaß mich nicht! p1b_587.026 p1b_587.039Traum, der mit mir durchs Leben reiset, verlaß mich nicht! p1b_587.027 Du Paradiesesvogel, dessen Schwing' ungesehn p1b_587.028 Mit leisem Säuseln mich umkreiset, verlaß mich nicht! p1b_587.029 Du Amme mir und Ammenmärchen der Kindheit einst! p1b_587.030 Du fehlst und ich bin noch verwaiset, verlaß mich nicht! p1b_587.031 Du statt der Jugend mir geblieben, da sie mir floh; p1b_587.032 Wo du mir fliehst, bin ich ergreiset, verlaß mich nicht! p1b_587.033 O du mein Frühling! sieh, wie draußen der Herbst nun braust; p1b_587.034 Komm, daß nicht Winter mich umeiset, verlaß mich nicht! p1b_587.035 O Hauch des Friedens! horch, wie draußen das Leben tobt; p1b_587.036 Wer ist, der still hindurch mich weiset? Verlaß mich nicht! p1b_587.037 O du mein Rausch! du meine Liebe! o du mein Lied! p1b_587.038 Das hier durch mich sich selber preiset, verlaß mich nicht! (Friedr. Rückert.) p1b_587.040 p1b_587.044 Sie hielt mich auf der Straße an p1b_587.046
Und fragte: „Kannst du schreiben?“ ─ Ja! ─ p1b_587.047 „So schreib mir einen Talisman!“ p1b_587.048 ─ Wird der dein Weh vertreiben? ─ „Ja!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0621" n="587"/> <lb n="p1b_587.001"/> <lg> <l>Dryas schläft in ihren Zweigen,</l> <lb n="p1b_587.002"/> <l> Oreas in ihrem Steine;</l> <lb n="p1b_587.003"/> <l>Und Endymion, der ew'ge</l> <lb n="p1b_587.004"/> <l> Schläfer, schläft in Luna's Scheine.</l> <lb n="p1b_587.005"/> <l>Pan, der Hirte, spielt und trunken</l> <lb n="p1b_587.006"/> <l> Jst die Welt vom Schlummerweine. &c.</l> </lg> <p> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_587.007"/> 2. <hi rendition="#g">Ein Wort mit vorhergehendem Reim ist wiederholt.</hi></p> <lb n="p1b_587.008"/> <lg> <l>Zur Zeit, wenn der Frühling die Glut der Rosen ent<hi rendition="#g">facht in Athen,</hi></l> <lb n="p1b_587.009"/> <l>Wie dämmert so lieblich alsdann die selige <hi rendition="#g">Nacht in Athen!</hi></l> <lb n="p1b_587.010"/> <l>Hoch leuchtet der Mond und bescheint Cypressen und Palmen umher</l> <lb n="p1b_587.011"/> <l>Und marmornen Tempelgesäuls versinkende <hi rendition="#g">Pracht in Athen.</hi></l> <lb n="p1b_587.012"/> <l>Wir aber bekränzen das Haupt und füllen die Becher mit Wein</l> <lb n="p1b_587.013"/> <l>Gedenkend, wie Sokrates einst die Nächte verbracht in Athen;</l> <lb n="p1b_587.014"/> <l>Von Lieb' entspinnt sich Gespräch; denn ob auch Pallas die Burg</l> <lb n="p1b_587.015"/> <l>Beherrschen mag, Eros, der Gott, übt selige Macht in Athen;</l> <lb n="p1b_587.016"/> <l>Zur Rede gesellt sich Musik, leicht sind die Guitarren gestimmt,</l> <lb n="p1b_587.017"/> <l>Leicht regt sich des Wechselgesangs melodische Schlacht in Athen.</l> <lb n="p1b_587.018"/> <l>Da webt manch klassisches Wort, manch leuchtender Name sich ein;</l> <lb n="p1b_587.019"/> <l>Denn großer vergangener Zeit Erinnerung wacht in Athen.</l> <lb n="p1b_587.020"/> <l>Und kühner erbrauset das Lied; wir spenden aus vollem Pokal</l> <lb n="p1b_587.021"/> <l>Den Herrlichen, die einst gekämpft, gesungen, gedacht in Athen.</l> </lg> <lb n="p1b_587.022"/> <p> <hi rendition="#right">(Geibel.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_587.023"/> (Vgl. auch § 138. 7.)</p> <p><lb n="p1b_587.024"/> 3. <hi rendition="#g">Einige Worte mit vorhergehendem Reim sind wiederholt.</hi></p> <lb n="p1b_587.025"/> <lg> <l>Du Duft, der meine Seele <hi rendition="#g">speiset, verlaß mich nicht!</hi></l> <lb n="p1b_587.026"/> <l>Traum, der mit mir durchs Leben <hi rendition="#g">reiset, verlaß mich nicht!</hi></l> <lb n="p1b_587.027"/> <l>Du Paradiesesvogel, dessen Schwing' ungesehn</l> <lb n="p1b_587.028"/> <l>Mit leisem Säuseln mich um<hi rendition="#g">kreiset, verlaß mich nicht!</hi></l> <lb n="p1b_587.029"/> <l>Du Amme mir und Ammenmärchen der Kindheit einst!</l> <lb n="p1b_587.030"/> <l>Du fehlst und ich bin noch verwaiset, verlaß mich nicht!</l> <lb n="p1b_587.031"/> <l>Du statt der Jugend mir geblieben, da sie mir floh;</l> <lb n="p1b_587.032"/> <l>Wo du mir fliehst, bin ich ergreiset, verlaß mich nicht!</l> <lb n="p1b_587.033"/> <l>O du mein Frühling! sieh, wie draußen der Herbst nun braust;</l> <lb n="p1b_587.034"/> <l>Komm, daß nicht Winter mich umeiset, verlaß mich nicht!</l> <lb n="p1b_587.035"/> <l>O Hauch des Friedens! horch, wie draußen das Leben tobt;</l> <lb n="p1b_587.036"/> <l>Wer ist, der still hindurch mich weiset? Verlaß mich nicht!</l> <lb n="p1b_587.037"/> <l>O du mein Rausch! du meine Liebe! o du mein Lied!</l> <lb n="p1b_587.038"/> <l>Das hier durch mich sich selber preiset, verlaß mich nicht!</l> </lg> <lb n="p1b_587.039"/> <p> <hi rendition="#right">(Friedr. Rückert.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_587.040"/> Ähnlich sind die echt deutschen, ungezwungenen, leider nicht in die Auswahl <lb n="p1b_587.041"/> seiner Gedichte übergegangenen Ghasele Hoffmanns v. Fallersleben gebildet: <lb n="p1b_587.042"/> „Mir ist als müßt ich immer sagen: <hi rendition="#g">Jch liebe dich.</hi>“ Ferner: „Es war <lb n="p1b_587.043"/> ein Traum nur, war ein schöner <hi rendition="#g">Traum, und Alles hin!</hi>“</p> <p><lb n="p1b_587.044"/> 4. <hi rendition="#g">Schreibweise in gebrochenen Zeilen.</hi></p> <lb n="p1b_587.045"/> <lg> <l>Sie hielt mich auf der Straße an</l> <lb n="p1b_587.046"/> <l>Und fragte: „Kannst du schreiben?“ ─ Ja! ─</l> <lb n="p1b_587.047"/> <l>„So schreib mir einen Talisman!“</l> <lb n="p1b_587.048"/> <l>─ Wird der dein Weh vertreiben? ─ „Ja!“</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [587/0621]
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Dryas schläft in ihren Zweigen, p1b_587.002
Oreas in ihrem Steine; p1b_587.003
Und Endymion, der ew'ge p1b_587.004
Schläfer, schläft in Luna's Scheine. p1b_587.005
Pan, der Hirte, spielt und trunken p1b_587.006
Jst die Welt vom Schlummerweine. &c.
(Rückert.)
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2. Ein Wort mit vorhergehendem Reim ist wiederholt.
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Zur Zeit, wenn der Frühling die Glut der Rosen entfacht in Athen, p1b_587.009
Wie dämmert so lieblich alsdann die selige Nacht in Athen! p1b_587.010
Hoch leuchtet der Mond und bescheint Cypressen und Palmen umher p1b_587.011
Und marmornen Tempelgesäuls versinkende Pracht in Athen. p1b_587.012
Wir aber bekränzen das Haupt und füllen die Becher mit Wein p1b_587.013
Gedenkend, wie Sokrates einst die Nächte verbracht in Athen; p1b_587.014
Von Lieb' entspinnt sich Gespräch; denn ob auch Pallas die Burg p1b_587.015
Beherrschen mag, Eros, der Gott, übt selige Macht in Athen; p1b_587.016
Zur Rede gesellt sich Musik, leicht sind die Guitarren gestimmt, p1b_587.017
Leicht regt sich des Wechselgesangs melodische Schlacht in Athen. p1b_587.018
Da webt manch klassisches Wort, manch leuchtender Name sich ein; p1b_587.019
Denn großer vergangener Zeit Erinnerung wacht in Athen. p1b_587.020
Und kühner erbrauset das Lied; wir spenden aus vollem Pokal p1b_587.021
Den Herrlichen, die einst gekämpft, gesungen, gedacht in Athen.
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(Geibel.)
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(Vgl. auch § 138. 7.)
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3. Einige Worte mit vorhergehendem Reim sind wiederholt.
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Traum, der mit mir durchs Leben reiset, verlaß mich nicht! p1b_587.027
Du Paradiesesvogel, dessen Schwing' ungesehn p1b_587.028
Mit leisem Säuseln mich umkreiset, verlaß mich nicht! p1b_587.029
Du Amme mir und Ammenmärchen der Kindheit einst! p1b_587.030
Du fehlst und ich bin noch verwaiset, verlaß mich nicht! p1b_587.031
Du statt der Jugend mir geblieben, da sie mir floh; p1b_587.032
Wo du mir fliehst, bin ich ergreiset, verlaß mich nicht! p1b_587.033
O du mein Frühling! sieh, wie draußen der Herbst nun braust; p1b_587.034
Komm, daß nicht Winter mich umeiset, verlaß mich nicht! p1b_587.035
O Hauch des Friedens! horch, wie draußen das Leben tobt; p1b_587.036
Wer ist, der still hindurch mich weiset? Verlaß mich nicht! p1b_587.037
O du mein Rausch! du meine Liebe! o du mein Lied! p1b_587.038
Das hier durch mich sich selber preiset, verlaß mich nicht!
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(Friedr. Rückert.)
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Ähnlich sind die echt deutschen, ungezwungenen, leider nicht in die Auswahl p1b_587.041
seiner Gedichte übergegangenen Ghasele Hoffmanns v. Fallersleben gebildet: p1b_587.042
„Mir ist als müßt ich immer sagen: Jch liebe dich.“ Ferner: „Es war p1b_587.043
ein Traum nur, war ein schöner Traum, und Alles hin!“
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4. Schreibweise in gebrochenen Zeilen.
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Und fragte: „Kannst du schreiben?“ ─ Ja! ─ p1b_587.047
„So schreib mir einen Talisman!“ p1b_587.048
─ Wird der dein Weh vertreiben? ─ „Ja!“
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/621>, abgerufen am 16.02.2025. |