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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Zwar versteh ich wohl das Schema p1b_569.002
Dieser abgeschmackten Glossen, p1b_569.003
Aber solch' verzwicktes Thema, p1b_569.004
Solche rätselhafte Possen p1b_569.005
Sind ein gordisches Problema. p1b_569.006
Dennoch macht' ich dir, mein Stern, p1b_569.007
Diese Freude gar zu gern: p1b_569.008
Hoffnungslos reib ich die Hände, p1b_569.009
Nimmer bring ich es zu Ende, p1b_569.010
Denn Gedanken steh'n zu fern.
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Laß, mein Kind, die spansche Mode, p1b_569.012
Laß die fremden Triolette, p1b_569.013
Laß die welsche Klangmethode p1b_569.014
Der Kanzonen und Sonette, p1b_569.015
Bleib bei deiner sapphschen Ode! p1b_569.016
Bleib der Aftermuse fern p1b_569.017
Der romantisch süßen Herrn! p1b_569.018
Duftig schwebeln, luftig tänzeln, p1b_569.019
Nur in Reimchen, Assonänzeln, p1b_569.020
Nur in Tönen mag sie gern.
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Nicht in Tönen solcher Glossen p1b_569.022
Kann die Poesie sich zeigen; p1b_569.023
Jn antiken Verskolossen p1b_569.024
Stampft sie besser ihren Reigen p1b_569.025
Mit Spondeen und Molossen. p1b_569.026
Nur im Hammerschlag und Dröhnen p1b_569.027
Deutsch=hellenischer Kamönen p1b_569.028
Kann sie selbst die alten, kranken, p1b_569.029
Allerhäßlichsten Gedanken, p1b_569.030
Alles, was sie will, verschönen.

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Von den beiden folgenden Rückertschen Glossen glossiert die erstere (a) den p1b_569.032
Jnhalt des Themas, ohne sich an die herkömmliche Glossenform zu halten. p1b_569.033
Die zweite (b) beachtet die Glossenform insoweit, als sie lediglich die Textzeilen p1b_569.034
an den Strophenschlüssen wiederkehren läßt.

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a. Glosse.

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Sei es Wonne, sei es Plage, p1b_569.037
Schiebt er's zu dem andern Tage.
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Goethe, Faust II.

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Nicht die Freude, noch die Plage, p1b_569.040
Schiebe du zum andern Tage, p1b_569.041
Sondern thu die beiden ab p1b_569.042
Frisch im Nu, wie Gott sie gab.
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Denn wie du sie willst verschieben, p1b_569.044
Wird die Freude dir zerstieben; p1b_569.045
Und die Plage, weggerückt, p1b_569.046
Hat nur länger dich gedrückt.
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Darum beide, aufgeschoben, p1b_569.048
Sind sie gut nicht aufgehoben; p1b_569.049
Denn die eine ist nicht mehr, p1b_569.050
Und die andre doppelt schwer.
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Zwar versteh ich wohl das Schema p1b_569.002
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Aber solch' verzwicktes Thema, p1b_569.004
Solche rätselhafte Possen p1b_569.005
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Denn Gedanken steh'n zu fern.
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Laß, mein Kind, die spansche Mode, p1b_569.012
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Bleib bei deiner sapphschen Ode! p1b_569.016
Bleib der Aftermuse fern p1b_569.017
Der romantisch süßen Herrn! p1b_569.018
Duftig schwebeln, luftig tänzeln, p1b_569.019
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Nicht in Tönen solcher Glossen p1b_569.022
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Stampft sie besser ihren Reigen p1b_569.025
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Alles, was sie will, verschönen.

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Von den beiden folgenden Rückertschen Glossen glossiert die erstere (a) den p1b_569.032
Jnhalt des Themas, ohne sich an die herkömmliche Glossenform zu halten. p1b_569.033
Die zweite (b) beachtet die Glossenform insoweit, als sie lediglich die Textzeilen p1b_569.034
an den Strophenschlüssen wiederkehren läßt.

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a. Glosse.

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Sei es Wonne, sei es Plage, p1b_569.037
Schiebt er's zu dem andern Tage.
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Goethe, Faust II.

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/603>, abgerufen am 22.11.2024.