Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_558.001 Sicilische Dryad- und Oreaden, p1b_558.003 Die ihr von Wald- und Bergesklüften lauscht, p1b_558.004 Und ihr o Nereiden und Najaden, p1b_558.005 Die ihr von Quell und Meer euch Grüße tauscht! p1b_558.006 Sagt, sahet ihr auf Berg und Waldespfaden, p1b_558.007 Wie mich, je einen wandeln lustberauscht? p1b_558.008 Und hörtet ihr an schweigenden Gestaden p1b_558.009 Je solchen Sturm, wie meine Klage rauscht? (Rückert.) p1b_558.010 Hier ist's an dieser Statt, wo jedes Jahr p1b_558.012 Der Lenz vom Himmel steigt auf lichter Spur, p1b_558.013 Zuerst sein goldnes Füllhorn immerdar p1b_558.014 Ausleerend über diesem Eiland nur. p1b_558.015 Dann führt er nordwärts seine Blumenschar, p1b_558.016 Und immer dürft'ger schmückt er Flur um Flur; p1b_558.017 Bis man zuletzt kaum ahnt, wie reich er war, p1b_558.018 Als er dahier zuerst vom Himmel fuhr. (Rückert.) p1b_558.019 § 171. Die Kanzone. p1b_558.020 p1b_558.035 p1b_558.039 p1b_558.001 Sicilische Dryad- und Oreaden, p1b_558.003 Die ihr von Wald- und Bergesklüften lauscht, p1b_558.004 Und ihr o Nereiden und Najaden, p1b_558.005 Die ihr von Quell und Meer euch Grüße tauscht! p1b_558.006 Sagt, sahet ihr auf Berg und Waldespfaden, p1b_558.007 Wie mich, je einen wandeln lustberauscht? p1b_558.008 Und hörtet ihr an schweigenden Gestaden p1b_558.009 Je solchen Sturm, wie meine Klage rauscht? (Rückert.) p1b_558.010 Hier ist's an dieser Statt, wo jedes Jahr p1b_558.012 Der Lenz vom Himmel steigt auf lichter Spur, p1b_558.013 Zuerst sein goldnes Füllhorn immerdar p1b_558.014 Ausleerend über diesem Eiland nur. p1b_558.015 Dann führt er nordwärts seine Blumenschar, p1b_558.016 Und immer dürft'ger schmückt er Flur um Flur; p1b_558.017 Bis man zuletzt kaum ahnt, wie reich er war, p1b_558.018 Als er dahier zuerst vom Himmel fuhr. (Rückert.) p1b_558.019 § 171. 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Jeder der in Zahl und Maß der Verszeilen genau <lb n="p1b_558.028"/> übereinstimmenden beiden ersten Teile des Aufgesangs dieser Strophen <lb n="p1b_558.029"/> (Stollen oder Füße) schließt nämlich wenn möglich mit einer logischen <lb n="p1b_558.030"/> Pause, worauf der sieben Zeilen umfassende Schlußteil (<hi rendition="#aq">Coda</hi>, Schweif, <lb n="p1b_558.031"/> Geleite) mit ungetrenntem Reim sich anschließt. Am Schlusse des <lb n="p1b_558.032"/> Gedichts folgt eine kürzere Strophe. Als Geleite bildet sie einen <lb n="p1b_558.033"/> kleinen Epilog am Schlusse des Gedichts, den man <hi rendition="#aq">Chiusa</hi> (spr. kiusa) <lb n="p1b_558.034"/> oder auch <hi rendition="#aq">Congedo</hi> == Abschied nennt.</p> <p><lb n="p1b_558.035"/> Wenn dieser Abschied auch keinen wesentlichen Bestandteil der Kanzone <lb n="p1b_558.036"/> bildet, so ist er doch eine charakteristische Zierde derselben; sein Zweck ist, eine <lb n="p1b_558.037"/> verabschiedende Anrede oder einen Auftrag an das Lied zu richten und den Abgesang <lb n="p1b_558.038"/> in Maß und Reim vollständig oder teilweise zu wiederholen.</p> <p><lb n="p1b_558.039"/> Der Reim ist: 1. Fuß: <hi rendition="#aq">a b c</hi>. 2. Fuß: <hi rendition="#aq">b a c</hi>. Abgesang: <hi rendition="#aq">c d e e │ d f f</hi>. <lb n="p1b_558.040"/> Jm Schlußteile sind dem Reime Freiheiten gestattet. Die siebente verbindende <lb n="p1b_558.041"/> Zeile der Strophe muß dem Reime nach zum ersten Teile, dem Gedanken nach <lb n="p1b_558.042"/> jedoch zum 2. Teile gehören. Sie heißt deshalb <hi rendition="#g">Zwischenzeile.</hi> Die 7. <lb n="p1b_558.043"/> und 10. Zeile sind siebensilbig. Die sich besonders für elegische Dichtungen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [558/0592]
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c. Mit weiblichem und männlichem Reime.
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Sicilische Dryad- und Oreaden, p1b_558.003
Die ihr von Wald- und Bergesklüften lauscht, p1b_558.004
Und ihr o Nereiden und Najaden, p1b_558.005
Die ihr von Quell und Meer euch Grüße tauscht! p1b_558.006
Sagt, sahet ihr auf Berg und Waldespfaden, p1b_558.007
Wie mich, je einen wandeln lustberauscht? p1b_558.008
Und hörtet ihr an schweigenden Gestaden p1b_558.009
Je solchen Sturm, wie meine Klage rauscht?
(Rückert.)
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d. Mit bloß männlichem Reime.
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Hier ist's an dieser Statt, wo jedes Jahr p1b_558.012
Der Lenz vom Himmel steigt auf lichter Spur, p1b_558.013
Zuerst sein goldnes Füllhorn immerdar p1b_558.014
Ausleerend über diesem Eiland nur. p1b_558.015
Dann führt er nordwärts seine Blumenschar, p1b_558.016
Und immer dürft'ger schmückt er Flur um Flur; p1b_558.017
Bis man zuletzt kaum ahnt, wie reich er war, p1b_558.018
Als er dahier zuerst vom Himmel fuhr.
(Rückert.)
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§ 171. Die Kanzone. p1b_558.020
Mit dem Namen Kanzone (franz. chanson, prov. cansos) bezeichnet p1b_558.021
man jenes von den Troubadours entlehnte lyrische, provençalische Strophenmaß, p1b_558.022
das durch Petrarca weitergebildet jetzt noch für bestimmte Weisen p1b_558.023
italienischen Geschmacks angewendet wird. Die meist 4 bis 12 gleichartigen p1b_558.024
Strophen bestehen in der Regel aus 11, 13 oder 16 elfsilbigen p1b_558.025
jambischen Verszeilen, mit siebensilbigen abwechselnd. Die p1b_558.026
Strophen sind dreiteilig und erinnern in der Bauart an die deutschen p1b_558.027
Minnelieder. Jeder der in Zahl und Maß der Verszeilen genau p1b_558.028
übereinstimmenden beiden ersten Teile des Aufgesangs dieser Strophen p1b_558.029
(Stollen oder Füße) schließt nämlich wenn möglich mit einer logischen p1b_558.030
Pause, worauf der sieben Zeilen umfassende Schlußteil (Coda, Schweif, p1b_558.031
Geleite) mit ungetrenntem Reim sich anschließt. Am Schlusse des p1b_558.032
Gedichts folgt eine kürzere Strophe. Als Geleite bildet sie einen p1b_558.033
kleinen Epilog am Schlusse des Gedichts, den man Chiusa (spr. kiusa) p1b_558.034
oder auch Congedo == Abschied nennt.
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Wenn dieser Abschied auch keinen wesentlichen Bestandteil der Kanzone p1b_558.036
bildet, so ist er doch eine charakteristische Zierde derselben; sein Zweck ist, eine p1b_558.037
verabschiedende Anrede oder einen Auftrag an das Lied zu richten und den Abgesang p1b_558.038
in Maß und Reim vollständig oder teilweise zu wiederholen.
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Der Reim ist: 1. Fuß: a b c. 2. Fuß: b a c. Abgesang: c d e e │ d f f. p1b_558.040
Jm Schlußteile sind dem Reime Freiheiten gestattet. Die siebente verbindende p1b_558.041
Zeile der Strophe muß dem Reime nach zum ersten Teile, dem Gedanken nach p1b_558.042
jedoch zum 2. Teile gehören. Sie heißt deshalb Zwischenzeile. Die 7. p1b_558.043
und 10. Zeile sind siebensilbig. Die sich besonders für elegische Dichtungen
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