Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_557.001 p1b_557.012 p1b_557.019 p1b_557.023 p1b_557.024 Jch will der Liebe ganz mein Herz erschließen, p1b_557.026 Jch will der Liebe ganz mich einverleiben! p1b_557.027 Jch will in lauter Liebesblumen sprießen, p1b_557.028 Jn lauter Lieb' empor zum Himmel treiben. p1b_557.029 Der Liebe Sonnenpfeile will ich schießen, p1b_557.030 Der Liebe Lust und Leiden will ich schreiben; p1b_557.031 Und welches Herz nicht wird gerührt zerfließen, p1b_557.032 Das soll, was es gewesen, Felsen bleiben. (Rückert.) p1b_557.033 Jch armes Herz! der mich im Busen trug, p1b_557.035 p1b_557.042Verschenkt' an die mich, die er nennt sein Leben. p1b_557.036 Der Stolzen da nicht dünkt' ich gut genug, p1b_557.037 Jn ihrer schönen Brust mich aufzuheben. p1b_557.038 Weil sie bei sich das Obdach ab mir schlug, p1b_557.039 Will auch mein vor'ger Herr mir keines geben. p1b_557.040 Jch armes Herz! so muß ich nun im Flug p1b_557.041 Jrr in den Lüften hin und wieder schweben. (Rückert.) p1b_557.001 p1b_557.012 p1b_557.019 p1b_557.023 p1b_557.024 Jch will der Liebe ganz mein Herz erschließen, p1b_557.026 Jch will der Liebe ganz mich einverleiben! p1b_557.027 Jch will in lauter Liebesblumen sprießen, p1b_557.028 Jn lauter Lieb' empor zum Himmel treiben. p1b_557.029 Der Liebe Sonnenpfeile will ich schießen, p1b_557.030 Der Liebe Lust und Leiden will ich schreiben; p1b_557.031 Und welches Herz nicht wird gerührt zerfließen, p1b_557.032 Das soll, was es gewesen, Felsen bleiben. (Rückert.) p1b_557.033 Jch armes Herz! der mich im Busen trug, p1b_557.035 p1b_557.042Verschenkt' an die mich, die er nennt sein Leben. p1b_557.036 Der Stolzen da nicht dünkt' ich gut genug, p1b_557.037 Jn ihrer schönen Brust mich aufzuheben. p1b_557.038 Weil sie bei sich das Obdach ab mir schlug, p1b_557.039 Will auch mein vor'ger Herr mir keines geben. p1b_557.040 Jch armes Herz! so muß ich nun im Flug p1b_557.041 Jrr in den Lüften hin und wieder schweben. (Rückert.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0591" n="557"/> <p><lb n="p1b_557.001"/> Die Siciliane unterscheidet sich von der <hi rendition="#aq">Ottave rime</hi> somit lediglich durch <lb n="p1b_557.002"/> Beibehaltung der gekreuzten Reime bis zum Schluß. Sie hat also nur 2 Reime, <lb n="p1b_557.003"/> die sich dreimal abwechselnd wiederholen. Ein anderer Unterschied besteht darin, <lb n="p1b_557.004"/> daß man sie nicht zu größeren Dichtungen ─ wie Epopöen ─ verwendet, <lb n="p1b_557.005"/> sondern daß jede Siciliane (ähnlich wie einzelne Rückertsche Oktaven) ein für <lb n="p1b_557.006"/> sich bestehendes Ganzes bildet. Aus diesem Grunde bedurfte sie keines strophenschließenden <lb n="p1b_557.007"/> Charakteristikums. Auch Rückerts bekannte „<hi rendition="#aq">Rosa Siciliana</hi>“ im <lb n="p1b_557.008"/> Frauentaschenbuch 1823 (72 Strophen) sind eben einzelne Gedichte, die durch <lb n="p1b_557.009"/> nichts als den Titel zusammenhängen, wie sie denn auch in der Ges.=Ausg. <lb n="p1b_557.010"/> mit untermischten neuen Sicilianen willkürlich anders geordnet wurden. (Vgl. <lb n="p1b_557.011"/> meine „Neuen Mitteilungen über Fr. Rückert“ <hi rendition="#aq">II</hi>. S. 155 ff. und <hi rendition="#aq">I</hi>. 201.)</p> <p><lb n="p1b_557.012"/> Fr. Rückert war es, welcher die Siciliane aus Sicilien <hi rendition="#g">zuerst</hi> auf <lb n="p1b_557.013"/> deutschen Boden verpflanzt hat. Seine ersten deutschen Sicilianen (16 Nrn.) <lb n="p1b_557.014"/> erschienen in Wendts Taschenbuch zum geselligen Vergnügen (S. 359─365, <lb n="p1b_557.015"/> Jahrg. 1820). Sie zeichnen sich aus durch arabeskenartige Anklänge, Assonanzen, <lb n="p1b_557.016"/> Allitterationen, spielende Verwechslung der Wörter, ghaselenartige Reime &c., <lb n="p1b_557.017"/> so daß sie einzig in ihrer Art dastehen. Man vgl. nur die 48., 79., 81., <lb n="p1b_557.018"/> 82., 88. Siciliane der Rückertschen Ges.=Ausg. Bd. <hi rendition="#aq">V</hi>. 76 ff.</p> <p><lb n="p1b_557.019"/> Dem Reimschema der Siciliane begegnen wir in der deutschen Litteratur <lb n="p1b_557.020"/> übrigens schon bei Konrad von Würzburg. (Vgl. v. d. Hagens Minnesinger <hi rendition="#aq">I</hi>. <lb n="p1b_557.021"/> 310. Nr. 1, sowie bei Markgraf von Hohenburg, ebenda Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>. 33. Nr. 2. <lb n="p1b_557.022"/> Vgl. noch <hi rendition="#aq">III</hi>. 334.)</p> <p> <lb n="p1b_557.023"/> <hi rendition="#g">Beispiele:</hi> </p> <p><lb n="p1b_557.024"/><hi rendition="#aq">a</hi>. <hi rendition="#g">Mit bloß weiblichem Reime.</hi></p> <lb n="p1b_557.025"/> <lg> <l>Jch will der Liebe ganz mein Herz erschließen,</l> <lb n="p1b_557.026"/> <l>Jch will der Liebe ganz mich einverleiben!</l> <lb n="p1b_557.027"/> <l>Jch will in lauter Liebesblumen sprießen,</l> <lb n="p1b_557.028"/> <l>Jn lauter Lieb' empor zum Himmel treiben.</l> <lb n="p1b_557.029"/> <l>Der Liebe Sonnenpfeile will ich schießen,</l> <lb n="p1b_557.030"/> <l>Der Liebe Lust und Leiden will ich schreiben;</l> <lb n="p1b_557.031"/> <l>Und welches Herz nicht wird gerührt zerfließen,</l> <lb n="p1b_557.032"/> <l>Das soll, was es gewesen, Felsen bleiben.</l> </lg> <p> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_557.033"/><hi rendition="#aq">b</hi>. <hi rendition="#g">Mit männlichem und weiblichem Reime.</hi></p> <lb n="p1b_557.034"/> <lg> <l>Jch armes Herz! der mich im Busen trug,</l> <lb n="p1b_557.035"/> <l>Verschenkt' an die mich, die er nennt sein Leben.</l> <lb n="p1b_557.036"/> <l>Der Stolzen da nicht dünkt' ich gut genug,</l> <lb n="p1b_557.037"/> <l>Jn ihrer schönen Brust mich aufzuheben.</l> <lb n="p1b_557.038"/> <l>Weil sie bei sich das Obdach ab mir schlug,</l> <lb n="p1b_557.039"/> <l>Will auch mein vor'ger Herr mir keines geben.</l> <lb n="p1b_557.040"/> <l>Jch armes Herz! so muß ich nun im Flug</l> <lb n="p1b_557.041"/> <l>Jrr in den Lüften hin und wieder schweben.</l> </lg> <lb n="p1b_557.042"/> <p> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [557/0591]
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Die Siciliane unterscheidet sich von der Ottave rime somit lediglich durch p1b_557.002
Beibehaltung der gekreuzten Reime bis zum Schluß. Sie hat also nur 2 Reime, p1b_557.003
die sich dreimal abwechselnd wiederholen. Ein anderer Unterschied besteht darin, p1b_557.004
daß man sie nicht zu größeren Dichtungen ─ wie Epopöen ─ verwendet, p1b_557.005
sondern daß jede Siciliane (ähnlich wie einzelne Rückertsche Oktaven) ein für p1b_557.006
sich bestehendes Ganzes bildet. Aus diesem Grunde bedurfte sie keines strophenschließenden p1b_557.007
Charakteristikums. Auch Rückerts bekannte „Rosa Siciliana“ im p1b_557.008
Frauentaschenbuch 1823 (72 Strophen) sind eben einzelne Gedichte, die durch p1b_557.009
nichts als den Titel zusammenhängen, wie sie denn auch in der Ges.=Ausg. p1b_557.010
mit untermischten neuen Sicilianen willkürlich anders geordnet wurden. (Vgl. p1b_557.011
meine „Neuen Mitteilungen über Fr. Rückert“ II. S. 155 ff. und I. 201.)
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Fr. Rückert war es, welcher die Siciliane aus Sicilien zuerst auf p1b_557.013
deutschen Boden verpflanzt hat. Seine ersten deutschen Sicilianen (16 Nrn.) p1b_557.014
erschienen in Wendts Taschenbuch zum geselligen Vergnügen (S. 359─365, p1b_557.015
Jahrg. 1820). Sie zeichnen sich aus durch arabeskenartige Anklänge, Assonanzen, p1b_557.016
Allitterationen, spielende Verwechslung der Wörter, ghaselenartige Reime &c., p1b_557.017
so daß sie einzig in ihrer Art dastehen. Man vgl. nur die 48., 79., 81., p1b_557.018
82., 88. Siciliane der Rückertschen Ges.=Ausg. Bd. V. 76 ff.
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Dem Reimschema der Siciliane begegnen wir in der deutschen Litteratur p1b_557.020
übrigens schon bei Konrad von Würzburg. (Vgl. v. d. Hagens Minnesinger I. p1b_557.021
310. Nr. 1, sowie bei Markgraf von Hohenburg, ebenda Bd. I. 33. Nr. 2. p1b_557.022
Vgl. noch III. 334.)
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Beispiele:
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a. Mit bloß weiblichem Reime.
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Jch will der Liebe ganz mein Herz erschließen, p1b_557.026
Jch will der Liebe ganz mich einverleiben! p1b_557.027
Jch will in lauter Liebesblumen sprießen, p1b_557.028
Jn lauter Lieb' empor zum Himmel treiben. p1b_557.029
Der Liebe Sonnenpfeile will ich schießen, p1b_557.030
Der Liebe Lust und Leiden will ich schreiben; p1b_557.031
Und welches Herz nicht wird gerührt zerfließen, p1b_557.032
Das soll, was es gewesen, Felsen bleiben.
(Rückert.)
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b. Mit männlichem und weiblichem Reime.
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Jch armes Herz! der mich im Busen trug, p1b_557.035
Verschenkt' an die mich, die er nennt sein Leben. p1b_557.036
Der Stolzen da nicht dünkt' ich gut genug, p1b_557.037
Jn ihrer schönen Brust mich aufzuheben. p1b_557.038
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Jrr in den Lüften hin und wieder schweben.
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