p1b_017.001 Ziel eben lediglich die Wahrheit ist, und der daher Bedeutungsloses neben Bedeutungsvolles p1b_017.002 setzen muß, dessen Grenzen vom Zufall abhängen, - er p1b_017.003 schreibt Prosa, die erst der wirkliche Dichter (wie im historischen Drama) durch p1b_017.004 ideale Auffassung und Gruppierung eines bestimmten Stoffes für ein harmonisches p1b_017.005 Ganzes zur Poesie gestaltet, nicht aber jener Dichter, der die historische Treue p1b_017.006 höher hält als die poetische. (Damit soll nicht gesagt sein, daß der Dichter das p1b_017.007 historisch entscheidende Faktum oder auch nur die historische Wahrscheinlichkeit p1b_017.008 verletzen dürfe.) Der Redner, dessen Prosa halbe Poesie ist, (man vgl. z. B. p1b_017.009 die Prosa des Demosthenes) steuert am meisten zu einer Gemeinsamkeit p1b_017.010 in der Gefühlsäußerung hin. Daher haben Dichter und Redner Tropen p1b_017.011 und Figuren gemeinsam, obwohl die Tropen mehr der Poesie, die Figuren p1b_017.012 mehr der Rhetorik angehören. Der Redner hat es eben mehr auf den Willen p1b_017.013 durch das Medium des Verstandes abgesehen, der Dichter auf die Anschauung p1b_017.014 durch Vermittelung der Phantasie. Allerdings wendet sich der Dichter in gewissen p1b_017.015 Gattungen, z. B. in manchen politischen Gedichten an den Willen (man p1b_017.016 vgl. die bezüglichen Gedichte eines Pindar, Tyrtäos, Arndt, Körner, Schenkendorf, p1b_017.017 Rückert, Freiligrath, Herwegh). Nicht selten sind wesentliche Stellen von p1b_017.018 hervorragenden Dichtungen rhetorisch (man vgl. Schillers und Shakespeares p1b_017.019 Tragödien). Jmmerhin ist dieses Rhetorische, das zur Charakteristik der betreffenden p1b_017.020 Person nötig ist, nicht direkt an uns gerichtet, sondern an die p1b_017.021 Personen im Drama, und es geht der Appell an den Willen in den politisch p1b_017.022 patriotischen Lyriken nicht direkt uns an, sondern den Kreis, für den eben p1b_017.023 geschrieben ist.
p1b_017.024 Das Unterscheidende von Poesie und Prosa liegt besonders in p1b_017.025 ihren Zwecken und in der Wahl der zu denselben führenden Mittel. Die p1b_017.026 Prosa hat es mit wissenschaftlichen Gegenständen aller Art zu thun. Jhr p1b_017.027 Zweck ist, durch Gründe und Beweise zu überzeugen und das p1b_017.028 Wahre zu erstreben, ganz abgesehen davon, ob es schön und gut sei, p1b_017.029 während die Poesie, wie erwähnt, das rein Verstandesmäßige flieht und keinen p1b_017.030 andern Zweck verfolgt, als Versinnlichung des Schönen. Deshalb wählt die p1b_017.031 letztere nur diejenigen Gegenstände, die einer dem Prinzip des Schönen entsprechenden p1b_017.032 Behandlung fähig sind. Sie hat es eben mit Empfindung und p1b_017.033 Phantasie zu thun. Abstrakt Verstandesmäßiges umkleidet die Sprache der p1b_017.034 Poesie mit Bildern, und anstatt ethischer Anregungen und Sentenzen giebt sie p1b_017.035 Gleichnisse, Handlungen, dem einzelnen es überlassend, sich seine Lehre selbst p1b_017.036 auszuziehen. Trotz ihrer anschaulichen Sprache wird sie freilich in ihren Gemälden p1b_017.037 nicht so anschaulich bilden können als die Natur oder die Künste der p1b_017.038 Plastik, Malerei, Architektonik. Das ist aber auch nicht ihr Zweck. Nicht p1b_017.039 wiedergeben oder ersetzen und verdrängen will sie die Natur, sondern lediglich p1b_017.040 veranschaulichen, Vorstellungen übertragen und das thätige Seelenleben und p1b_017.041 seine Äußerung zum Ausdruck bringen. Daher strebt sie nach größtmöglicher p1b_017.042 Lebhaftigkeit, Sinnlichkeit und Anschaulichkeit der Rede und des Ausdrucks, p1b_017.043 um in schöner Form den Reiz des Schönen zu veranschaulichen. Bindewörter, p1b_017.044 Formwörter, welche die Prosa nötig hat, verträgt sie nicht. Sie liebt kurze,
p1b_017.001 Ziel eben lediglich die Wahrheit ist, und der daher Bedeutungsloses neben Bedeutungsvolles p1b_017.002 setzen muß, dessen Grenzen vom Zufall abhängen, ─ er p1b_017.003 schreibt Prosa, die erst der wirkliche Dichter (wie im historischen Drama) durch p1b_017.004 ideale Auffassung und Gruppierung eines bestimmten Stoffes für ein harmonisches p1b_017.005 Ganzes zur Poesie gestaltet, nicht aber jener Dichter, der die historische Treue p1b_017.006 höher hält als die poetische. (Damit soll nicht gesagt sein, daß der Dichter das p1b_017.007 historisch entscheidende Faktum oder auch nur die historische Wahrscheinlichkeit p1b_017.008 verletzen dürfe.) Der Redner, dessen Prosa halbe Poesie ist, (man vgl. z. B. p1b_017.009 die Prosa des Demosthenes) steuert am meisten zu einer Gemeinsamkeit p1b_017.010 in der Gefühlsäußerung hin. Daher haben Dichter und Redner Tropen p1b_017.011 und Figuren gemeinsam, obwohl die Tropen mehr der Poesie, die Figuren p1b_017.012 mehr der Rhetorik angehören. Der Redner hat es eben mehr auf den Willen p1b_017.013 durch das Medium des Verstandes abgesehen, der Dichter auf die Anschauung p1b_017.014 durch Vermittelung der Phantasie. Allerdings wendet sich der Dichter in gewissen p1b_017.015 Gattungen, z. B. in manchen politischen Gedichten an den Willen (man p1b_017.016 vgl. die bezüglichen Gedichte eines Pindar, Tyrtäos, Arndt, Körner, Schenkendorf, p1b_017.017 Rückert, Freiligrath, Herwegh). Nicht selten sind wesentliche Stellen von p1b_017.018 hervorragenden Dichtungen rhetorisch (man vgl. Schillers und Shakespeares p1b_017.019 Tragödien). Jmmerhin ist dieses Rhetorische, das zur Charakteristik der betreffenden p1b_017.020 Person nötig ist, nicht direkt an uns gerichtet, sondern an die p1b_017.021 Personen im Drama, und es geht der Appell an den Willen in den politisch p1b_017.022 patriotischen Lyriken nicht direkt uns an, sondern den Kreis, für den eben p1b_017.023 geschrieben ist.
p1b_017.024 Das Unterscheidende von Poesie und Prosa liegt besonders in p1b_017.025 ihren Zwecken und in der Wahl der zu denselben führenden Mittel. Die p1b_017.026 Prosa hat es mit wissenschaftlichen Gegenständen aller Art zu thun. Jhr p1b_017.027 Zweck ist, durch Gründe und Beweise zu überzeugen und das p1b_017.028 Wahre zu erstreben, ganz abgesehen davon, ob es schön und gut sei, p1b_017.029 während die Poesie, wie erwähnt, das rein Verstandesmäßige flieht und keinen p1b_017.030 andern Zweck verfolgt, als Versinnlichung des Schönen. Deshalb wählt die p1b_017.031 letztere nur diejenigen Gegenstände, die einer dem Prinzip des Schönen entsprechenden p1b_017.032 Behandlung fähig sind. Sie hat es eben mit Empfindung und p1b_017.033 Phantasie zu thun. Abstrakt Verstandesmäßiges umkleidet die Sprache der p1b_017.034 Poesie mit Bildern, und anstatt ethischer Anregungen und Sentenzen giebt sie p1b_017.035 Gleichnisse, Handlungen, dem einzelnen es überlassend, sich seine Lehre selbst p1b_017.036 auszuziehen. Trotz ihrer anschaulichen Sprache wird sie freilich in ihren Gemälden p1b_017.037 nicht so anschaulich bilden können als die Natur oder die Künste der p1b_017.038 Plastik, Malerei, Architektonik. Das ist aber auch nicht ihr Zweck. Nicht p1b_017.039 wiedergeben oder ersetzen und verdrängen will sie die Natur, sondern lediglich p1b_017.040 veranschaulichen, Vorstellungen übertragen und das thätige Seelenleben und p1b_017.041 seine Äußerung zum Ausdruck bringen. Daher strebt sie nach größtmöglicher p1b_017.042 Lebhaftigkeit, Sinnlichkeit und Anschaulichkeit der Rede und des Ausdrucks, p1b_017.043 um in schöner Form den Reiz des Schönen zu veranschaulichen. Bindewörter, p1b_017.044 Formwörter, welche die Prosa nötig hat, verträgt sie nicht. Sie liebt kurze,
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Ziel eben lediglich die Wahrheit ist, und der daher Bedeutungsloses neben Bedeutungsvolles p1b_017.002
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Rückert, Freiligrath, Herwegh). Nicht selten sind wesentliche Stellen von p1b_017.018
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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