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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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in der Zeit, das Fortschreitende zur Geltung zu bringen, insofern p1b_014.002
sie - um ein Beispiel zu geben - den belvederischen Apoll nur darstellen p1b_014.003
kann, wie dieser Gott so eben geschossen hat und nun, in stolzer Ruhe zurückgetreten, p1b_014.004
dem Pfeil nachblickt, es dem Zuschauer überlassend, ob er im Geiste p1b_014.005
den Drachen sieht, dem der Pfeil zufliegt. -

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Das ausgeführteste, täuschendste Gemälde des Pandarus im 4. Buche der p1b_014.007
Jlias (D 105 ff.) wird für den Maler unmöglich sein. Von dem Ergreifen des p1b_014.008
Bogens bis zu dem Fluge des Pfeils ist jeder Moment gemalt, und alle Einzelheiten p1b_014.009
sind in ihrer Folge so unterschieden, daß, wenn man nicht wüßte, wie mit p1b_014.010
dem Bogen umzugehen wäre, man es nach Lessing (vgl. Laokoon XV) aus diesem p1b_014.011
Gemälde lernen könnte. Pandarus zieht seinen Bogen hervor, legt die Sehne p1b_014.012
an, öffnet den Köcher, wählt einen ungebrauchten, wohlbefiederten Pfeil, setzt p1b_014.013
den Pfeil an die Sehne, zieht die Sehne mit dem Pfeil unten an dem Einschnitt p1b_014.014
zurück, die Sehne nähert sich der Brust, die eiserne Spitze des Pfeils p1b_014.015
dem Bogen, der große gerundete Bogen schlägt tönend auseinander, die Sehne p1b_014.016
schwirrt; ab springt der Pfeil, und gierig fliegt er nach seinem Ziele.

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Das ist ein vortreffliches Gemälde, das aber trotz der sichtbaren Gegenstände p1b_014.018
nur der Dichter liefern kann, weil er die sichtbar fortschreitende zeitliche p1b_014.019
Handlung darzustellen hat, während der Maler lediglich eine sichtbar stehende, p1b_014.020
im Nebeneinander des Raumes sich fixierende Handlung darstellen kann. p1b_014.021
Um dies noch an einem anderen Beispiele zu zeigen, so kann z. B. ein Maler p1b_014.022
den Bogen des Pandarus treu malen, wie er vollendet in der Hand desselben p1b_014.023
ruht, nimmermehr aber, wie er entstanden ist. Homer fängt mit der Jagd p1b_014.024
des Steinbocks an, aus dessen Hörnern der Bogen gemacht wurde; Pandarus p1b_014.025
hatte dem Steinbocke in den Felsen aufgepaßt und ihn erlegt; die Hörner p1b_014.026
waren von außerordentlicher Größe; deshalb bestimmte er sie zu einem Bogen; p1b_014.027
sie kommen in Arbeit, der Künstler verbindet sie, poliert und beschlägt sie. p1b_014.028
(Il. D 105-111.) Und so sehen wir beim malenden Dichter entstehen, p1b_014.029
was wir bei dem malenden Maler nicht anders als entstanden sehen können p1b_014.030
(vgl. Lessing a. a. O. XVI): Wir sehen das Koexistierende in ein p1b_014.031
Konsekutives sich verwandeln.

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Die poetische Malerei versteht am besten Walter Scott, weniger die p1b_014.033
nachahmenden Genies, die ihre Helden von Kopf zu Fuß ohne Ziel malen p1b_014.034
und bei den Schuhschnallen länger verweilen als beim Antlitz. Um ein Beispiel p1b_014.035
der Malerei eines deutschen Dichters zu bieten, erinnern wir an die Entstehung p1b_014.036
des Drachenbildes in Schillers "Kampf mit dem Drachen" in der p1b_014.037
9. Strophe (Auf kurzen Füßen wird die Last des langen Leibes aufgetürmet p1b_014.038
u. s. w.), besonders aber an folgende Strophe Schillers:

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Horch, was strampft im Galopp vorbei? p1b_014.040
Die Adjutanten fliegen, p1b_014.041
Dragoner rasseln in den Feind, p1b_014.042
Und seine Donner ruhen. p1b_014.043
Victoria, Brüder! p1b_014.044
Schrecken reißt die feigen Glieder, p1b_014.045
Und seine Fahne sinkt.

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in der Zeit, das Fortschreitende zur Geltung zu bringen, insofern p1b_014.002
sie ─ um ein Beispiel zu geben ─ den belvederischen Apoll nur darstellen p1b_014.003
kann, wie dieser Gott so eben geschossen hat und nun, in stolzer Ruhe zurückgetreten, p1b_014.004
dem Pfeil nachblickt, es dem Zuschauer überlassend, ob er im Geiste p1b_014.005
den Drachen sieht, dem der Pfeil zufliegt. ─

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Das ausgeführteste, täuschendste Gemälde des Pandarus im 4. Buche der p1b_014.007
Jlias (Δ 105 ff.) wird für den Maler unmöglich sein. Von dem Ergreifen des p1b_014.008
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Das ist ein vortreffliches Gemälde, das aber trotz der sichtbaren Gegenstände p1b_014.018
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Die poetische Malerei versteht am besten Walter Scott, weniger die p1b_014.033
nachahmenden Genies, die ihre Helden von Kopf zu Fuß ohne Ziel malen p1b_014.034
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/48>, abgerufen am 23.11.2024.