p1b_012.001 Gesellen", in welchen er zeigt, daß wir weder Preußen noch Österreicher, sondern p1b_012.002 eben nur Deutsche sein dürfen, wenn wir andern Nationen ebenbürtig gegenüber p1b_012.003 stehen wollen.
p1b_012.004 Zum Kunstwerk des Kunstgedichts gehört beides: Die schöne Formp1b_012.005 und der schöne Jnhalt.
p1b_012.006
Grundstein zwar ist der Gehalt,p1b_012.007 Doch der Schlußstein die Gestalt.
p1b_012.008 sagt Rückert. Und Geibel:
p1b_012.009
Die schöne Form macht kein Gedicht,p1b_012.010 Der schöne Gedanke thuts auch noch nicht;p1b_012.011 Es kommt drauf an, daß Leib und Seelep1b_012.012 Zur guten Stunde sich vermähle.
p1b_012.013 Die Poesie nimmt ihre Stoffe aus allen Gebieten der Welt, wie des p1b_012.014 Geistes- und Gefühlslebens. Jhr weites Feld ist vor allem der Menschengeist,p1b_012.015 das große Gebiet der Gedanken und des Gemüts. Jndem sie solche p1b_012.016 Stoffe wählt, will sie nicht belehren, nicht erklären, nicht begründen, nicht einteilen, p1b_012.017 wie es der Denker erstrebt. Nicht dem Wahren dient sie, wenn sie p1b_012.018 es auch keineswegs verletzen will. Es ist ihr nur nicht Zweck, nur Konsequenz, p1b_012.019 denn aus Schönheit erblüht die Wahrheit. Die höchste Wahrheit anderseits p1b_012.020 ist die höchste Schönheit. Die Poesie will vor allem der Spiegel des Herzens p1b_012.021 sein, der Widerschein des verklärt entgegen tretenden Lebens. Dadurch erreicht p1b_012.022 sie doch indirekt die nicht beabsichtigte Belehrung, dadurch wirkt sie anregend p1b_012.023 auf unser Thun, sittlich=bildend, verschönend=versöhnend. Dadurch gewährt sie p1b_012.024 reinen Genuß.
p1b_012.025 Das Darstellungsmittel der Sprache gestattet die Aufrollung des im stäten p1b_012.026 Werden begriffenen Poesiebildes, dessen Zweck ist, erhalten zu bleiben, um in p1b_012.027 seiner Darstellungsform bei dem Betrachtenden wieder die schöpferisch bewegende p1b_012.028 Anschauung zu erzeugen, - um zu erfreuen. Zweck der Poesie ist also - p1b_012.029 Hinführung zum Schönen. - Eine Hauptforderung ist das Maßhalten,p1b_012.030 denn durch das Maß verkörpert sich das Schöne in der Begrenzung. Sophokles p1b_012.031 wußte das klassische Maß inne zu halten. Die Dichter der schlesischen p1b_012.032 Schule (§ 18) und die Romantiker wie auch die Jungdeutschen überschritten p1b_012.033 es zuweilen. Goethe, Schiller, Rückert, Platen, Uhland, Gottschall, Geibel &c. p1b_012.034 zeigten, daß unsere Sprache, wie die griechische, zur Höhe des Schönen recht p1b_012.035 wohl gelangen könne. - Die Darstellungsform verlangt rhythmische Gliederung p1b_012.036 und metrische Gestalt. Die metrische Gestalt ist die Verbindungskette zwischen p1b_012.037 Poesie, Musik und Tanz. Da wo sich Poesie und Musik trennten, sind prosaische p1b_012.038 Romane und Dramen entstanden. Jn der antiken Poesie herrscht Einheit, p1b_012.039 bei uns deckt Mannigfaltigkeit die Einheit. Den Griechen genügte p1b_012.040 der Rhythmus (gesetzmäßiger Wechsel von Längen und Kürzen); wir verlangen p1b_012.041 noch dazu die bunteste Ausschmückung z. B. durch Allitteration, Assonanz, p1b_012.042 Reim &c. Die Alten konnten etwa ein Epigramm mit einer Zeile bilden; p1b_012.043 bei uns verlangt jeder Vers wenigstens noch einen zweiten, weshalb infolge
p1b_012.001 Gesellen“, in welchen er zeigt, daß wir weder Preußen noch Österreicher, sondern p1b_012.002 eben nur Deutsche sein dürfen, wenn wir andern Nationen ebenbürtig gegenüber p1b_012.003 stehen wollen.
p1b_012.004 Zum Kunstwerk des Kunstgedichts gehört beides: Die schöne Formp1b_012.005 und der schöne Jnhalt.
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Grundstein zwar ist der Gehalt,p1b_012.007 Doch der Schlußstein die Gestalt.
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Die schöne Form macht kein Gedicht,p1b_012.010 Der schöne Gedanke thuts auch noch nicht;p1b_012.011 Es kommt drauf an, daß Leib und Seelep1b_012.012 Zur guten Stunde sich vermähle.
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p1b_012.025 Das Darstellungsmittel der Sprache gestattet die Aufrollung des im stäten p1b_012.026 Werden begriffenen Poesiebildes, dessen Zweck ist, erhalten zu bleiben, um in p1b_012.027 seiner Darstellungsform bei dem Betrachtenden wieder die schöpferisch bewegende p1b_012.028 Anschauung zu erzeugen, ─ um zu erfreuen. Zweck der Poesie ist also ─ p1b_012.029 Hinführung zum Schönen. ─ Eine Hauptforderung ist das Maßhalten,p1b_012.030 denn durch das Maß verkörpert sich das Schöne in der Begrenzung. Sophokles p1b_012.031 wußte das klassische Maß inne zu halten. Die Dichter der schlesischen p1b_012.032 Schule (§ 18) und die Romantiker wie auch die Jungdeutschen überschritten p1b_012.033 es zuweilen. Goethe, Schiller, Rückert, Platen, Uhland, Gottschall, Geibel &c. p1b_012.034 zeigten, daß unsere Sprache, wie die griechische, zur Höhe des Schönen recht p1b_012.035 wohl gelangen könne. ─ Die Darstellungsform verlangt rhythmische Gliederung p1b_012.036 und metrische Gestalt. Die metrische Gestalt ist die Verbindungskette zwischen p1b_012.037 Poesie, Musik und Tanz. Da wo sich Poesie und Musik trennten, sind prosaische p1b_012.038 Romane und Dramen entstanden. Jn der antiken Poesie herrscht Einheit, p1b_012.039 bei uns deckt Mannigfaltigkeit die Einheit. Den Griechen genügte p1b_012.040 der Rhythmus (gesetzmäßiger Wechsel von Längen und Kürzen); wir verlangen p1b_012.041 noch dazu die bunteste Ausschmückung z. B. durch Allitteration, Assonanz, p1b_012.042 Reim &c. Die Alten konnten etwa ein Epigramm mit einer Zeile bilden; p1b_012.043 bei uns verlangt jeder Vers wenigstens noch einen zweiten, weshalb infolge
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Gesellen“, in welchen er zeigt, daß wir weder Preußen noch Österreicher, sondern p1b_012.002
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p1b_012.009
Die schöne Form macht kein Gedicht, p1b_012.010
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Die Poesie nimmt ihre Stoffe aus allen Gebieten der Welt, wie des p1b_012.014
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Schule (§ 18) und die Romantiker wie auch die Jungdeutschen überschritten p1b_012.033
es zuweilen. Goethe, Schiller, Rückert, Platen, Uhland, Gottschall, Geibel &c. p1b_012.034
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wohl gelangen könne. ─ Die Darstellungsform verlangt rhythmische Gliederung p1b_012.036
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Poesie, Musik und Tanz. Da wo sich Poesie und Musik trennten, sind prosaische p1b_012.038
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/46>, abgerufen am 11.12.2024.
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