Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_381.001 p1b_381.006 p1b_381.021 a. Jch wage zu wandeln verlassene Wege p1b_381.023 p1b_381.031Zur fernen Vorzeit unseres Volkes. p1b_381.024 Erwache denn, Weise voll Kraft und Wohllaut, p1b_381.025 Die Mutter Natur germanischem Munde p1b_381.026 Eingebildet und angeboren, p1b_381.027 Wie draußen im Busche Drossel und Buchfink p1b_381.028 Lockruf und Lied von der Meisterin lernten. p1b_381.029 Wie verstummte sie denn? so fraget ihr staunend? p1b_381.030 Vernehmt wie sie starb, wie sie nun auferstanden. (W. Jordans Nibelunge Bd. I, 1.) p1b_381.032b. Als blühenden Knaben auf Heribrants Knieen, p1b_381.033 p1b_381.044Sein hölzernes Schwertchen zum Abschied schwenkend, p1b_381.034 So hatte Hildebrant Hadubranden, p1b_381.035 Als Ditrich ihn rief, zurückgelassen. p1b_381.036 Nun umkräuselte schon dem kraftvollen Sprößling p1b_381.037 Aus Utes Schoß ein schattender Vollbart p1b_381.038 Das Kinn und die Wangen. - Da wurde verkündet p1b_381.039 Bei Ditrich in Bern durch sichere Boten: p1b_381.040 Von Worms hinweg zur Witwe Sigfrids, p1b_381.041 Die nun längst schon vermählt war dem mächtigen Etzel, p1b_381.042 Zöge zur Donau ein dunkles Verhängnis p1b_381.043 Die Nibelunge. (W. Jordans Nibelunge II, 213.) p1b_381.001 p1b_381.006 p1b_381.021 a. Jch wāge zu wāndeln verlāssene Wēge p1b_381.023 p1b_381.031Zur fērnen Vōrzeit ūnseres Vōlkes. p1b_381.024 Erwāche denn, Wēise voll Krāft und Wōhllaut, p1b_381.025 Die Mūtter Natūr germānischem Mūnde p1b_381.026 Ēingebīldet und āngebōren, p1b_381.027 Wie drāußen im Būsche Drōssel und Būchfink p1b_381.028 Lōckruf und Līed von der Mēisterin lērnten. p1b_381.029 Wie verstūmmte sie dēnn? so frāget ihr stāunend? p1b_381.030 Vernēhmt wie sie stārb, wie sie nun āuferstānden. (W. Jordans Nibelunge Bd. I, 1.) p1b_381.032b. 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Den Jordanschen reimlosen <lb n="p1b_381.003"/> Vers im „Nibelunge“ mit seinen vier Hebungen und seinen Allitterationen <lb n="p1b_381.004"/> dürfen wir wohl mit Recht als den <hi rendition="#g">neuhochdeutschen epischen</hi> <lb n="p1b_381.005"/> Vers bezeichnen. Seine Einführung ist eine That.</p> <p><lb n="p1b_381.006"/> Der epische Vers, wie ihn nach Rückert, der übrigens diesen Vers reimte, <lb n="p1b_381.007"/> Jordan zum erstenmal unserer Litteratur in vollendeter, auf deutschen Tongesetzen <lb n="p1b_381.008"/> beruhender Weise wiedergab, <hi rendition="#g">hat vier Hebungen,</hi> und ist gleichzeitig <lb n="p1b_381.009"/> mit der Allitteration verbunden. Jndem wir alle tonlichen und sprachlichen <lb n="p1b_381.010"/> Vorzüge des Jordanschen epischen Verses gebührend und rückhaltlos anerkennen, <lb n="p1b_381.011"/> sind wir nur im Hinblick auf die ununterbrochen fortgesetzte Anwendung <lb n="p1b_381.012"/> der konsonantischen Allitteration der Ansicht, daß durch deren überreichen <lb n="p1b_381.013"/> Gebrauch im Epos die mit Konsonanten beginnenden Worte allzusehr in den <lb n="p1b_381.014"/> Vordergrund geschoben worden, wodurch zweifellos der Wohlklang der sich fortbewegenden <lb n="p1b_381.015"/> Rede durch mangelnde Abwechslung mit vokalisch beginnenden Wörtern <lb n="p1b_381.016"/> beeinträchtigt wird. Die Häufung der Konsonanten und die gesuchte Anwendung <lb n="p1b_381.017"/> derselben verursacht nachweislich mehr oder weniger ein Zischen und Schwirren <lb n="p1b_381.018"/> der konsonantischen Anlaute, und ein Aneinanderkleben der konsonantenbildenden <lb n="p1b_381.019"/> Organe, so daß den Hörer mitunter Sehnsucht nach dazwischen zu streuenden, <lb n="p1b_381.020"/> hellklingenden, vokalisch anlautenden Begriffswörtern ergreift.</p> <p> <lb n="p1b_381.021"/> <hi rendition="#g">Beispiele des Jordanschen epischen Verses.</hi> </p> <lb n="p1b_381.022"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">a</hi>.</p> <lg> <l>Jch wāge zu wāndeln verlāssene Wēge</l> <lb n="p1b_381.023"/> <l>Zur fērnen Vōrzeit ūnseres Vōlkes.</l> <lb n="p1b_381.024"/> <l>Erwāche denn, Wēise voll Krāft und Wōhllaut,</l> <lb n="p1b_381.025"/> <l>Die Mūtter Natūr germānischem Mūnde</l> <lb n="p1b_381.026"/> <l>Ēingebīldet und āngebōren,</l> <lb n="p1b_381.027"/> <l>Wie drāußen im Būsche Drōssel und Būchfink</l> <lb n="p1b_381.028"/> <l>Lōckruf und Līed von der Mēisterin lērnten.</l> <lb n="p1b_381.029"/> <l>Wie verstūmmte sie dēnn? so frāget ihr stāunend?</l> <lb n="p1b_381.030"/> <l>Vernēhmt wie sie stārb, wie sie nun āuferstānden.</l> </lg> <lb n="p1b_381.031"/> <p> <hi rendition="#right">(W. 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Für Weiterpflege dieser Verse hat sich Wilhelm Jordan und nach p1b_381.002
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Vers im „Nibelunge“ mit seinen vier Hebungen und seinen Allitterationen p1b_381.004
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Vers bezeichnen. Seine Einführung ist eine That.
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Der epische Vers, wie ihn nach Rückert, der übrigens diesen Vers reimte, p1b_381.007
Jordan zum erstenmal unserer Litteratur in vollendeter, auf deutschen Tongesetzen p1b_381.008
beruhender Weise wiedergab, hat vier Hebungen, und ist gleichzeitig p1b_381.009
mit der Allitteration verbunden. Jndem wir alle tonlichen und sprachlichen p1b_381.010
Vorzüge des Jordanschen epischen Verses gebührend und rückhaltlos anerkennen, p1b_381.011
sind wir nur im Hinblick auf die ununterbrochen fortgesetzte Anwendung p1b_381.012
der konsonantischen Allitteration der Ansicht, daß durch deren überreichen p1b_381.013
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Vordergrund geschoben worden, wodurch zweifellos der Wohlklang der sich fortbewegenden p1b_381.015
Rede durch mangelnde Abwechslung mit vokalisch beginnenden Wörtern p1b_381.016
beeinträchtigt wird. Die Häufung der Konsonanten und die gesuchte Anwendung p1b_381.017
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der konsonantischen Anlaute, und ein Aneinanderkleben der konsonantenbildenden p1b_381.019
Organe, so daß den Hörer mitunter Sehnsucht nach dazwischen zu streuenden, p1b_381.020
hellklingenden, vokalisch anlautenden Begriffswörtern ergreift.
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Beispiele des Jordanschen epischen Verses.
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a.
Jch wāge zu wāndeln verlāssene Wēge p1b_381.023
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(W. Jordans Nibelunge Bd. I, 1.)
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b.
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Nun umkräuselte schon dem kraftvollen Sprößling p1b_381.037
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