Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
p1b_130.001
Von dem Dome p1b_130.002
Schwer und bang p1b_130.003
Tönt die Glocke p1b_130.004
Grabgesang.
p1b_130.005

(Schillers Glocke.)

p1b_130.006
Der Damm zerreißt, das Feld erbraust, p1b_130.007
Die Fluten spülen, die Fläche saust.
p1b_130.008

(Goethe.)

p1b_130.009
Durch die Wälder streif' ich munter. p1b_130.010
Wenn der Wind die Stämme rüttelt, p1b_130.011
Und mit Rascheln bunt und bunter p1b_130.012
Blatt auf Blatt herunterschüttelt.
p1b_130.013

(v. Sallet.)

p1b_130.014
Der Waffenschmied von Solingen ließ Schlot und Esse dampfen, p1b_130.015
Doch wenn er dann die Zeitung las, mit Füßen thät er stampfen.
p1b_130.016

(Gruppe.)

p1b_130.017
Aus der staubigen Residenz p1b_130.018
Jn den laubigen, frischen Lenz, p1b_130.019
Aus dem tosenden Gassenschrei p1b_130.020
Jn den kosenden stillen Mai.
p1b_130.021

(Rückert.)

p1b_130.022
Übermäßige Anwendung der Lautmalerei, z. B. bei Sigmund v. Birken p1b_130.023
im Frühlingswillkomm wird unschön, undeutsch:

p1b_130.024
Es funken und finken und blinken, p1b_130.025
Es säuseln und bräuseln und kräuseln, p1b_130.026
Es strudeln und brudeln und wudeln, p1b_130.027
Es witzschern und zitschern und zwitschern &c. &c.

p1b_130.028
Ebenso führt die zu häufige Wiederholung desselben Vokals zum Mißklang p1b_130.029
(== Kakophonie), z. B.:

p1b_130.030
Unter der buschigen Ulme ruhte p1b_130.031
Die Jugend unschuldig.

p1b_130.032
Charakteristisch wirkt die häufig zum Spielerischen ausartende Tiertonnachahmung:

p1b_130.033

p1b_130.034
Goethe das Wolfheulen nachahmend: Wille wau wau wau; wille wo p1b_130.035
wo wo; wito hu!

p1b_130.036
Julius Wolf den Finkenschlag wiedergebend: Finkferlingfinkfinkzißspeuzia, p1b_130.037
parerlalala zischketschia! hoiza! Fritz, Fritz, Fritz, rüdidia.

p1b_130.038
§ 29. Das dichterisch Unschöne.
p1b_130.039
1. Hiatus.

p1b_130.040
Hiatus (von hiare klaffen) heißt in der Metrik das unschöne p1b_130.041
Zusammentreffen zweier Vokale als Auslaut eines vorhergehenden und p1b_130.042
als Anlaut eines diesem eng folgenden Wortes.

p1b_130.001
Von dem Dome p1b_130.002
Schwer und bang p1b_130.003
Tönt die Glocke p1b_130.004
Grabgesang.
p1b_130.005

(Schillers Glocke.)

p1b_130.006
Der Damm zerreißt, das Feld erbraust, p1b_130.007
Die Fluten spülen, die Fläche saust.
p1b_130.008

(Goethe.)

p1b_130.009
Durch die Wälder streif' ich munter. p1b_130.010
Wenn der Wind die Stämme rüttelt, p1b_130.011
Und mit Rascheln bunt und bunter p1b_130.012
Blatt auf Blatt herunterschüttelt.
p1b_130.013

(v. Sallet.)

p1b_130.014
Der Waffenschmied von Solingen ließ Schlot und Esse dampfen, p1b_130.015
Doch wenn er dann die Zeitung las, mit Füßen thät er stampfen.
p1b_130.016

(Gruppe.)

p1b_130.017
Aus der staubigen Residenz p1b_130.018
Jn den laubigen, frischen Lenz, p1b_130.019
Aus dem tosenden Gassenschrei p1b_130.020
Jn den kosenden stillen Mai.
p1b_130.021

(Rückert.)

p1b_130.022
Übermäßige Anwendung der Lautmalerei, z. B. bei Sigmund v. Birken p1b_130.023
im Frühlingswillkomm wird unschön, undeutsch:

p1b_130.024
Es funken und finken und blinken, p1b_130.025
Es säuseln und bräuseln und kräuseln, p1b_130.026
Es strudeln und brudeln und wudeln, p1b_130.027
Es witzschern und zitschern und zwitschern &c. &c.

p1b_130.028
Ebenso führt die zu häufige Wiederholung desselben Vokals zum Mißklang p1b_130.029
(== Kakophonie), z. B.:

p1b_130.030
Unter der buschigen Ulme ruhte p1b_130.031
Die Jugend unschuldig.

p1b_130.032
Charakteristisch wirkt die häufig zum Spielerischen ausartende Tiertonnachahmung:

p1b_130.033

p1b_130.034
Goethe das Wolfheulen nachahmend: Wille wau wau wau; wille wo p1b_130.035
wo wo; wito hu!

p1b_130.036
Julius Wolf den Finkenschlag wiedergebend: Finkferlingfinkfinkzißspeuzia, p1b_130.037
parerlalala zischketschia! hoiza! Fritz, Fritz, Fritz, rüdidia.

p1b_130.038
§ 29. Das dichterisch Unschöne.
p1b_130.039
1. Hiatus.

p1b_130.040
Hiatus (von hiare klaffen) heißt in der Metrik das unschöne p1b_130.041
Zusammentreffen zweier Vokale als Auslaut eines vorhergehenden und p1b_130.042
als Anlaut eines diesem eng folgenden Wortes.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0164" n="130"/>
            <lb n="p1b_130.001"/>
            <lg>
              <l>Von dem Dome</l>
              <lb n="p1b_130.002"/>
              <l>Schwer und bang</l>
              <lb n="p1b_130.003"/>
              <l>Tönt die Glocke</l>
              <lb n="p1b_130.004"/>
              <l>Grabgesang.</l>
            </lg>
            <lb n="p1b_130.005"/>
            <p> <hi rendition="#right">(Schillers Glocke.)</hi> </p>
            <lb n="p1b_130.006"/>
            <lg>
              <l>Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,</l>
              <lb n="p1b_130.007"/>
              <l>Die Fluten spülen, die Fläche saust.</l>
            </lg>
            <lb n="p1b_130.008"/>
            <p> <hi rendition="#right">(Goethe.)</hi> </p>
            <lb n="p1b_130.009"/>
            <lg>
              <l>Durch die Wälder streif' ich munter.</l>
              <lb n="p1b_130.010"/>
              <l>Wenn der Wind die Stämme rüttelt,</l>
              <lb n="p1b_130.011"/>
              <l>Und mit Rascheln bunt und bunter</l>
              <lb n="p1b_130.012"/>
              <l>Blatt auf Blatt herunterschüttelt.</l>
            </lg>
            <lb n="p1b_130.013"/>
            <p> <hi rendition="#right">(v. Sallet.)</hi> </p>
            <lb n="p1b_130.014"/>
            <lg>
              <l>Der Waffenschmied von Solingen ließ Schlot und Esse <hi rendition="#g">dampfen,</hi></l>
              <lb n="p1b_130.015"/>
              <l>Doch wenn er dann die Zeitung las, mit Füßen thät er <hi rendition="#g">stampfen.</hi></l>
            </lg>
            <lb n="p1b_130.016"/>
            <p> <hi rendition="#right">(Gruppe.)</hi> </p>
            <lb n="p1b_130.017"/>
            <lg>
              <l>Aus der staubigen Residenz</l>
              <lb n="p1b_130.018"/>
              <l>Jn den laubigen, frischen Lenz,</l>
              <lb n="p1b_130.019"/>
              <l>Aus dem tosenden Gassenschrei</l>
              <lb n="p1b_130.020"/>
              <l>Jn den kosenden stillen Mai.</l>
            </lg>
            <lb n="p1b_130.021"/>
            <p> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> </p>
            <p><lb n="p1b_130.022"/>
Übermäßige Anwendung der Lautmalerei, z. B. bei Sigmund v. Birken <lb n="p1b_130.023"/>
im <hi rendition="#g">Frühlingswillkomm</hi> wird unschön, undeutsch:</p>
            <lb n="p1b_130.024"/>
            <lg>
              <l>Es funken und finken und blinken,</l>
              <lb n="p1b_130.025"/>
              <l>Es säuseln und bräuseln und kräuseln,</l>
              <lb n="p1b_130.026"/>
              <l>Es strudeln und brudeln und wudeln,</l>
              <lb n="p1b_130.027"/>
              <l>Es witzschern und zitschern und zwitschern &amp;c. &amp;c.</l>
            </lg>
            <p><lb n="p1b_130.028"/>
Ebenso führt die zu häufige Wiederholung desselben Vokals zum Mißklang <lb n="p1b_130.029"/>
(== Kakophonie), z. B.:</p>
            <lb n="p1b_130.030"/>
            <lg>
              <l>Unter der buschigen Ulme ruhte</l>
              <lb n="p1b_130.031"/>
              <l>Die Jugend unschuldig.</l>
            </lg>
            <p><lb n="p1b_130.032"/>
Charakteristisch wirkt die häufig zum Spielerischen ausartende Tiertonnachahmung:</p>
            <lb n="p1b_130.033"/>
            <p><lb n="p1b_130.034"/>
Goethe das Wolfheulen nachahmend: Wille wau wau wau; wille wo <lb n="p1b_130.035"/>
wo wo; wito hu!</p>
            <p><lb n="p1b_130.036"/>
Julius Wolf den Finkenschlag wiedergebend: Finkferlingfinkfinkzißspeuzia, <lb n="p1b_130.037"/>
parerlalala zischketschia! hoiza! Fritz, Fritz, Fritz, rüdidia.</p>
          </div>
          <div n="3">
            <lb n="p1b_130.038"/>
            <head> <hi rendition="#c">§ 29. Das dichterisch Unschöne.</hi> </head>
            <div n="4">
              <lb n="p1b_130.039"/>
              <head> <hi rendition="#c">1. <hi rendition="#g">Hiatus</hi>.</hi> </head>
              <p><lb n="p1b_130.040"/>
Hiatus (von <hi rendition="#aq">hiare</hi> klaffen) heißt in der Metrik das unschöne <lb n="p1b_130.041"/>
Zusammentreffen zweier Vokale als Auslaut eines vorhergehenden und <lb n="p1b_130.042"/>
als Anlaut eines diesem eng folgenden Wortes.</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0164] p1b_130.001 Von dem Dome p1b_130.002 Schwer und bang p1b_130.003 Tönt die Glocke p1b_130.004 Grabgesang. p1b_130.005 (Schillers Glocke.) p1b_130.006 Der Damm zerreißt, das Feld erbraust, p1b_130.007 Die Fluten spülen, die Fläche saust. p1b_130.008 (Goethe.) p1b_130.009 Durch die Wälder streif' ich munter. p1b_130.010 Wenn der Wind die Stämme rüttelt, p1b_130.011 Und mit Rascheln bunt und bunter p1b_130.012 Blatt auf Blatt herunterschüttelt. p1b_130.013 (v. Sallet.) p1b_130.014 Der Waffenschmied von Solingen ließ Schlot und Esse dampfen, p1b_130.015 Doch wenn er dann die Zeitung las, mit Füßen thät er stampfen. p1b_130.016 (Gruppe.) p1b_130.017 Aus der staubigen Residenz p1b_130.018 Jn den laubigen, frischen Lenz, p1b_130.019 Aus dem tosenden Gassenschrei p1b_130.020 Jn den kosenden stillen Mai. p1b_130.021 (Rückert.) p1b_130.022 Übermäßige Anwendung der Lautmalerei, z. B. bei Sigmund v. Birken p1b_130.023 im Frühlingswillkomm wird unschön, undeutsch: p1b_130.024 Es funken und finken und blinken, p1b_130.025 Es säuseln und bräuseln und kräuseln, p1b_130.026 Es strudeln und brudeln und wudeln, p1b_130.027 Es witzschern und zitschern und zwitschern &c. &c. p1b_130.028 Ebenso führt die zu häufige Wiederholung desselben Vokals zum Mißklang p1b_130.029 (== Kakophonie), z. B.: p1b_130.030 Unter der buschigen Ulme ruhte p1b_130.031 Die Jugend unschuldig. p1b_130.032 Charakteristisch wirkt die häufig zum Spielerischen ausartende Tiertonnachahmung: p1b_130.033 p1b_130.034 Goethe das Wolfheulen nachahmend: Wille wau wau wau; wille wo p1b_130.035 wo wo; wito hu! p1b_130.036 Julius Wolf den Finkenschlag wiedergebend: Finkferlingfinkfinkzißspeuzia, p1b_130.037 parerlalala zischketschia! hoiza! Fritz, Fritz, Fritz, rüdidia. p1b_130.038 § 29. Das dichterisch Unschöne. p1b_130.039 1. Hiatus. p1b_130.040 Hiatus (von hiare klaffen) heißt in der Metrik das unschöne p1b_130.041 Zusammentreffen zweier Vokale als Auslaut eines vorhergehenden und p1b_130.042 als Anlaut eines diesem eng folgenden Wortes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/164
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/164>, abgerufen am 24.11.2024.