Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_100.001 Des Königs Wangen leuchten Glut, p1b_100.002 Jm Wein erwuchs ihm kecker Mut. p1b_100.003 Und blindlings reißt der Mut ihn fort; p1b_100.004 Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort. p1b_100.005 Und er brüstet sich frech und lästert wild! p1b_100.006 Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt. p1b_100.007 Der König rief mit stolzem Blick; p1b_100.008 Der Diener eilt und kehrt zurück. p1b_100.009 Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt; p1b_100.010 Das war aus dem Tempel Jehovah's geraubt. p1b_100.011 Und der König ergriff mit frevler Hand p1b_100.012 Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand. p1b_100.013 Und er leert ihn hastig bis auf den Grund p1b_100.014 Und rufet laut mit schäumendem Mund: p1b_100.015 "Jehovah, dir künd ich auf ewig Hohn, - p1b_100.016 Jch bin der König von Babylon!" p1b_100.017 Doch kaum das grause Wort verklang, p1b_100.018 Dem König ward's heimlich im Busen bang. p1b_100.019 Das gellende Lachen verstummte zumal; p1b_100.020 Es wurde leichenstill im Saal. p1b_100.021 Und sieh! und sieh! an weißer Wand, p1b_100.022 Da kam's hervor wie Menschenhand. p1b_100.023 Und schrieb und schrieb an weißer Wand p1b_100.024 Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand. p1b_100.025 Der König stieren Blicks da saß p1b_100.026 Mit schlotternden Knie'n und totenblaß. p1b_100.027 Die Knechtenschar saß kalt durchgraut, p1b_100.028 Und saß gar still, gab keinen Laut. p1b_100.029 Die Magier kamen, doch keiner verstand, p1b_100.030 Zu deuten die Flammenschrift an der Wand. p1b_100.031 Belsazer ward aber in selbiger Nacht p1b_100.032 Von seinen Knechten umgebracht. p1b_100.033 p1b_100.034 p1b_100.036 p1b_100.040 p1b_100.043 p1b_100.044 p1b_100.001 Des Königs Wangen leuchten Glut, p1b_100.002 Jm Wein erwuchs ihm kecker Mut. p1b_100.003 Und blindlings reißt der Mut ihn fort; p1b_100.004 Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort. p1b_100.005 Und er brüstet sich frech und lästert wild! p1b_100.006 Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt. p1b_100.007 Der König rief mit stolzem Blick; p1b_100.008 Der Diener eilt und kehrt zurück. p1b_100.009 Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt; p1b_100.010 Das war aus dem Tempel Jehovah's geraubt. p1b_100.011 Und der König ergriff mit frevler Hand p1b_100.012 Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand. p1b_100.013 Und er leert ihn hastig bis auf den Grund p1b_100.014 Und rufet laut mit schäumendem Mund: p1b_100.015 „Jehovah, dir künd ich auf ewig Hohn, ─ p1b_100.016 Jch bin der König von Babylon!“ p1b_100.017 Doch kaum das grause Wort verklang, p1b_100.018 Dem König ward's heimlich im Busen bang. p1b_100.019 Das gellende Lachen verstummte zumal; p1b_100.020 Es wurde leichenstill im Saal. p1b_100.021 Und sieh! 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Das Tragische.</p> <p><lb n="p1b_100.034"/> 1. Dem Begriffe des <hi rendition="#g">Tragischen</hi> kommt das deutsche Wort <hi rendition="#g">Schicksal</hi> <lb n="p1b_100.035"/> am nächsten.</p> <p><lb n="p1b_100.036"/> 2. Das Tragische bedeutet ebenso wie Schicksal den Untergang <lb n="p1b_100.037"/> oder Sturz des subjektiv Erhabenen, d. i. des durch einen Helden <lb n="p1b_100.038"/> repräsentierten Erhabenen nach ernstem Kampfe. (Beispiel: der sterbende <lb n="p1b_100.039"/> Christus.)</p> <p><lb n="p1b_100.040"/> Beim Sturz des Erhabenen ergreift uns gewaltiger Ernst und <lb n="p1b_100.041"/> das Gegenteil von Unlust (d. i. Lust und Ehrfurcht vor der absolut <lb n="p1b_100.042"/> sittlichen, höheren Macht, welche den Sturz des Erhabenen herbeiführte).</p> <p><lb n="p1b_100.043"/> 3. Zu unterscheiden von der tragischen ist die ethische Schuld.</p> <p><lb n="p1b_100.044"/> 1. Beim Unterliegen jedes Vollschönen empfinden wir Mitleid, beim <lb n="p1b_100.045"/> Unterliegen des Furchtbaren Furcht. Wenn das Erhabene zwischen dem Vollschönen <lb n="p1b_100.046"/> und dem Furchtbaren liegt, gewissermaßen also die Vereinigung vom </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [100/0134]
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Und er brüstet sich frech und lästert wild! p1b_100.006
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Der König rief mit stolzem Blick; p1b_100.008
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Und rufet laut mit schäumendem Mund:
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Das gellende Lachen verstummte zumal; p1b_100.020
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Da kam's hervor wie Menschenhand.
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Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
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Der König stieren Blicks da saß p1b_100.026
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Die Magier kamen, doch keiner verstand, p1b_100.030
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
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Belsazer ward aber in selbiger Nacht p1b_100.032
Von seinen Knechten umgebracht.
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f. Das Tragische.
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1. Dem Begriffe des Tragischen kommt das deutsche Wort Schicksal p1b_100.035
am nächsten.
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2. Das Tragische bedeutet ebenso wie Schicksal den Untergang p1b_100.037
oder Sturz des subjektiv Erhabenen, d. i. des durch einen Helden p1b_100.038
repräsentierten Erhabenen nach ernstem Kampfe. (Beispiel: der sterbende p1b_100.039
Christus.)
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Beim Sturz des Erhabenen ergreift uns gewaltiger Ernst und p1b_100.041
das Gegenteil von Unlust (d. i. Lust und Ehrfurcht vor der absolut p1b_100.042
sittlichen, höheren Macht, welche den Sturz des Erhabenen herbeiführte).
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3. Zu unterscheiden von der tragischen ist die ethische Schuld.
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1. Beim Unterliegen jedes Vollschönen empfinden wir Mitleid, beim p1b_100.045
Unterliegen des Furchtbaren Furcht. Wenn das Erhabene zwischen dem Vollschönen p1b_100.046
und dem Furchtbaren liegt, gewissermaßen also die Vereinigung vom
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