p1b_094.001 anfänglich auf unsere Anschauung niederdrückend; von der ästhetischen p1b_094.002 Empfindung desselben ist ein Gefühl eigener Kleinheit und Unbedeutendheit p1b_094.003 nicht zu trennen. Erst dann wird man zum Genuß des Erhabenen p1b_094.004 in seiner reinen Schönheit befähigt, wenn man sich vom Gefühle der p1b_094.005 Beklemmung und der physischen Furcht frei gemacht hat, um die Größe p1b_094.006 der Erscheinung des Erhabenen objektiv und ruhig der Anschauung p1b_094.007 vermählen zu können.
p1b_094.008 2. Das Erhabene hat mehrere Unterarten, von denen das Tragische p1b_094.009 als Gegensatz der übrigen aufgefaßt wurde.
p1b_094.010 1. Man kann das Erhabene, welches physischer, moralischer und intellektueller p1b_094.011 Natur sein kann, einteilen in das Mathematisch-Erhabene und (mit p1b_094.012 Rücksicht auf Kraft) in das Dynamisch-Erhabene. Erhaben ist der p1b_094.013 allmächtige, aber liebende Christengott; furchtbar der zürnende Judengott, welch' p1b_094.014 letzterem gegenüber der Mensch Sklave ist. Der Griechengott ist erhaben, denn p1b_094.015 wenn er auch die Welt erschüttern kann, so bedeutet doch der Olymp die p1b_094.016 Ruhe, und das Maß thront auf seinem Götterantlitze. Man denke an den p1b_094.017 von Phidias dargestellten olympischen Zeus. Der Donner, dessen Maß gegeben p1b_094.018 ist, wirkt erhaben; eine Dynamitexplosion ist wegen ihrer maßlosen, vernichtenden p1b_094.019 Wirkung furchtbar. Eine Dichtung, insoferne sie Erstaunen, Ehrfurcht, p1b_094.020 Bewunderung &c. hervorruft, ist erhaben. Ein Hymnus, der die Größe p1b_094.021 Gottes besingt, erzeugt das Gefühl des Erhabenen. Erhaben ist, aus der Ferne p1b_094.022 gesehen, ein feuerspeiender Berg, erhaben ist die Unendlichkeit des ruhigen Oceans, p1b_094.023 der unermeßliche Weltenraum, ein Gletscher, ein gewaltiger Wasserfall (z. B. der p1b_094.024 Rheinfall), der gestirnte Himmel mit Fixsternen; ebenso ein riesiger, überhängender, p1b_094.025 den Einsturz drohender Berg, sofern ich mir die Kraft vergegenwärtige, mit der p1b_094.026 er niederstürzen muß. Erhaben ist die Weltregierung, erhaben können Menschenwerke p1b_094.027 sein, z. B. der Kölner Dom, die Mailänder Kathedrale, die ägyptischen p1b_094.028 Pyramiden. Erhaben ist der mit Riesengewalt kämpfende König Richard III., p1b_094.029 ebenso Julius Cäsar, der beim Seesturm dem erblassenden Steuermann imponierend p1b_094.030 zuruft: "Du fährst Cäsar und sein Glück!"
p1b_094.031 Wer nicht den Trieb fühlt, sich zum Erhabenen emporzuschwingen oder p1b_094.032 zum mindesten es zu begreifen, der wird "es in den Staub zu ziehen suchen". p1b_094.033 (Vgl.: Mephistopheles im Faust, Jago im Othello, Gottfried Kinkels "Cäsar".)
p1b_094.034 Beispiel des Erhabenen:
p1b_094.035
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,p1b_094.036 Wie auch der menschliche wanke;p1b_094.037 Hoch über der Zeit und dem Raume webtp1b_094.038 Lebendig der höchste Gedanke,p1b_094.039 Und ob Alles in ewigem Wechsel kreist,p1b_094.040 Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
p1b_094.041
(Aus "Die Worte des Glaubens" von Schiller.)
p1b_094.042 Kant hat das Erhabene zuerst in seiner Kritik der Urteilskraft erörtert. p1b_094.043 Nach ihm Schiller, Hegel, Vischer. Letzterer weicht von allen dadurch ab, daß
p1b_094.001 anfänglich auf unsere Anschauung niederdrückend; von der ästhetischen p1b_094.002 Empfindung desselben ist ein Gefühl eigener Kleinheit und Unbedeutendheit p1b_094.003 nicht zu trennen. Erst dann wird man zum Genuß des Erhabenen p1b_094.004 in seiner reinen Schönheit befähigt, wenn man sich vom Gefühle der p1b_094.005 Beklemmung und der physischen Furcht frei gemacht hat, um die Größe p1b_094.006 der Erscheinung des Erhabenen objektiv und ruhig der Anschauung p1b_094.007 vermählen zu können.
p1b_094.008 2. Das Erhabene hat mehrere Unterarten, von denen das Tragische p1b_094.009 als Gegensatz der übrigen aufgefaßt wurde.
p1b_094.010 1. Man kann das Erhabene, welches physischer, moralischer und intellektueller p1b_094.011 Natur sein kann, einteilen in das Mathematisch-Erhabene und (mit p1b_094.012 Rücksicht auf Kraft) in das Dynamisch-Erhabene. Erhaben ist der p1b_094.013 allmächtige, aber liebende Christengott; furchtbar der zürnende Judengott, welch' p1b_094.014 letzterem gegenüber der Mensch Sklave ist. Der Griechengott ist erhaben, denn p1b_094.015 wenn er auch die Welt erschüttern kann, so bedeutet doch der Olymp die p1b_094.016 Ruhe, und das Maß thront auf seinem Götterantlitze. Man denke an den p1b_094.017 von Phidias dargestellten olympischen Zeus. Der Donner, dessen Maß gegeben p1b_094.018 ist, wirkt erhaben; eine Dynamitexplosion ist wegen ihrer maßlosen, vernichtenden p1b_094.019 Wirkung furchtbar. Eine Dichtung, insoferne sie Erstaunen, Ehrfurcht, p1b_094.020 Bewunderung &c. hervorruft, ist erhaben. Ein Hymnus, der die Größe p1b_094.021 Gottes besingt, erzeugt das Gefühl des Erhabenen. Erhaben ist, aus der Ferne p1b_094.022 gesehen, ein feuerspeiender Berg, erhaben ist die Unendlichkeit des ruhigen Oceans, p1b_094.023 der unermeßliche Weltenraum, ein Gletscher, ein gewaltiger Wasserfall (z. B. der p1b_094.024 Rheinfall), der gestirnte Himmel mit Fixsternen; ebenso ein riesiger, überhängender, p1b_094.025 den Einsturz drohender Berg, sofern ich mir die Kraft vergegenwärtige, mit der p1b_094.026 er niederstürzen muß. Erhaben ist die Weltregierung, erhaben können Menschenwerke p1b_094.027 sein, z. B. der Kölner Dom, die Mailänder Kathedrale, die ägyptischen p1b_094.028 Pyramiden. Erhaben ist der mit Riesengewalt kämpfende König Richard III., p1b_094.029 ebenso Julius Cäsar, der beim Seesturm dem erblassenden Steuermann imponierend p1b_094.030 zuruft: „Du fährst Cäsar und sein Glück!“
p1b_094.031 Wer nicht den Trieb fühlt, sich zum Erhabenen emporzuschwingen oder p1b_094.032 zum mindesten es zu begreifen, der wird „es in den Staub zu ziehen suchen“. p1b_094.033 (Vgl.: Mephistopheles im Faust, Jago im Othello, Gottfried Kinkels „Cäsar“.)
p1b_094.034 Beispiel des Erhabenen:
p1b_094.035
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,p1b_094.036 Wie auch der menschliche wanke;p1b_094.037 Hoch über der Zeit und dem Raume webtp1b_094.038 Lebendig der höchste Gedanke,p1b_094.039 Und ob Alles in ewigem Wechsel kreist,p1b_094.040 Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
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(Aus „Die Worte des Glaubens“ von Schiller.)
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anfänglich auf unsere Anschauung niederdrückend; von der ästhetischen p1b_094.002
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Beklemmung und der physischen Furcht frei gemacht hat, um die Größe p1b_094.006
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2. Das Erhabene hat mehrere Unterarten, von denen das Tragische p1b_094.009
als Gegensatz der übrigen aufgefaßt wurde.
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1. Man kann das Erhabene, welches physischer, moralischer und intellektueller p1b_094.011
Natur sein kann, einteilen in das Mathematisch-Erhabene und (mit p1b_094.012
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(Vgl.: Mephistopheles im Faust, Jago im Othello, Gottfried Kinkels „Cäsar“.)
p1b_094.034
Beispiel des Erhabenen:
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Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt, p1b_094.036
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(Aus „Die Worte des Glaubens“ von Schiller.)
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Nach ihm Schiller, Hegel, Vischer. Letzterer weicht von allen dadurch ab, daß
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/128>, abgerufen am 25.11.2024.
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