Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_089.001 Sonst folgten harte Strafen, p1b_089.002 Daß er so schlecht gewacht. p1b_089.003 Wem dieses mocht' gelingen, p1b_089.004 Der konnte wohl begehren p1b_089.005 Von allen seltnen Dingen: p1b_089.006 Man mußte sie gewähren. p1b_089.007 Beim Sperber war in Ehren p1b_089.008 Ein trefflich schönes Weib, p1b_089.009 Konnt' einer all' begehren, p1b_089.010 Nicht ihren schönen Leib. p1b_089.011 Gyot, der junge König, p1b_089.012 Rüst' sich im kecken Mut, p1b_089.013 Er dünkte sich nicht wenig p1b_089.014 Zum Abenteuer gut. p1b_089.015 Er sprach zu sich im Herzen: p1b_089.016 Gelingt der Zeitvertreib, p1b_089.017 So fordr' ich ohne Scherzen p1b_089.018 Doch nur das edle Weib. p1b_089.019 Zog aus mit vielen Leuten, p1b_089.020 Und mit Gefolge groß, p1b_089.021 Da sahen sie von Weiten p1b_089.022 Das wundersame Schloß. p1b_089.023 Auf grüner Wiese milde p1b_089.024 Ließ er die Diener sein p1b_089.025 Und ging mit Schwert und Schilde p1b_089.026 Keck in's Burgthor hinein. p1b_089.027 p1b_089.031Da kam ein alter Mann, p1b_089.028 Gar klein und krumm und bleich, p1b_089.029 War schneeweiß angethan, p1b_089.030 Sein Bart war weiß zugleich. u. s. w. p1b_089.032 p1b_089.041 Am Himmel ist kein Stern, p1b_089.043 p1b_089.046Den ich dem Freund nicht gönnte, p1b_089.044 Mein Herz gäb' ich ihm gern, p1b_089.045 Wenn ich's heraus thun könnte. (Rückert.) p1b_089.001 Sonst folgten harte Strafen, p1b_089.002 Daß er so schlecht gewacht. p1b_089.003 Wem dieses mocht' gelingen, p1b_089.004 Der konnte wohl begehren p1b_089.005 Von allen seltnen Dingen: p1b_089.006 Man mußte sie gewähren. p1b_089.007 Beim Sperber war in Ehren p1b_089.008 Ein trefflich schönes Weib, p1b_089.009 Konnt' einer all' begehren, p1b_089.010 Nicht ihren schönen Leib. p1b_089.011 Gyot, der junge König, p1b_089.012 Rüst' sich im kecken Mut, p1b_089.013 Er dünkte sich nicht wenig p1b_089.014 Zum Abenteuer gut. p1b_089.015 Er sprach zu sich im Herzen: p1b_089.016 Gelingt der Zeitvertreib, p1b_089.017 So fordr' ich ohne Scherzen p1b_089.018 Doch nur das edle Weib. p1b_089.019 Zog aus mit vielen Leuten, p1b_089.020 Und mit Gefolge groß, p1b_089.021 Da sahen sie von Weiten p1b_089.022 Das wundersame Schloß. p1b_089.023 Auf grüner Wiese milde p1b_089.024 Ließ er die Diener sein p1b_089.025 Und ging mit Schwert und Schilde p1b_089.026 Keck in's Burgthor hinein. p1b_089.027 p1b_089.031Da kam ein alter Mann, p1b_089.028 Gar klein und krumm und bleich, p1b_089.029 War schneeweiß angethan, p1b_089.030 Sein Bart war weiß zugleich. u. s. w. p1b_089.032 p1b_089.041 Am Himmel ist kein Stern, p1b_089.043 p1b_089.046Den ich dem Freund nicht gönnte, p1b_089.044 Mein Herz gäb' ich ihm gern, p1b_089.045 Wenn ich's heraus thun könnte. 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Es ist dasjenige Kindliche, welches da <lb n="p1b_089.034"/> auftritt, wo man es nicht erwartet, weshalb es eben ─ der Kindheit <hi rendition="#g">nicht</hi> <lb n="p1b_089.035"/> zuzuschreiben ist. Das Naive in der Darstellung eines künstlerischen Motivs <lb n="p1b_089.036"/> muß das Gepräge der Unabsichtlichkeit tragen. Keinesfalls darf es den Eindruck <lb n="p1b_089.037"/> machen, als ob es für den Beschauer oder Beurteiler berechnet sei. „Man <lb n="p1b_089.038"/> merkt die Absicht und man wird verstimmt“, sagt Goethe vom erkünstelten <lb n="p1b_089.039"/> Naiven. Ohne Naivetät kein Klassisches. Das Naive oder der Anschein des <lb n="p1b_089.040"/> Naiven ist der höchste Kunstzweck.</p> <p> <lb n="p1b_089.041"/> <hi rendition="#g">Beispiel des Naiven:</hi> </p> <lb n="p1b_089.042"/> <lg> <l>Am Himmel ist kein Stern,</l> <lb n="p1b_089.043"/> <l>Den ich dem Freund nicht gönnte,</l> <lb n="p1b_089.044"/> <l>Mein Herz gäb' ich ihm gern,</l> <lb n="p1b_089.045"/> <l>Wenn ich's heraus thun könnte.</l> </lg> <lb n="p1b_089.046"/> <p> <hi rendition="#right">(Rückert.)</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [89/0123]
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Sonst folgten harte Strafen, p1b_089.002
Daß er so schlecht gewacht.
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Wem dieses mocht' gelingen, p1b_089.004
Der konnte wohl begehren p1b_089.005
Von allen seltnen Dingen: p1b_089.006
Man mußte sie gewähren.
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Beim Sperber war in Ehren p1b_089.008
Ein trefflich schönes Weib, p1b_089.009
Konnt' einer all' begehren, p1b_089.010
Nicht ihren schönen Leib.
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Gyot, der junge König, p1b_089.012
Rüst' sich im kecken Mut, p1b_089.013
Er dünkte sich nicht wenig p1b_089.014
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Zog aus mit vielen Leuten, p1b_089.020
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Auf grüner Wiese milde p1b_089.024
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Gar klein und krumm und bleich, p1b_089.029
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Sein Bart war weiß zugleich.
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u. s. w.
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Mangel an Absichtlichkeit, Natürlichkeit der Erscheinung, wird in der p1b_089.033
Ästhetik als das Naive bezeichnet. Es ist dasjenige Kindliche, welches da p1b_089.034
auftritt, wo man es nicht erwartet, weshalb es eben ─ der Kindheit nicht p1b_089.035
zuzuschreiben ist. Das Naive in der Darstellung eines künstlerischen Motivs p1b_089.036
muß das Gepräge der Unabsichtlichkeit tragen. Keinesfalls darf es den Eindruck p1b_089.037
machen, als ob es für den Beschauer oder Beurteiler berechnet sei. „Man p1b_089.038
merkt die Absicht und man wird verstimmt“, sagt Goethe vom erkünstelten p1b_089.039
Naiven. Ohne Naivetät kein Klassisches. Das Naive oder der Anschein des p1b_089.040
Naiven ist der höchste Kunstzweck.
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Beispiel des Naiven:
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Am Himmel ist kein Stern, p1b_089.043
Den ich dem Freund nicht gönnte, p1b_089.044
Mein Herz gäb' ich ihm gern, p1b_089.045
Wenn ich's heraus thun könnte.
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