Puchta sagt, indem er von der Ungunst handelt, welche die Romanisten dem einheimischen Recht erwiesen: "Und in der That, um das Factum auch von dieser Seite zu betrachten: wer, der unserer Geschichte einen freien Blick zuwendet, kann ihnen daraus einen Vorwurf ma- chen? Weder das Verfahren jener deutschen Juristen selbst, die das deutsche Recht gegen das römische in den Hinter- grund stellten, noch seine Folgen sind von der Beschaffen- heit, daß sie die Schmähungen verdienen, mit welchen un- sere Germanisten (gehörte Ulrich Hutten auch dazu?) sie überschwemmt haben. Daß sie dem römischen Recht sich zuwandten, kann ihnen nur zum Lobe gereichen. Denn wer damals wissenschaftlichen Sinn und das Bedürfniß geistiger Bildung in diesem Zweige empfand, konnte kei- nen andern Weg einschlagen, als diesen, welcher die wis- senschaftlichen Bemühungen zu einem Gegenstand führte, der selbst ein wissenschaftlicher und dieses in einem sehr hohen Grade war. Es war aber auch kein Grund vor- handen, welcher einen redlichen, ja patriotischen Mann da- von zurück zu halten vermocht hätte. Nicht etwa die Ei- genschaft des römischen Rechts als eines fremden, denn dieß war es nicht für jene Zeit (?!); wir verdanken diese Ansicht von demselben erst dem gutgemeinten, aber sehr übel angebrachten Eifer der Germanisten. Nicht ferner seine Unangemessenheit für Deutschland, denn auch diese ist nicht vorhanden; das römische Recht hatte im ganzen durch die klassischen Juristen und durch die Modificationen, welche es unter der kaiserlichen Gesetzgebung erlitt, voll- kommen die Eigenschaft erhalten, wodurch es ein Weltrecht werden, und worin es sich mit den verschiedensten Natio-
Zweites Kapitel.
Puchta ſagt, indem er von der Ungunſt handelt, welche die Romaniſten dem einheimiſchen Recht erwieſen: „Und in der That, um das Factum auch von dieſer Seite zu betrachten: wer, der unſerer Geſchichte einen freien Blick zuwendet, kann ihnen daraus einen Vorwurf ma- chen? Weder das Verfahren jener deutſchen Juriſten ſelbſt, die das deutſche Recht gegen das roͤmiſche in den Hinter- grund ſtellten, noch ſeine Folgen ſind von der Beſchaffen- heit, daß ſie die Schmaͤhungen verdienen, mit welchen un- ſere Germaniſten (gehoͤrte Ulrich Hutten auch dazu?) ſie uͤberſchwemmt haben. Daß ſie dem roͤmiſchen Recht ſich zuwandten, kann ihnen nur zum Lobe gereichen. Denn wer damals wiſſenſchaftlichen Sinn und das Beduͤrfniß geiſtiger Bildung in dieſem Zweige empfand, konnte kei- nen andern Weg einſchlagen, als dieſen, welcher die wiſ- ſenſchaftlichen Bemuͤhungen zu einem Gegenſtand fuͤhrte, der ſelbſt ein wiſſenſchaftlicher und dieſes in einem ſehr hohen Grade war. Es war aber auch kein Grund vor- handen, welcher einen redlichen, ja patriotiſchen Mann da- von zuruͤck zu halten vermocht haͤtte. Nicht etwa die Ei- genſchaft des roͤmiſchen Rechts als eines fremden, denn dieß war es nicht fuͤr jene Zeit (?!); wir verdanken dieſe Anſicht von demſelben erſt dem gutgemeinten, aber ſehr uͤbel angebrachten Eifer der Germaniſten. Nicht ferner ſeine Unangemeſſenheit fuͤr Deutſchland, denn auch dieſe iſt nicht vorhanden; das roͤmiſche Recht hatte im ganzen durch die klaſſiſchen Juriſten und durch die Modificationen, welche es unter der kaiſerlichen Geſetzgebung erlitt, voll- kommen die Eigenſchaft erhalten, wodurch es ein Weltrecht werden, und worin es ſich mit den verſchiedenſten Natio-
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Zweites Kapitel.
Puchta ſagt, indem er von der Ungunſt handelt, welche
die Romaniſten dem einheimiſchen Recht erwieſen:
„Und in der That, um das Factum auch von dieſer
Seite zu betrachten: wer, der unſerer Geſchichte einen freien
Blick zuwendet, kann ihnen daraus einen Vorwurf ma-
chen? Weder das Verfahren jener deutſchen Juriſten ſelbſt,
die das deutſche Recht gegen das roͤmiſche in den Hinter-
grund ſtellten, noch ſeine Folgen ſind von der Beſchaffen-
heit, daß ſie die Schmaͤhungen verdienen, mit welchen un-
ſere Germaniſten (gehoͤrte Ulrich Hutten auch dazu?) ſie
uͤberſchwemmt haben. Daß ſie dem roͤmiſchen Recht ſich
zuwandten, kann ihnen nur zum Lobe gereichen. Denn
wer damals wiſſenſchaftlichen Sinn und das Beduͤrfniß
geiſtiger Bildung in dieſem Zweige empfand, konnte kei-
nen andern Weg einſchlagen, als dieſen, welcher die wiſ-
ſenſchaftlichen Bemuͤhungen zu einem Gegenſtand fuͤhrte,
der ſelbſt ein wiſſenſchaftlicher und dieſes in einem ſehr
hohen Grade war. Es war aber auch kein Grund vor-
handen, welcher einen redlichen, ja patriotiſchen Mann da-
von zuruͤck zu halten vermocht haͤtte. Nicht etwa die Ei-
genſchaft des roͤmiſchen Rechts als eines fremden, denn
dieß war es nicht fuͤr jene Zeit (?!); wir verdanken dieſe
Anſicht von demſelben erſt dem gutgemeinten, aber ſehr
uͤbel angebrachten Eifer der Germaniſten. Nicht ferner
ſeine Unangemeſſenheit fuͤr Deutſchland, denn auch dieſe
iſt nicht vorhanden; das roͤmiſche Recht hatte im ganzen
durch die klaſſiſchen Juriſten und durch die Modificationen,
welche es unter der kaiſerlichen Geſetzgebung erlitt, voll-
kommen die Eigenſchaft erhalten, wodurch es ein Weltrecht
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/84>, abgerufen am 27.11.2024.
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