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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Erstes Kapitel.
denen es entstanden, ihre Veranlassung gehabt haben. Die
Idee, welche den Staat Friedrich des Großen beherrschte, schloß
jede freie Bewegung eines volksthümlichen Rechtslebens aus;
auch die selbständige Haltung der Jurisprudenz, der man die
bestehende Rechtsunsicherheit Schuld gab, sollte gebrochen wer-
den; die kluge Berechnung des Zweckmäßigen war der leitende
Gedanke der Arbeit, die sich gerade da, wo es darauf ankam,
etwas Neues zu schaffen, wie in der Gerichtsordnung, am
Wenigsten bewährt hat. Dazu kommt, daß bei der Schwäche
der damaligen Theorie manche, namentlich deutschrechtliche In-
stitute nur unvollkommen behandelt sind, und daß man sich
über die Bedeutung der Provinzialrechte und über deren Stel-
lung zum Landrechte nicht ganz klar war. Wie hoch man
daher auch den Werth dieser Gesetzgebung anschlagen mag:
die gründliche Durcharbeitung des Materials, den verständigen,
practischen Sinn, die humane und freisinnige Feststellung wich-
tiger Lehren; -- wahr bleibt doch, daß die moderne deutsche
Rechtsentwicklung darin auch für Preußen noch nicht ihre le-
gislative Erledigung gefunden hat.

Aber wäre es denn nicht das Beste, sofort Hand anzu-
legen, und für ganz Deutschland ein gemeinsames Gesetzbuch
abzufassen? Es sind nun bald 30 Jahre verflossen, seitdem
Thibaut zu einem solchen Werke aufforderte. Damals waren
die öffentlichen Angelegenheiten Deutschlands noch nicht auf
dem Wiener Congresse geordnet, und es war die Hoffnung
auf eine größere politische Einheit des Vaterlandes noch bei
vielen lebendig; die Möglichkeit, daß sich ein Organ für eine
gemeinsame Gesetzgebung werde herstellen lassen, lag noch vor,
und in den zerrütteten Rechtszuständen schien für die im kräf-
tigen Aufschwung begriffene Nation eine dringende Aufforde-

Erſtes Kapitel.
denen es entſtanden, ihre Veranlaſſung gehabt haben. Die
Idee, welche den Staat Friedrich des Großen beherrſchte, ſchloß
jede freie Bewegung eines volksthuͤmlichen Rechtslebens aus;
auch die ſelbſtaͤndige Haltung der Jurisprudenz, der man die
beſtehende Rechtsunſicherheit Schuld gab, ſollte gebrochen wer-
den; die kluge Berechnung des Zweckmaͤßigen war der leitende
Gedanke der Arbeit, die ſich gerade da, wo es darauf ankam,
etwas Neues zu ſchaffen, wie in der Gerichtsordnung, am
Wenigſten bewaͤhrt hat. Dazu kommt, daß bei der Schwaͤche
der damaligen Theorie manche, namentlich deutſchrechtliche In-
ſtitute nur unvollkommen behandelt ſind, und daß man ſich
uͤber die Bedeutung der Provinzialrechte und uͤber deren Stel-
lung zum Landrechte nicht ganz klar war. Wie hoch man
daher auch den Werth dieſer Geſetzgebung anſchlagen mag:
die gruͤndliche Durcharbeitung des Materials, den verſtaͤndigen,
practiſchen Sinn, die humane und freiſinnige Feſtſtellung wich-
tiger Lehren; — wahr bleibt doch, daß die moderne deutſche
Rechtsentwicklung darin auch fuͤr Preußen noch nicht ihre le-
gislative Erledigung gefunden hat.

Aber waͤre es denn nicht das Beſte, ſofort Hand anzu-
legen, und fuͤr ganz Deutſchland ein gemeinſames Geſetzbuch
abzufaſſen? Es ſind nun bald 30 Jahre verfloſſen, ſeitdem
Thibaut zu einem ſolchen Werke aufforderte. Damals waren
die oͤffentlichen Angelegenheiten Deutſchlands noch nicht auf
dem Wiener Congreſſe geordnet, und es war die Hoffnung
auf eine groͤßere politiſche Einheit des Vaterlandes noch bei
vielen lebendig; die Moͤglichkeit, daß ſich ein Organ fuͤr eine
gemeinſame Geſetzgebung werde herſtellen laſſen, lag noch vor,
und in den zerruͤtteten Rechtszuſtaͤnden ſchien fuͤr die im kraͤf-
tigen Aufſchwung begriffene Nation eine dringende Aufforde-

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[56/0068] Erſtes Kapitel. denen es entſtanden, ihre Veranlaſſung gehabt haben. Die Idee, welche den Staat Friedrich des Großen beherrſchte, ſchloß jede freie Bewegung eines volksthuͤmlichen Rechtslebens aus; auch die ſelbſtaͤndige Haltung der Jurisprudenz, der man die beſtehende Rechtsunſicherheit Schuld gab, ſollte gebrochen wer- den; die kluge Berechnung des Zweckmaͤßigen war der leitende Gedanke der Arbeit, die ſich gerade da, wo es darauf ankam, etwas Neues zu ſchaffen, wie in der Gerichtsordnung, am Wenigſten bewaͤhrt hat. Dazu kommt, daß bei der Schwaͤche der damaligen Theorie manche, namentlich deutſchrechtliche In- ſtitute nur unvollkommen behandelt ſind, und daß man ſich uͤber die Bedeutung der Provinzialrechte und uͤber deren Stel- lung zum Landrechte nicht ganz klar war. Wie hoch man daher auch den Werth dieſer Geſetzgebung anſchlagen mag: die gruͤndliche Durcharbeitung des Materials, den verſtaͤndigen, practiſchen Sinn, die humane und freiſinnige Feſtſtellung wich- tiger Lehren; — wahr bleibt doch, daß die moderne deutſche Rechtsentwicklung darin auch fuͤr Preußen noch nicht ihre le- gislative Erledigung gefunden hat. Aber waͤre es denn nicht das Beſte, ſofort Hand anzu- legen, und fuͤr ganz Deutſchland ein gemeinſames Geſetzbuch abzufaſſen? Es ſind nun bald 30 Jahre verfloſſen, ſeitdem Thibaut zu einem ſolchen Werke aufforderte. Damals waren die oͤffentlichen Angelegenheiten Deutſchlands noch nicht auf dem Wiener Congreſſe geordnet, und es war die Hoffnung auf eine groͤßere politiſche Einheit des Vaterlandes noch bei vielen lebendig; die Moͤglichkeit, daß ſich ein Organ fuͤr eine gemeinſame Geſetzgebung werde herſtellen laſſen, lag noch vor, und in den zerruͤtteten Rechtszuſtaͤnden ſchien fuͤr die im kraͤf- tigen Aufſchwung begriffene Nation eine dringende Aufforde-

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/68>, abgerufen am 24.11.2024.