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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.

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Historische Einleitung.
men; doch fand diese Richtung erst in der preußischen Codifi-
cation eine vollständige und consequente Vertretung.

Preußen hatte sich an der Stelle von Chursachsen an die
Spitze des protestantischen Deutschlands gestellt, und fand auch
an Braunschweig-Lüneburg keinen gefährlichen Nebenbuhler
mehr, seitdem das dortige Churhaus nach England verpflanzt
worden war. Es hatte unter seinen großen Fürsten zuerst eine
energische Regierung in Deutschland erhalten, und sah diese
im Sinne des modernen Staates consequent ausgebildet. Frie-
drich der Große vertrat dieses Princip mit der ganzen Kraft
seiner Persönlichkeit nach allen Seiten hin; von ihm ging
auch die Idee der Codification des preußischen Rechts aus,
welches seinem ganzen Umfange nach gesetzlich festgestellt wer-
den, und in selbständiger Haltung von dem gemeinen deutschen
Recht abgeschlossen bleiben sollte. Dieselbe Tendenz verfolgte
gleichzeitig Oesterreich, und hat sie ebenfalls realisirt. So ent-
zogen sich die beiden ersten Staaten Deutschlands dem unmit-
telbaren Einfluß der gemeinsamen deutschen Rechtsentwicklung,
-- ein Ereigniß, welches in den äußern Verhältnissen der da-
maligen Zeit begründet scheinen mag, aber doch als ein großes
nationales Unglück betrachtet werden muß. Im Uebrigen ist
freilich nicht zu verkennen, daß durch diese großen legislativen
Arbeiten, neben welchen noch die französische Gesetzgebung ihre
selbständige Bedeutung in Anspruch nimmt, das gesammte
moderne Rechtswesen und namentlich auch das deutsche außer-
ordentlich gefördert und gehoben ist. Selbst das preußische
Landrecht, welches, als das erste dieser Werke, mit vielen ei-
genthümlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, verdient die
größte Anerkennung; die Mängel, mit denen es behaftet ist,
sind vorzugsweise solche, welche in den Verhältnissen, unter

Hiſtoriſche Einleitung.
men; doch fand dieſe Richtung erſt in der preußiſchen Codifi-
cation eine vollſtaͤndige und conſequente Vertretung.

Preußen hatte ſich an der Stelle von Churſachſen an die
Spitze des proteſtantiſchen Deutſchlands geſtellt, und fand auch
an Braunſchweig-Luͤneburg keinen gefaͤhrlichen Nebenbuhler
mehr, ſeitdem das dortige Churhaus nach England verpflanzt
worden war. Es hatte unter ſeinen großen Fuͤrſten zuerſt eine
energiſche Regierung in Deutſchland erhalten, und ſah dieſe
im Sinne des modernen Staates conſequent ausgebildet. Frie-
drich der Große vertrat dieſes Princip mit der ganzen Kraft
ſeiner Perſoͤnlichkeit nach allen Seiten hin; von ihm ging
auch die Idee der Codification des preußiſchen Rechts aus,
welches ſeinem ganzen Umfange nach geſetzlich feſtgeſtellt wer-
den, und in ſelbſtaͤndiger Haltung von dem gemeinen deutſchen
Recht abgeſchloſſen bleiben ſollte. Dieſelbe Tendenz verfolgte
gleichzeitig Oeſterreich, und hat ſie ebenfalls realiſirt. So ent-
zogen ſich die beiden erſten Staaten Deutſchlands dem unmit-
telbaren Einfluß der gemeinſamen deutſchen Rechtsentwicklung,
— ein Ereigniß, welches in den aͤußern Verhaͤltniſſen der da-
maligen Zeit begruͤndet ſcheinen mag, aber doch als ein großes
nationales Ungluͤck betrachtet werden muß. Im Uebrigen iſt
freilich nicht zu verkennen, daß durch dieſe großen legislativen
Arbeiten, neben welchen noch die franzoͤſiſche Geſetzgebung ihre
ſelbſtaͤndige Bedeutung in Anſpruch nimmt, das geſammte
moderne Rechtsweſen und namentlich auch das deutſche außer-
ordentlich gefoͤrdert und gehoben iſt. Selbſt das preußiſche
Landrecht, welches, als das erſte dieſer Werke, mit vielen ei-
genthuͤmlichen Schwierigkeiten zu kaͤmpfen hatte, verdient die
groͤßte Anerkennung; die Maͤngel, mit denen es behaftet iſt,
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[55/0067] Hiſtoriſche Einleitung. men; doch fand dieſe Richtung erſt in der preußiſchen Codifi- cation eine vollſtaͤndige und conſequente Vertretung. Preußen hatte ſich an der Stelle von Churſachſen an die Spitze des proteſtantiſchen Deutſchlands geſtellt, und fand auch an Braunſchweig-Luͤneburg keinen gefaͤhrlichen Nebenbuhler mehr, ſeitdem das dortige Churhaus nach England verpflanzt worden war. Es hatte unter ſeinen großen Fuͤrſten zuerſt eine energiſche Regierung in Deutſchland erhalten, und ſah dieſe im Sinne des modernen Staates conſequent ausgebildet. Frie- drich der Große vertrat dieſes Princip mit der ganzen Kraft ſeiner Perſoͤnlichkeit nach allen Seiten hin; von ihm ging auch die Idee der Codification des preußiſchen Rechts aus, welches ſeinem ganzen Umfange nach geſetzlich feſtgeſtellt wer- den, und in ſelbſtaͤndiger Haltung von dem gemeinen deutſchen Recht abgeſchloſſen bleiben ſollte. Dieſelbe Tendenz verfolgte gleichzeitig Oeſterreich, und hat ſie ebenfalls realiſirt. So ent- zogen ſich die beiden erſten Staaten Deutſchlands dem unmit- telbaren Einfluß der gemeinſamen deutſchen Rechtsentwicklung, — ein Ereigniß, welches in den aͤußern Verhaͤltniſſen der da- maligen Zeit begruͤndet ſcheinen mag, aber doch als ein großes nationales Ungluͤck betrachtet werden muß. Im Uebrigen iſt freilich nicht zu verkennen, daß durch dieſe großen legislativen Arbeiten, neben welchen noch die franzoͤſiſche Geſetzgebung ihre ſelbſtaͤndige Bedeutung in Anſpruch nimmt, das geſammte moderne Rechtsweſen und namentlich auch das deutſche außer- ordentlich gefoͤrdert und gehoben iſt. Selbſt das preußiſche Landrecht, welches, als das erſte dieſer Werke, mit vielen ei- genthuͤmlichen Schwierigkeiten zu kaͤmpfen hatte, verdient die groͤßte Anerkennung; die Maͤngel, mit denen es behaftet iſt, ſind vorzugsweiſe ſolche, welche in den Verhaͤltniſſen, unter

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/67>, abgerufen am 24.11.2024.